Das Land der Schafe hat sich in den vergangenen 40 Jahren drastisch verändert. Gab es 1982 in Neuseeland 70 Millionen Schafe – gut 22 pro Einwohner – sind es dieser Tage «nur» noch 26 Millionen und somit fünf pro Einwohner(in). Viele Schafzüchter sattelten in dieser Zeit auf die boomende Milchwirtschaft um. Doch noch gibt es sie: Die neuseeländischen Schafzüchter, die mit riesigen Herden Strassen blockieren und Touristen damit entzücken. Einer dieser Züchter ist Samuel Werder, der mit seiner Frau Laura im Westen der neuseeländischen Nordinsel eine Farm führt. Am sogenannten Forgotten World Highway – also an der Strasse der vergessenen Welt – züchtet er jedes Jahr tausende Schafe. Wie es die Ortsbeschreibung ahnen lässt, liegt die Farm mitten im neuseeländischen Nirgendwo. Es ist genau das, was der 34-Jährige schätzt, wie er bei einem Besuch der BauernZeitung erklärt: «Wir sind weit weg von grossen Städten. Entsprechend ist es hier sehr friedlich.»
Bis zu 500 Schafe pro Tag
Das Ehepaar übernahm das Anwesen vor acht Jahren, vor drei Jahren kam eine weitere Farm gut anderthalb Stunden Autofahrt entfernt dazu. Knapp 1200 Hektaren nutzbare Fläche steht den Tieren zur Verfügung. Ein grosser Unterstand, wo die Schafe geschoren werden, bildet das Herzstück des Hofs. Rund 5800 Schafe grasen im hügeligen Land und gut 6500 Lämmer züchten die Werders jährlich. «Wir gehören sicher zu den grösseren Farmen in der Region», sagt Samuel Werder. Das bringt vielArbeit mit sich, beispielsweise das Schafscheren. «Die meisten Schafzüchter in Neuseeland stellen Arbeiter an, um die Schafe zu scheren», erläutert der dreifache Familienvater. «Doch wir verrichten diese Arbeit selber. Vor allem, um Kosten zu sparen.» Er schere geschätzt zwischen 10 000 und 12 000 Schafe pro Jahr. Bis zu 500 Schafe an einem Tag sei das Maximum.
Zuverlässig und pünktlich
Samuel Werder spielte lange Rugby und arbeitet seit Jahren als Farmer. Das macht ihn zu einem waschechten Neuseeländer. Doch durch seine Adern fliesst Schweizer Blut. Sein Vater wanderte als junger Mann nach Neuseeland aus, wo er später seine künftige Frau – eine Ostschweizerin, die auf Reisen war – kennenlernte. Auf dem elterlichen Hof mussten die Kinder früh anpacken. Laura Werder sieht auch heute noch den Schweizer Einfluss in ihrem Ehemann: «Er kann gut mit Geld umgehen. Zudem ist er zuverlässig, pünktlich und arbeitet hart», sagt die 33-jährige Neuseeländerin.
Am jährlichen Treffen des Auslandschweizervereins mass sich Samuel Werder jahrelang mit anderen jungen Auslandschweizern im Sägemehlring. Er gewann mehrmals das am weitesten von der Schweiz entfernte Schwingfest. «Wir gehen gerne an die Anlässe des Auslandschweizervereins», erklärt der Landwirt. Er versucht, auch seinen drei Kindern Schweizer Werte zu vermitteln. Sie begleiten ihn immer an die Treffen des Vereins. Zudem müssen auch seine Kinder auf der Farm bereits anpacken. «Sie haben grosse Freude daran. Unser Ältester hilft mir jeden Morgen vor der Schule», führt der sichtlich stolze Vater aus.
Schwierigkeiten durch Covid
Neben den Schafen hält der Landwirt auch noch fast 600 Kühe, 185 Stiere und vier Hunde. Letztere seien ihm eine grosse Hilfe. «Die Hunde erleichtern unsere Arbeit enorm.» Er hat einen Farmmanager angestellt, der auf der zweiten Farm zum Rechten schaut. Ohne diese Hilfe wäre die Arbeitslast nicht zu tragen. Zwei Drittel des Einkommens stammen aus dem Verkauf von Lammfleisch. Der andere Drittel aus Rindfleisch, Stieren und ein kleiner Teil aus dem Verkauf von Schafswolle. Das aktuelle Jahr laufe bisher recht gut, erzählt Samuel Werder. «Wir hatten gutes Graswachstum und viele neue Lämmer.» Auch die Preise für die Tiere seien gut. Doch habe Corona einige Probleme mit sich gebracht, so etwa bei den Lieferketten, die teilweise unterbrochen wurden. Zudem hätten sich die Frachtpreise teilweise verdreifacht. Aber das bringt die Familie Werder nicht aus der Ruhe. Ihre Farm ist so gross, dass sie auch unruhige Zeiten einigermassen unbeschadet überstehen können. Deswegen muss es sie auch nicht gross beschäftigen, dass es in Neuseeland von Jahr zu Jahr weniger Schafe gibt. Denn auch 26 Millionen Schafe im Land mit fünf Millionen Einwohnern ist trotz allem eine nach wie vor stattliche Zahl.
Matthias Stadler stammt aus Brunnen. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der «Luzerner Zeitung» als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in Auckland, wo er als Korrespondent für verschiedene Deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur.