Wie stark der Ukraine-Krieg und das Coronavirus einen direkten Einfluss auf die weltweite Agrarpolitik ausüben, sei dahin gestellt. Das zu beurteilen, überlasse ich den allgemeinen Medien und dem Menschenverstand jedes einzelnen. Doch Tatsache ist, dass sich die Futtermittelpreise in den letzten zwei Jahren hier in Paraguay mehr als verdoppelt haben – natürlich zog der Milchpreis nicht im gleichen Masse mit.

Fleisch gibt mehr Erlös als Milch

Wie in der Schweiz, rechnet auch hier der Bauer schnell – nur ist es in Paraguay noch einfach, ohne Kontrolle etwas umzustellen oder betriebliche Veränderungen zu unternehmen. Somit wird bei mehreren Runden Terere, dem traditionellen Mate-Tee, im Schatten nach neuen Verdienstmöglichkeiten gesucht, die die regionale Vermarktung und ihre Wertschöpfung abdecken. Nach kurzen, aber intensiven Überlegungen zeigten sich schnell zwei neue Betriebszweige.

Der Erste, um den teuren Futtermitteln zu trotzen, ist Fleischproduktion. In Paraguay sind die Menschen Fleischesser. Täglicher Fleischverzehr liegt an der Tagesordnung und ist landesweit verbreitet. Bei der sonntäglichen Asado-Grill-Tradition verzehrt eine vierköpfige Familie gut zwei bis vier Kilogramm Fleisch. Nicht nur die Preise der Futtermittel, sondern auch die Fleischpreise steigen ohne Preisschutz. Und für ihr «tägliches Fleisch» gibt das Volk noch lange Geld aus.

Wenig Bürokratie macht vieles einfacher

Schnell sind also sechs Milchkühe und sechs Kälber verkauft. Dies ohne jegliche Ab- oder Anmeldung und ganz ohne Papierkram – weder für den Transport noch für eine Datenbank. Geregelt lediglich mit einer Terere-Runde und einer handgeschriebenen Quittung. Wenn eine Brennmarke vorhanden ist, kommt dabei eine Kopie des Brennmarkenpasses mit.

Mit dem Erlös wird kurzerhand ein uralter Viehtransporter gekauft, um die kommenden Viehhandelsgeschäfte selbst in die Hand zu nehmen. Von etwas weiter entfernt holen wir unsere ersten fünf Aufzuchtrinder der Rasse Brahmas für umgerechnet etwa 200 Schweizer Franken pro Rind im Alter von sieben bis acht Monaten. Ohne Bewilligung bauen wir mit selbstgefällten Bäumen ein neues Gehege und einen kleinen Unterstand aus Wellblech und Spanplatten. Ein einfaches und günstiges Wochenprojekt und gut ist. Bereits hatten wir in der selben Wochen zwei Transportanfragen, was uns erlaubt, unseren zugekauften Viehlaster zu amortisieren.

Markt für Europäer

In Paraguay hat es auch Europäer, die sich nach mehr europäischem Gemüse sehnen, nach europäischen Essmanieren, nach europäischem Brot und Käse. Es sind Europäer mit Heimweh nach Bioprodukten und vertrautem Selbstgemachtem. So steht auch hier schnell unser weiteres Standbein. Wir organisieren einen Sonntagsbrunch mit eigenen Bio-Hofprodukten und selbstgemachtem Holzofenbrot. So produzieren wir vielfältig und können alles Eigene – von Huhn über Milchkuh, Schwein und Mutterkuh – liebevoll verarbeiten und anbieten.

Streichelzoo und Heilkräuter

Unsere Ziegen, Schafe, Enten und Ferkel eignen sich als zeitlich begrenzter Streichelzoo für all die Stadtkinder. Und das Pony und das Pferd, geführt durch unser Campo, bieten eine Runde Cowboy- oder Cowgirl-Feeling an. Ein kleiner, kurzer Vortrag über ein Heilkraut, das auf dem Campo wächst, ist im Preis inbegriffen. Die Kräuter gibt es dementsprechend im Hofladen – der zuerst einmal nur unser Gartentisch sein wird – nebst anderen eigenen Hofprodukten zu kaufen.

DossierBäuerinnen und Bauern produzieren in Afrika Lebensmittel, sind aber paradoxerweise besonders von Nahrungsmangel betroffen. (Bild pd)AuswandererMontag, 4. Januar 2021 Unsere Idee der neuen regionalen Vermarktung: vielseitige Produktion mit grosser Wertschöpfung. Flyer werden verteilt, mündlich wird es herumerzählt. Der erste Brunch findet an Ostersonntag statt, danach jeden ersten Sonntag im Monat. Vorbereitungen laufen nun auf Hochtouren, da sich bereits über 50 Personen angemeldet haben – viel mehr, als wir erwartet hatten. Doch in Paraguay lässt man sich nie stressen, weder durch Preiserhöhungen, durch Zeitungsartikel, durch Unwetter mit Stromausfall und noch viel weniger durch Menschen, die die Bauern und Bäuerinnen noch zu schätzen wissen. In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern und Leserinnen eine schöne und entspannte Osterzeit.

Zur Autorin

Michèle Huber ist gelernte Landwirtin mit Fachrichtung Bio und Permakultur. Ein von ihr initiiertes PRE mit dem Ziel einer neu ausgerichteten regional-solidarischen Landwirtschaft fand Anklang bei Inforama, FiBL und Bio Schwand und wurde sogar vom BLW und Lanat anerkannt und finanziell mitunterstützt. Leider funktionierte die Umsetzung nicht ganz, der Landkauf gelang nicht. Überzeugt von ihren Idealen, gab Michèle Huber nicht auf und startete das Projekt nun im fernen Paraguay.