Ich dachte immer, die Schweiz sei das Käseland schlechthin. Inzwischen bin ich anderer Meinung: Frankreich ist das Käse-Mekka von Europa. Über das ganze Land verteilt gibt es 51 Käse- und Buttersorten, die AOP-geschützt sind. Bereits im Departement Puy de Dôme, in dem ich nun zu Hause bin, gibt es sechs verschiedene AOP-Zonen. Der Betrieb der Familie Agay liegt dabei im Kreuzungsbereich von zwei Zonen: dem AOP Bleu d’Auvergne und dem AOP Fourme d’Ambert. Beides sind Blauschimmelkäse, von denen ich in der Schweiz noch nie etwas gehört hatte.
Regionaler Käse zum Dessert
Bereits 2019 war ich für 5 Monate in dieser Region und habe dabei die Käsekultur Frankreichs kennengelernt. Nach jeder Mahlzeit bei meiner Gastfamilie gab es Käse. Meistens Bleu oder Saint-Nectaire, beides regionale Sorten des Puy de Dôme. Blauschimmelkäse war mir bis dahin nur vom italienischen Gorgonzola bekannt. Auch vom Roquefort hatte ich schon gehört, dieser wird jedoch aus Schafmilch hergestellt. Aber grundsätzlich waren diese Schimmelkäse nicht mein Geschmack.
Es brauchte einige Wochen mit immer wieder Probieren, bis ich auf den Geschmack gekommen bin. Ein weiches Stück Bleu auf einem feinen Baguette zum Dessert – mmmmh!
Siloballen ja – Silo nein
Käsereimilch war für mich in der Schweiz der Inbegriff von silofreier Fütterung. Hier ist Silo auch verboten, Siloballen aber nicht. Die Franzosen unterscheiden zwischen «ensilage», was dem Silo aus dem Fahrsilo oder Hochsilo entspricht, und «enrubanage», was dem Silo von der Siloballe entspricht. Aber warum? Unser Betrieb verfügt sogar über einen überdachten Fahrsilo. Bis Anfang der 2000er-Jahre wurde dieser genutzt.
[IMG 2]
Als Christian, der Besitzer des Betriebs, mir erklärt, wie sie damals siliert haben, staune ich. Das Gras wurde damals ohne Anwelken per Direktschnitt mit dem Häcksler einsiliert und zugedeckt, ohne zu walzen. Wenn ich mir diese Futterqualität vorstelle, graut es mir. Als dann immer mehr Betriebe auf diese Konservierungsmethode setzten, kam es zu Problemen bei der Käseverarbeitung, denn es gab immer mehr Buttersäure-Bakterien in der Milch. Bald wurde dies dann auf die «ensilage» zurückgeführt und diese verboten.
Seit dem Fahrsilo-Verbot sind nun nur noch Siloballen erlaubt und die Tankmilch wird zwei Mal pro Monat auf Buttersäure-Bakterien getestet. Um Abzüge möglichst zu vermeiden, verzichten viele Betriebe ganz auf Siloballen. In unserer Ration sind zu Emd und Luzerneheu auch Siloballen mit 60 % Trockensubstanz im Einsatz. Es läuft gut. Nur eine Kontrolle enthielt diesen Winter zu viele Buttersäure-Bakterien und im Monatsschnitt waren wir immer unter der Abzugsgrenze.
AOP-Produkte mit vielen Auflagen
Nebst den Buttersäure-Bakterien wird unsere Milch bei jeder Lieferung auf Bakterien wie E. coli und Salmonellen untersucht, da unsere Milch ohne Pasteurisation zu Käse verarbeitet wird. Der Blauschimmel kommt also nicht aus unserer Milch. Diese muss einwandfrei sein. Der Blauschimmel wird erst vier Tage nach der Verkäsung mit langen Nadeln in den Käse «geimpft». Neben der Milchqualität wird auch sonst einiges von den Produzenten gefordert: maximale Kraftfuttermengen pro Kuh und Jahr, GVO-Freiheit und im Sommer wenn möglich Vollweide.
[IMG 3]
Beim Studieren des AOP-Kataloges fällt mir eine interessante Vorgabe auf: Das gesamte Futter für Kühe und Rinder muss aus der entsprechenden Käsezone kommen. Das heisst, Rinder müssen in der Zone aufgezogen und gesömmert werden, und wenn das Futter knapp ist, kann man nicht einfach kaufen, wo man gerade will. Letzteres stellt vor allem in trockenen Jahren wie 2022 eine grosse Herausforderung dar, denn die Trockenheit betrifft meistens die gesamte AOP-Zone. Die Trockenheit und die Futtermenge werden in den kommenden Jahren der Knackpunkt für uns werden. Denn in keinem der letzten fünf Jahre wurde das normale Niederschlagsmittel von 700 mm/Jahr erreicht. Letztes Jahr waren es nur gerade 467 mm Regen, die vom Himmel gefallen sind.
Trotz dieser Herausforderungen sehe ich optimistisch in die Zukunft. Aktuell zahlt unsere Käserei 48 Cent pro Liter plus 2 Cent AOP-Zuschlag und 2 Cent Rohmilchkäse-Zuschlag. Die Industriemilch in Frankreich hingegen ist bereits wieder im Fall Richtung 40 Cent pro Liter. Die AOP-Milch ist gesucht und der Bleu d’Auvergne und der Fourme d’Ambert sind begehrte Produkte in den Ladenregalen.
Futterautonomie anstreben
Damit wir möglichst wirtschaftlich produzieren können, streben wir Futterautonomie an. Dafür werden wir in unsere Flächen investieren müssen. Mit 65 Kühen plus Aufzucht auf 96 Hektaren Naturwiese gehören wir zu den intensiven Betrieben der Region. In einem guten Jahr können wir auf drei Schnitte hoffen. Zwei Schnitte und eine ergiebige Herbstweide wären auch gut.
[IMG 4]
Acht Hektaren haben wir im April übersät, da die Mäuse darin ordentlich gewütet haben. Nächstes Jahr wollen wir auch eine Kunstwiese mit einer Gras-Klee-Luzerne-Mischung anlegen, um zu testen, ob sich diese besser gegen die Sommertrockenheit bewährt.
Grasmischungen sind hier eine Neuheit und werden ab nächstem Jahr subventioniert. Wenn man übersät oder Kunstwiese macht, wird sonst reines Raigras gesät. Da die Tierdichte hier viel geringer ist, ist es schwierig, an organische Dünger zu kommen. Unsere Gülle reicht bei Weitem nicht für unsere Flächen. Die vulkanischen Böden sind sehr alt und tendenziell sauer.
Im März, als das Gras zu wachsen begann, haben sich die Grasspitzen blau-violett verfärbt. Klarer Phosphormangel. Bisher wurde auf diesem Betrieb nur mit Stickstoff gedüngt. Wir stellen nun um auf Volldünger und ziehen im Herbst Bodenproben.
Zur Person:
Lena Junker hat Agrarwissenschaften an der ETH Zürich studiert. Danach hat sie in der Schweiz für eine Futtermittelfirma gearbeitet, bis sie Ende 2022 nach Frankreich ausgewandert ist. Gemeinsam mit ihrem Freund Mathieu ist sie auf dem Betrieb von Michelle und Christian Agay angestellt, den die beiden per 2024 übernehmen wollen. Der Betrieb liegt im Massif Central auf 850 m ü. M., umfasst 96 Hektaren und 65 Milchkühe mit Aufzucht. Die Milch wird an die regionale Molkerei verkauft, wo der AOP-Käse Bleu d’Auvergne hergestellt wird.