Es stimmt: Ich besorge mir einen Waffenschein und eine Flinte. Und es stimmt auch, dass der Grund dafür die wachsende Zahl von Räubern ist. Ich meine damit die Viscacha, ein bis zu 7 kg schweres Nagetier, das wegen seiner schwarzen Streifen im Gesicht an die maskierten Panzerknacker aus dem Donald-Duck-Universum erinnert.
Viscachas leben in bis zu 3 Meter tiefen Höhlen in Gruppen von 30 bis 50 Tieren und fressen im Umkreis von ein bis zwei Hektaren alles, was wächst – auch die aufwendig gepflanzten Jungbäume oder angesäten Ackerkulturen.
Ein Gewehr muss jetzt her!
Ich habe dem Treiben lange zugeschaut, doch nun ist Schluss. Es werden immer mehr Viscachas und ich finde bei jedem Rundgang neue Höhlen auf meinem Land. Sie stellen neben der Ernteeinbusse eine Verletzungsgefahr für unsere Pferde und Rinder dar. Nicht auszumalen, wenn ein Pferd samt Reiter im nachgebenden Boden einbrechen oder sich in einem der vielen Höhleneingänge das Bein verrenken oder gar brechen würde.
Den Kauf einer Schrotflinte beabsichtigte ich schon vor zwei Jahren. Ausserdem ist das Fleisch der Viscachas sauer eingelegt eine Delikatesse, es wird als Vorspeise in angesagten Restaurants serviert.
Nach absolvierten Psychologie- und Gesundheitstests, nach der treuhänderischen Bekundung, dass ich die Steuern immer rechtzeitig zahle, und nach Vorweisen des tadellosen Strafregisterauszugs hat man mir mitgeteilt, dass ich mit meiner temporären Niederlassung keinen Waffenschein erhalten würde. Nach drei Jahren der temporären Niederlassung habe ich nun die permanente Bewilligung erhalten – ein historischer Moment und ein Meilenstein!
Das behördliche Rösslispiel
Ich erspare allen die Details dieser Odyssee mit den argentinischen Behörden. Hierbei habe ich gelernt, was Geduld ist und wie man seine innere Ruhe behält. Nur ein kleines Beispiel: Um den Prozess zur Erteilung der Niederlassung zu starten, muss man verschiedene Beträge bezahlen. Natürlich jeden an einem anderen Ort (dazu kommen Supermärkte, Kioske, Apotheken, Zahlstellen und selbst Banken infrage).
Für eine Zahlung von umgerechnet 80 Rappen klapperten wir insgesamt sieben solcher Zahlmöglichkeiten ohne Erfolg ab, bis wir schliesslich Erlösung fanden. Natürlich wartet man bei jeder Kasse geduldig in einer langen Schlange, die sich daraus ergibt, dass sogar bei kleinen Beträgen grosse Geldbündel über den Tresen gehen, die dann vorsorglich zwei bis dreimal nachgezählt werden.
Die Zahlung nahm den ganzen Tag in Anspruch und wie gesagt, das ist nur eines von vielen Details. Der Prozess wiederholte sich dann jährlich bis zur Erteilung der definitiven Niederlassungsbewilligung. Da wirkt die Ansage des Präsidenten, den Regel-Dschungel zu durchforsten und unnötige Erschwernisse abzubauen, wie Balsam auf meine geschundene Bürokratie-Seele.
Am Geduldsfaden gerüttelt
Argentinien ist das einzige Land, das – Präsident Milei sei Dank – ein De-Regulierungs-Departement gegründet hat. Meiner Meinung nach ein Vorbild für die Welt! Nun warte ich seit zwei Monaten auf die Erteilung des Waffenscheins. Ich wurde inzwischen gebeten, einige Unterlagen aktualisiert nachzuliefern, weil sie seit Einreichen des Gesuchs älter als einen Monat sind. Die Behörden rütteln gehörig an meinem Geduldsfaden, aber ich bleibe verständnisvoll und erfreue mich in der Zwischenzeit an den Anzeichen der Natur, dass der Frühling bald einzieht.
Optimistisch bleiben
Der Winter war nämlich hartnäckig und zog schon früh ins Land. Es gab viele Tage, die mit Temperaturen unter null Grad begannen und dann im einstelligen Plusbereich ihr Hoch erreichten. Wenn der kalte Südwind dazu bläst, ist selbst einem Schweizer der Platz hinter dem Ofen lieber, als draussen Holz zu sägen.
Aber jetzt blühen schon die Mandelbäume und die Vogelnester füllen sich mit Leben. Die Pferde haaren und die Hühner legen wieder mehr Eier. Alle Ackerflächen, die noch im Herbst eingesät worden sind, weisen einen guten Jungbestand auf und die dauernde Feuchte dieses ungewöhnlichen Winters (letzte Woche schneite es sogar, was etwa alle zehn Jahre vorkommt) hat der Vegetation gutgetan. Von den ca. 500 gesetzten Bäumen haben etwa 150 überlebt, sie konnten sich nun etablieren und dürften bestehen.
Bis zur Ernte des Dinkels Ende Dezember, Anfang Januar wird es noch viel Potenzial für Enttäuschungsmomente geben. Nach dem Motto «Erwarte das Schlimmste und hoffe auf Beste» bleiben wir positiv und lassen uns als unverbesserliche Optimisten nicht unterkriegen.
[IMG 2] Zur Person: Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von elf Hektaren im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und den zwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzuwenden.