Heute leben über 7000 Auslandschweizer im Land der Kiwis. In den 1870er-Jahren waren es gerade einmal knapp 200, viele davon Bauern. Die Spuren sind heute noch sichtbar. Der nichtsahnende Schweizer Tourist glaubt, nicht richtig gesehen zu haben.
Da tuckert man auf einer Strasse im Niemandsland am anderen Ende derWelt gemütlich durch die Landschaft und entdeckt auf einem Schild plötzlich einen bekannten Schweizer Namen: «Kalin». Das «ä» scheint zwar verloren gegangen zu sein, aber es ist trotzdem klar: Hier, im Westen der neuseeländischen Nordinsel, wohnt jemand, dessen Wurzeln in Einsiedeln liegen müssen.
Gold lockt Schweizer an
Doch überraschen kann es eigentlich nicht. Die Gegend rund um den Vulkan Taranaki, dessen perfekte Form die weitläufige, grüne Landschaft dominiert, wird seit knapp 150 Jahren bewohnt von Schweizern – viele davon Landwirte. Ende des19. und Anfang des 20. Jahrhunderts galt: Wer von der Schweiz nach Neuseeland auswanderte, liess sich oft hier nieder.
Angefangen hat die Geschichte der Schweizer in Neuseeland allerdings noch früher. Der Maler John Webber begleitete den berühmten britischen Entdecker James Cook 1777 auf dessen dritter Südseereise. Der Schweizer, der in London lebte, hatte den Auftrag, die Expedition in Bildern festzuhalten und war somit der erste Schweizer, der neuseeländischen Boden betrat.
Es dauerte aber noch einmal gut 80 Jahre, bis weitere Landsmänner das andere Ende der Welt erreichten. Es waren mehrheitlich Tessiner und einige Bündner, wie Joan Waldvogel, selber eine Tochter von Schweizern, in ihrem Buch «Swiss Settlers in New Zealand» nachzeichnet. Ihre Suche nach wirtschaftlichem Glück – sprich Gold – führte die oft jungen Männer zuerst nach Australien und weiter nach Neuseeland.
Harte Arbeiter haben's gut
Ab den 1870er-Jahren waren es dann viele Bündner Bauern, später auch solche aus der Zentralschweiz, den Kantonen Bern, Zürich, St. Gallen und Aargau. Felix Hunger, ein Hufschmied aus Safien Platz GR, spielte eine entscheidende Rolle, erklärt Joan Waldvogel im Gespräch mit der BauernZeitung. «Er brachte den Ball für andere Schweizer Bauern ins Rollen.»
Hunger, geboren 1837, verliess als 19-Jähriger die Schweiz Richtung Australien. Später siedelte er, möglicherweise auf der Suche nach Gold, auf die neuseeländische Südinsel über. Anfang der 1870er-Jahre schliesslich zog es ihn in die Region Taranaki im Westen der Nordküste. Es sei eine Gegend, in der man als «harter Arbeiter gut über die Runden kommen kann», hielt er in einem Brief fest.
Auf der Suche nach Land
1874 reiste er in die Heimat zurück, um sich eine Frau zu suchen und sie nach Neuseeland mitzunehmen. Er hatte aber noch ein zweites Ziel: So viele abenteuerlustige Schweizer wie möglich zu überreden, mit ihm nach Neuseeland zu reisen. «Wir wollen junge Personen, die mit der Landwirtschaft vertraut sind – und so viele junge Frauen und Mädchen wie möglich, die Kühe melken und Butter und Käse herstellen können.
Dies schrieb ihm ein Bekannter aus Neuseeland. Die neuseeländische Regierung förderte zu dieser Zeit die Einreise von Europäern in das junge und noch kaum entwickelte Land aktiv. Felix Hunger berichtete in seinem Umkreis im Bündnerland von den Möglichkeiten, die Bauern in Neuseeland hätten. Viele von ihnen fackelten, geplagt von wirtschaftlichem Elend, Überpopulation und kaum Aussicht, einmal einen Hof in der Heimat übernehmen zu können, nicht lange.
Sage und schreibe 24 Personen überzeugte Hunger dazu, die über 100 Tage dauernde und mühselige Schifffahrt zu wagen, das alte Leben hinter sich zu lassen und in Neuseeland einen Neustart zu wagen. «Ihr Traum war es, dereinst einen eigenen Hof mit Land zu haben», erklärt Joan Waldvogel.
Ein «Schweizer Nest»
Die meisten waren mit ihm verwandt und liessen sich in der Nähe von ihm nieder. Die Region Taranaki wurde so zu ihrer neuen Heimat. Als in den Jahren und Jahrzehnten darauf mehrere Hundert andere Schweizer aus ähnlichen Gründen nach Neuseeland auswanderten, zog es viele von ihnen ebenfalls in die Gegend, da es «dort bereits eine etablierte Schweizer Gemeinschaft gab, die die Neuankömmlinge sowohl moralisch wie auch tatkräftig unterstützte», wie die Autorin ausführt.
Im Jahr 1874 lebten 183 Schweizer in Neuseeland. 1916 waren es bereits deren 670. Heute zählt das Bundesamt für Statistik über 7000 Auslandschweizer im Land. Noch immer ist die Gegend um den Vulkan Taranaki ein «Schweizer Nest». Das beweist etwa das Schwingfest, das einmal pro Jahr – immer im Februar – vom dortigen Schweizer Verein veranstaltet wird. Und Geschlechter wie Gwerder und Kuriger findet man in der Gegend nach wie vor – oder eben ins Englisch angepasste Namen wie Kalin.Matthias Stadler
Zum Autor
Matthias Stadler stammt aus Brunnen SZ. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der «Luzerner Zeitung» als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in Auckland, wo er als Korrespondent für verschiedene Deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur.