In Erwin Heblers Brust schlagen zwei Herzen. Eines für die Schweiz und eines für Neuseeland. Einerseits schwingt der 32-Jährige leidenschaftlich gerne, andererseits spielte er bis vor wenigen Jahren auch regelmässig Rugby. Der Grund ist in der Geschichte der Familie Hebler zu suchen. Sein Vater wanderte als junger Mann von Buttisholz im Kanton Luzern ans andere Ende der Welt aus, um dort einen eigenen Hof zu betreiben. Seine Mutter stammt ganz aus der Nähe, aus Ebersecken. Sie lernte ihren künftigen Partner auf Reisen in Neuseeland kennen und blieb.
Erwin Hebler ist seit sechs Jahren als Milchbauer tätig und übernahm im vergangenen Jahr den Hof seiner Schweizer Eltern. Das Anwesen befindet sich in der Nähe des Städtchens Hawera im Westen der neuseeländischen Nordinsel. In der Region leben Hunderte von Landwirten von der Milchwirtschaft, viele davon mit Schweizer Abstammung.
Enorm hoher Milchpreis
Für die 410 Kühe stehen auf Erwin Heblers Hof 150 Hektaren zur Verfügung, 125 davon für die Milchkühe, der Rest für das Jungvieh. Damit hat sein Hof eine durchschnittliche Grösse in der neuseeländischen Milchlandwirtschaft. Die Rassen, die er hält, sind Friesian und eine Jersey-Mischung. Wie der Grossteil der neuseeländischen Milchbauern arbeitet auch Hebler mit dem Milchproduzenten Fonterra zusammen. Das Unternehmen, welches die grösste Firma im Land ist, hat über 10 000 neuseeländische Bauern unter Vertrag.
Für das Kilo Milchfett – in Neuseeland ist das die matchentscheidende Einheit – erhält Erwin Hebler laut eigenen Angaben derzeit rund 7,60 Dollar, also etwa 5 Franken. «Der Preis ist momentan sehr gut. Zu meiner Anfangszeit lag er bei knapp 4 Dollar», erzählt er. Der Preis ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr, berichtet die grösste neuseeländische Tageszeitung New Zealand Herald. Grund dafür sei unter anderem, dass die chinesische Wirtschaft, die ein Grossabnehmer der neuseeländischen Milch ist, nach dem Ausbruch von Covid-19 robuster unterwegs ist als erwartet.
Vollautomatisches Melken
Neben dem Milchpreis ist für Erwin Hebler, der mit seiner deutschen Ehefrau Vivien zwei kleine Söhne hat, auch eine möglichst hohe Effizienz ein grosses Thema: «Weil wir Bauern vom Staat kein Geld erhalten, müssen wir so kostengünstig und somit so effizient wie möglich arbeiten. Ansonsten lohnt es sich nicht. Deswegen stellen wir auch nicht viele Leute an.» Ein Arbeiter sowie eine Aushilfe während des Kalberns müssen reichen, ab und zu hilft auch seine Frau aus.
Wegen der Effizienz verlegt er momentan auf dem Anwesen neue Wasserleitungen. Zudem haben seine Kühe Ohrsensoren. Diese übermitteln ihm wichtige Daten direkt auf sein Handy und teilen ihm mit, ob das Tier gesund ist. Es zeigt auch an, ob eine Kuh bereit für die Besamung ist. Zudem installierten seine Eltern vor wenigen Jahren eine neue Melkanlage, die als topmodern gilt. 44 Kühe können gleichzeitig gemolken werden. Dank dem vollautomatischen Melkkarussell sind sämtliche Tiere innerhalb von anderthalb Stunden gemolken. «Das ist eine enorme Hilfe.»
Besuche in der Schweiz
Erwin Hebler ist passionierter Landwirt, das merkt man schnell. «Ich will meine Arbeit richtig und gut machen», sagt er mit Überzeugung. Das sei wohl typisch schweizerisch an ihm. Auch dass er sparsam sei und mit Geld gut umgehen könne, sei dem Schweizer in ihm zuzuschreiben. «Typisch neuseeländisch an mir ist, dass ich zumeist sehr entspannt bin und die Dinge stets versuche, positiv zu sehen.» Die «es kommt schon gut»-Einstellung ist im Land tief verankert.
Aufgewachsen ist Erwin Hebler in Neuseeland, er spricht fliessend Schweizerdeutsch, wenn auch nicht ganz fehlerfrei. Aber andere Schweiz-Neuseeländer der zweiten Generation sprechen teilweise nur sehr wenig Mundart. Als Zwölfjähriger habe er seine Eltern gefragt, wieso sie mit ihm Schweizerdeutsch sprechen. «Heute bin ich dankbar dafür, dass sie es getan haben.» Überhaupt ist ihm die Schweiz sehr wichtig. Er reist in normalen Zeiten immer wieder in seine zweite Heimat. Und so versucht Erwin Hebler auch seinen beiden Buben viel über das Land auf der anderen Seite der Welt mit auf den Weg zu geben. Hoffentlich, so der Landwirt, werden auch sie dereinst die Schweiz im Herzen behalten, trotz der Distanz.
Zum Autor
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Matthias Stadler stammt aus Brunnen SZ. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der «Luzerner Zeitung» als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in Auckland, wo er als Korrespondent für verschiedene Deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur.