Der Abstimmungskampf beschert Ihrer Arbeit zusätzliche Aufmerksamkeit. Schätzen Sie dieses Podium oder ist dieser Druck eher störend?
Lucius Tamm: Das gehört einfach zur Arbeit. Grundsätzlich leben wir in einer sehr spannenden Zeit, weil sich ein Grossteil der Bevölkerung mit Landwirtschaft und damit, wie ihre Lebensmittel produziert werden, beschäftigt. Es ist auch eine grosse Chance, dass überhaupt darüber diskutiert wird. Wenn wir zu dieser Diskussion etwas beitragen können, dann ist das gut.

Ihr als FiBL wart ja anders als Bio Suisse kaum im Kreuzfeuer, haben Sie sich auch politisch engagiert?
Tamm: Wir gehören einer Stiftung mit einer breiten Trägerschaft und unsere Funktion ist es, dass wir Fakten zur Einordnung liefern, um so zur Meinungsbildung beizutragen. Aber wir sprechen keine Abstimmungsempfehlungen aus. Mit der Parolenfassung von Bio Suisse haben wir nichts zu tun, das ist ein demokratischer Prozess innerhalb des Verbands.

Syngenta ist derweil mitten im Kreuzfeuer, Sie halten sich aber ziemlich bedeckt. Warum das?
Roman Mazzotta: Es ist ein politisches Thema. Kampagnen werden in der Schweiz immer von Organisationen geführt, nicht von Firmen. Mitarbeitende von Syngenta sind aber präsent auf Podien und in den Medien. Sie leisten wie das FiBL Erklärungsarbeit. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, Politik zu betreiben.

Die Befürworter werfen Ihnen vor, die Bauern an in den Vordergrund zu schieben, während Sie sich nicht exponieren wollen. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Mazzotta: Erstens ist der Schweizer Bauernverband nicht auf Firmen angewiesen, er weiss durchaus was er macht und wie er es machen will. Wir hatten durchaus auch Gespräche mit dem SBV. Wir schieben keine Bauern vor, aber die Landwirte sind sicher die, welche am meisten betroffen sind und deshalb am meisten darüber sprechen können und müssen.

Sie wären ja auch betroffen mit massiven Umsatzeinbussen, sollten die Initiativen durchkommen, wie gross wären die Auswirkungen für Sie?
Mazzotta: Das Wort massiv wird etwas inflationär verwendet. Der Schweizer Markt trägt unter ein Prozent an den Gruppenumsatz bei. Aber es geht uns um die Grundsatzfragen, um die Standortqualität der Schweiz. Wir sind seit über 250 Jahren in der Schweiz aktiv. Wir haben ein Forschungszentrum in Stein/AG, unser Hauptsitz ist in Basel, wir haben unser grösstes Produktionswerk in Monthey VS, wir haben zwei weitere Produktionswerke in Muttenz BL und Kaisten AG. Wir haben einen grossen Fussabdruck in der Schweiz, deshalb ist es uns ein wichtiges Anliegen.

Was lassen Sie sich den Abstimmungskampf kosten?
Mazzotta: Wir engagieren uns über unsere Verbände scienceindustries und Economiesuisse. Zahlen nennen wir keine.

Wie würden Sie Ihr gegenseitiges Verhältnis beschreiben, Herr Tamm? Treiben Sie sich gegenseitig an in der Innovation?
Tamm: Es ist eine vielschichte Beziehung. Syngenta hat als gewinnorientiertes Unternehmen natürlich einen anderen Zweck als wir als unabhängiges Forschungsinstitut. Aber wir haben auf wissenschaftlicher Ebene verschiedenste Berührungspunkte, etwa dort wo es darum geht, biotaugliche Pflanzenschutzmittel zu entwickeln, da spielt die Industrie eine wichtige Rolle. Die Schweiz ist klein und man kennt sich untereinander, das ist auch oft konstruktiv und gut.

Eines der grossen Projekte des FiBL ist Kupferersatz, wäre Syngenta ein möglicher Partner, um so etwas zu vermarkten?
Tamm: Ja, das könnte tatsächlich ein Modell sein, allerdings ist das FiBL bei der Suche nach einem Kupferersatz bereits mit Fenaco eine Kooperation eingegangen. In anderen Bereichen ist ein solches gemeinsames Projekt aber nicht auszuschliessen. 

Ist das für Sie auch von Interesse, Herr Mazzotta?
Mazzotta: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eines der kollaborativsten Unternehmen zu sein in diesem Bereich. Ein Produkt zu entwickeln ist ein sehr teures Unterfangen. Da sehen wir durchaus sehr viele Chancen für Zusammenarbeit.

Sie und andere grosse Firmen engagieren sich in der biologischen Schädlingsbekämpfung. Ist das strategisch oder nur eine Nische?
Mazzotta: Das ist sicher strategisch, sonst würden wir es nicht machen. Man muss alle verschiedenen Technologien kombinieren, um das beste Resultat zu erzielen. Wir sind eine globale Firma mit sehr vielen regionalen Elementen. In der Schweiz hält der biologische Pflanzenschutz noch einen kleinen Umsatzanteil, aber er wächst.

Es ist eine zunehmende Tendenz, dass konventionelle Produzenten biologische Bekämpfungsmethoden übernehmen. Stört Sie das, Herr Tamm?
Tamm: Dass Biocontrol-Methoden in der Landwirtschaft breit eingesetzt werden, stört mich überhaupt nicht, im Gegenteil, das ist eine Erfolgsgeschichte. Wenn dieser Markt grösser wird, erhöht das die Möglichkeiten und die Motivation für die Industrie, in diesem Bereich vorwärts zu machen und zu investieren. Der Biolandbau sah sich immer in einer gewissen Pionierrolle. Es ist deshalb gut, dass diese Methoden breiter eingesetzt werden, das zeigt eigentlich, dass es funktioniert – über die Nische hinaus.

Sie haben keine Vorbehalte bezüglich Greenwashing dieser Firmen?
Tamm: Es hat bei Syngenta in den 1990er Jahren eine erste Welle von Interesse für biologische Schädlingsbekämpfung gegeben, dann verlief das wieder etwas im Sand, weil der Umsatz zu bescheiden war. In den letzten Jahren ist das Interesse für Biocontrol wieder rapide angestiegen. Dafür gibt es einige wichtige Treiber, darunter das Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten für Produkte mit weniger Rückständen.
Mazzotta: Wir versuchen uns auf allen Ebenen weiterzuentwickeln, so haben wir in den letzten zwölf Monaten auch einige Produkte herausgegeben, die chemisch-synthetisch sind mit sehr positivem Profil. Es braucht die richtige Anbaumethode für den richtigen Ort.  

Fühlen Sie sich missverstanden vom Publikum in der aktuellen Situation?
Mazzotta: Wir fühlen uns nicht missverstanden, aber ich habe Mühe mit dem aktuell herrschenden Schwarz-Weiss-Denken. Dabei denke ich auch an neue Technologien im Saatgut-Bereich, so wie etwa Genome Editing (Crispr-Cas, Red.). Landwirtschaft ist sehr vielfältig.

Wer ist schuld am Schwarz-Weiss-Denken?
Mazzotta: Es geht nicht um Schuldfragen, in einer solchen Diskussion werden Emotionen geschürt. Wir verstecken uns nicht und wollen unsere Sicht der Dinge auch erklären.

Ist das Problem tatsächlich so gross, wie von den Initianten geschildert?
Tamm: Das Problem ist sicher grösser, als man es bis vor kurzer Zeit noch angenommen hat. Es gibt zunehmend Daten, die zeigen, dass die Biodiversität massiv tangiert ist. Es ist auch schwierig vorauszusagen, was die Cocktails von PSM zur Folge haben. Für mich steht ausser Frage, dass es eine Agrarwende braucht und dass sie tiefgreifend sein muss. Das ist sehr teuer und man muss unbedingt schauen, dass die Landwirtschaft nicht unter die Räder kommt, denn die Wende ist eine gesellschaftliche Aufgabe und kann nicht alleine auf den Schultern der Bäuerinnen und Bauern ausgetragen werden.

«Es gilt, alle Technologien zu kombinieren, um das beste Resultat zu erzielen.»

Roman Mazzotta,CEO Syngenta Schweiz.

Was verstehen Sie konkret unter einer Agrarwende?
Tamm: Was man in der Schweiz jetzt gesehen hat, ist, dass trotz aller Anstrengungen die gesteckten Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden konnten. Also muss man offensichtlich von dieser in der Summe wenig nachhaltigen Landwirtschaftspraxis abkommen und diese weiterentwickeln. Dass das kein Spaziergang wird, ist auch offensichtlich.
Mazzotta: Der nächste Evolutionsschritt muss stattfinden. Unter einer Agrarwende verstehe ich aber nicht genau das, was man in der Schweiz als biologischen Landbau betreibt. Es braucht sämtliche Technologien: Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft. Auch chemisch-synthetische Produkte können ihren Beitrag leisten. Wir müssen die Flächen nachhaltig nutzen. Es gilt aus möglichst wenig Mitteleinsatz möglichst hohe Erträge herausholen, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Gleichzeitig sollen Biodiversität erhalten, die Böden gesund bleiben und CO2 binden. Es geht nicht um konventionell oder biologisch, sondern darum, das richtige Saatgut am richtigen Ort mit dem richtigen Pflanzenschutz einzusetzen. 

Der Biolandbau kann die Welt nicht allein ernähren, wo sehen Sie den Weg?
Tamm: Der zweite Teil des Satzes fehlt. Die konventionelle Landwirtschaft in der jetzigen Form kann das eben auch nicht bei gleichbleibenden Ernährungsgewohnheiten. Der Food Waste ist beispielsweise extrem hoch und hinzu kommt die Verfütterung von Kalorien, welche der Mensch auch direkt essen könnte. Der Biolandbau und andere naturnahe Anbaumethoden sind übrigens überhaupt nicht technologiefeindlich. Hier ist eine starke Entwicklung im Gang. Die Herausforderung ist für alle dieselbe: Die Intensität hochhalten und gleichzeitig Kollateralschäden vermeiden, das betrifft alle Anbauformen.

Haben dann nach einer Agrarwende synthetischer Pflanzenschutz und Kunstdünger noch Platz im System?
Tamm: Kategorisch ausschliessen will ich das ausserhalb des Biolandbaus nicht. Es ist durchaus möglich, dass es chemisch-synthetische PSM gibt, die ökotoxikologisch günstiger abschliessen als bisher. Viele Aktivsubstanzen sind vor allem deshalb problematisch geworden, weil sie in unglaublichen Mengen auf grossen Flächen eingesetzt wurden. Das Problem ist nicht die Substanzen an sich, sondern die hohe Intensität, mit der Landwirtschaft betrieben wird.

Da steht Ihnen global noch einiges an Arbeit bevor…
Mazzotta: Wenn wir uns nachhaltig weiterentwickeln wollen, können wir nicht einfach eine ganze Technologie verbieten. Der Schweiz als Forschungs- und Innovationsstandort steht es nicht gut an, wenn wir entscheiden, den chemisch-synthetischen Pflanzenschutz einfach auszuschliessen.

Wäre die Schweiz ein ideales Labor für einen Verzicht auf chemisch-synthetische PSM?
Tamm: Wenn es sich jemand leisten kann, Experimente einzugehen, wäre die Schweiz sicher nicht schlecht aufgestellt. Wir könnten Risiken besser kompensieren als Länder, die schon mit der Ernährungssicherheit zu kämpfen haben. Die Voraussetzung ist wie gesagt, dass dies nicht auf dem Buckel der Landwirtschaft ausgetragen wird. In einer ersten Phase würden die Erträge zurückgehen. Aber ich gehe davon aus, dass die Produktivität im Biolandbau gesteigert werden kann.
Mazzotta: «Wir können es uns ja leisten und schauen mal, was dann passiert und im schlimmsten Fall können wir dann wieder chemisch-synthetische PSM einsetzen»: Mit dieser Haltung habe ich ein Problem. Wir sind fähig, mit Risiken umzugehen und diese vernünftig zu managen. Nur weil etwas synthetisch ist, ist es nicht schlecht. Das ist für uns der völlig falsche Ansatz.
Tamm: Wenn die EU mit dem «Green Deal» sagt, sie wollen 50 % PSM reduzieren und 25 % Biolandbau erreichen, dann ist das ein relativ ambitioniertes Ziel und die Schweiz ist ja nicht alleine auf der Welt. Was die Risiken von PSM angeht, ist die Aussage von Herrn Mazzotta recht stark verkürzt. Die Problematik entsteht, wenn eine Substanz drei Eigenschaften hat: hoch aktiv, schwer abbaubar und mobil. Die Substanzen, die in der Umwelt für Probleme sorgen, sind genau so ausgewählt, dass sie diese Eigenschaften erfüllen.

«Die Agrarwende kann nicht nur auf den Schultern der Bäuerinnen und Bauern ausgetragen werden.»

Lucius Tamm, Direktor für Kooperation amForschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL).

Eine dieser Substanzen ist Chlorothalonil. Sie haben auf gerichtlichem Weg dafür gesorgt, dass die Grenzwerte vorläufig ausser Kraft gesetzt sind. Passt das zu Ihrem Nachhaltigkeitskonzept?
Mazzotta: Wir möchten, dass die Gesetze korrekt angewendet werden. Es geht nicht an, dass der Bund innerhalb weniger Wochen ohne wissenschaftliche Erkenntnisse vier nicht relevante Chlorothalonil-Metaboliten zu relevanten macht. Hier geht’s um die grundsätzliche Frage, ob der Bund die Gesetze richtig angewandt hat. Im Vergleich zu den Umweltverbänden sind wir übrigens sehr zurückhaltend mit Beschwerden.

Hat der Bund hier übergestürzt gehandelt?
Tamm: Ich äussere mich nicht zu laufenden Zulassungsverfahren. Aber diese betreffen uns natürlich. Sie wurden für chemisch-synthetische Substanzen konzipiert und die Anforderungskataloge sind für Chemikalien designt. Das gibt gewisse Erschwernisse für Pflanzenextrakte und lebendige Organismen. Man müsste diese Zulassungsverfahren deshalb an diese besonderen Eigenschaften anpassen. Gleichzeitig wurde der Bereich der Cocktails mit Mehrfachrückständen bisher vernachlässigt. Es gibt zwei gegenläufige Trends: Einerseits möchte man supersichere PSM aber gleichzeitig brauchen wir ja auch Alternativen und Innovationen, das führt zu einem Innovationsstau für neue Biocontrol-Verfahren in Europa.
Mazzotta: Die Zulassungspraxis in der Schweiz ist sehr anspruchsvoll und langwierig. Deshalb sind Firmen vermehrt gezwungen, Produkte nur dort für die Registrierung anzumelden, wo auch eine Chance auf Zulassung besteht.  Grundsätzlich heisst es ja, man wolle das Risiko minimieren. Deshalb muss man auch anschauen, welche Risiken bestehen. Das gilt für chemisch-synthetische wie auch für biologische Substanzen.

Bremsen die komplexen Zulassungsverfahren auch die Ablösung von Kupfer?
Tamm: Es gibt einige interessante Produkte in der Pipeline, unter anderem auch aus unserer Forschung. Eine grosse Herausforderung ist hier tatsächlich auch die Dauer und die Komplexität der Zulassungsverfahren. Ich war vor drei Jahren optimistischer, dass wir relativ rasch Alternativen auf dem Markt haben.
Mazzotta: Es gibt einfach keine Nullrisikogesellschaft. Das gabs nie und wird’s nie geben. Wenn wir alles ausschliessen wollen, werden wir nicht vorwärtskommen.