Vermutlich kennt man die mehrheitlich in den USA lebenden Amischen, welche auf die Annehmlichkeiten der modernen Welt verzichten und wie vor 400 Jahren hausen und den Boden mit Pferden bearbeiten. Von den mit ähnlicher Ausrichtung in Argentinien lebenden Mennoniten hörte ich erstmals nach unserer Auswanderung.

Als Wiedertäufer von den Katholiken verfolgt

Der Ursprung der Mennoniten geht zurück auf den Reformer Menno Simons im damaligen Friesland. Er und seine Anhänger wurden als Wiedertäufer von den Katholiken verfolgt und die kleine Gemeinschaft setzte sich ins Exil ab, zuerst nach Preussen, danach nach Russland, Kanada, Mexiko und schliesslich nach Argentinien.

In jedem Land verblieben einige, die konservativer Ausgerichteten wanderten weiter, so dass man hier in der argentinischen Pampa eine sehr strikt geführte Gruppe von ca. 1859 Menschen findet, die zusammen 10 000 Hektaren Fläche bewirtschaften. Die meisten von ihnen besitzen mit ihrer Familie zwischen 10 und 20 Hektaren Land, ein bis zwei Hand voll Kühe, deren Milch in einer kooperativ geführten Käserei verarbeitet wird, und ein paar Pferde.

Traktoren nur mit Stahlreifen erlaubt

Die hier ansässigen Mennoniten haben lediglich die Bibel als Lesestoff zur Verfügung und verzichten auf Technologie und moderne Dinge wie Telefone, Fernseher, Computer und Strom. Wobei, um genau zu sein, sind die Regeln so, dass man Strom für die Herstellung von Verkaufswaren benutzen darf, jedoch nicht für den eigenen Gebrauch. So findet man grosse Fertigungshallen für Stahlgerüste, Silos, Zäune und Holzfertigungs-Einrichtungen oder Schweissgeräte. Man sieht hier äusserst tüchtige und geschickte Handwerksleute, deren Produkte und Dienste gesucht sind. Traktoren dürfen verwendet werden, jedoch nur mit Stahlreifen.

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Für den privaten Verkehr werden die Buggys, selbst hergestellte Einspänner mit Federungskomfort, benutzt. Witzig fand ich, dass jeder Buggy über ein Heck mit eingestanzter Automarke verfügt; vorwiegend deutsche Marken wie VW, Audi oder Mercedes. So sieht man vor jedem Geschäft, jedem Haus ein bis zwei Fuhrwerke. Vor den Kirchen (jedes Quartier hat seine eigene) befinden sich ca. 100 Anbindepfähle. Da am Sonntag keine Besucher zugelassen sind, konnte ich mir das eindrückliche Bild mit den vielen Pferden und Kutschen nur in Gedanken ausmalen. In den Kirchen selbst stehen nur harte Holzbänke ohne Lehne, damit auch niemand während der Predigt zu dösen beginnt.

Ein Auswärtiger mit dem Buggy unterwegs

Wir durften die Kolonie mit einer dort gut bekannten Reiseleiterin besuchen und bekamen so auch Zugang zu einzelnen Häusern von Familien, welche Besuchern offen gegenüberstehen.

Die Männer tragen alle dieselben Latzhosen und Hemden und die Mädchen und Frauen tragen lange, dunkle, selbst gefertigte Kleider im selben Stil. Die Mennoniten sind anfangs sehr verschlossen, doch wenn man versucht, sich mit ihnen auf Deutsch zu verständigen, dann huscht schon das eine oder andere Lächeln über die sonst eher nach unten gezogenen Mundwinkel. Nur verstehen kann man sich auch auf Hochdeutsch nicht, denn die Mennoniten sprechen Plattdeutsch, also ein nördliches Altdeutsch. Einige sprechen etwas Spanisch. Als ich mit Händen und Füssen erklärte, dass wir auch Pferde haben und es lieben, Kutsche zu fahren, übergab mir ein Familienvater spontan seinen Einspänner-Buggy und ich fuhr mit meiner Familie mit dem sehr gut ausgebildeten Ross die sandige Hauptstrasse der Kolonie entlang, begleitet von erstaunten Gesichtern. Ich denke, es kommt nicht sehr häufig vor, dass Auswärtige einen Buggy steuern dürfen.

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Die Welt aus einer anderen Perspektive

Die Zeit verflog und wir nahmen im einzigen Restaurant der Kolonie Platz. Für uns gab es elektrisches Licht, in der Küche hingegen hatte man alles auf Gas eingerichtet. Da es auch keine Kühlschränke und Kühltruhen gab, servierte man uns nur frische Speisen, die so köstlich waren, dass wir schon alleine deswegen einen weiteren Besuch planen.

Abends machten wir uns auf den Heimweg, der darin bestand, zunächst die 35 km Sandstrasse mit dem 4×4 zu bewältigen. Wir verliessen eine Welt, die einem riesigen, lebenden Museum gleichkam. Was uns erstaunte, war die Zufriedenheit und Ruhe, welche diese Menschen ausstrahlten. Wir modernen Menschen glauben, dass die Mennoniten ein sehr eingeschränktes, einfaches und vielleicht hinterwäldlerisches Leben führen, aber sie sehen es gerade umgekehrt, dass wir die unfreien Menschen sind, welche stets im Hamsterrad unsere Runden drehen und uns mit Unwichtigem abgeben. Eine interessante Perspektive, die nachdenklich macht.

Zur Person

Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von elf Hektaren im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und denzwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzuwenden.