Christian Oesch ist Geschäftsführer der Vereinigung Schweizerischer Futtermittelfabrikanten (VSF), Meret Schneider Co-Initiantin der Massentierhaltungs-Initiative (MTI). Beide lehnen sie die TWI ab, sind sich aber im Streitgespräch uneinig über Ursachen und Folgen der Importe.

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Gemäss TWI-Befürwortern füllen die Futtermittel-Importe jährlich einen Güterzug vom Genfer- an den Bodensee, ist das nicht etwas gar viel?
Christian Oesch: Das ist eine beeindruckende Zuglänge. Ich habe das nachgerechnet und es kommt ungefähr hin. Aber ich möchte das Ganze etwas relativieren. Wir importieren jährlich 4 Mio Tonnen Nahrungs- und Genussmittel. Diese Importe sind zwischen 1990 und 2016 um rund 80 Prozent auf 490 kg pro Kopf gestiegen. Wenn man diesen Zug zusammenstellen würde, käme man auf 1350 km Länge, also rund das Dreifache. Das sind ja auch Nährstoffimporte.

Was wollen Sie damit sagen?
Oesch: Diese Entwicklung ist für mich schon etwas besorgniserregend. Beim Getreideanbau stagnieren wir bei jährlich rund 450 000 t, welche die inländische Müllerei verarbeiten kann, die Importe sind hier seit 1990 um das 4,5-fache gestiegen, beim Gemüse um das 1,5-fache, beim Fleisch um das Dreifache.

Das Problem ist also diesteigende Abhängigkeit von Importen und die Futtermittel sind nur ein Nebenaspekt,wie sehen Sie das, Meret Schneider?
Meret Schneider: Das überrascht mich nicht besonders, die Bevölkerung wächst und wir werfen immer noch viel weg, rund einen Drittel der Einkäufe pro Haushalt. Aber mir geht es um die immer noch hohen Importe von Getreide- und Eiweissfuttermitteln – über 1 Mio t jährlich – um unsere intensive Nutztierhaltung aufrecht zu erhalten. Wir sollten nicht mehr Tiere halten, als wir selber ernähren können. Was wir heute tun, ist weder standortgerecht noch sinnvoll.

Lebensmittel-Importe sindbesser als Futtermittel-Importe?
Schneider: Nein, das habe ich überhaupt nicht gesagt, aber Futtermittel-Importe sind doppelt ineffizient, weil man sie vorher noch durchs Tier durchlässt. Was die Nahrungsmittel-Importe angeht, werden wir niemals unsere ganze Bevölkerung ernähren können, wenn wir auf diesem Niveau bleiben wollen. Je mehr Tiere wir hier ausserhalb des Grünlandes produzieren, desto schlimmer.
Oesch: Wenn wir den Fleischkonsum anschauen, haben wir in den letzten 20 Jahren einen leichten Rückgang von rund 5 Prozent pro Kopf. Aber es gibt innerhalb des Absatzes eine Verschiebung Richtung Monogastrier. Wir erleben namentlich beim Geflügel einen veritablen Boom.

Könnten wir dieses Futter auch in der Schweiz produzieren?
Oesch: Wenn wir die Mischfutter-Produktion im Inland anschauen, hatten wir seit 1990 keine grosse Entwicklung, diese bewegte sich im Umfang von rund 1,3 bis 1,6 Mio t. Der Futtergetreide-Anbau hat sich seit 1996 halbiert, damals lagen wir bei 1 Mio t, heute ist es noch die Hälfte. Die Importzunahme erfolgte hier rein kompensatorisch. Eine grosse Importzunahme haben wir dagegen bei den Proteinträgern, das ist auf die BSE-Krise zurückzuführen. Seit diesem Einschnitt müssen wir alle Nutztiere vegetarisch ernähren, vernichten Unmengen wertvoller tierischer Proteine in Zementwerk und importieren kompensatorisch pflanzliches Protein.

Sind Sie für die Wiedereinführung tierischer Proteine in der Fütterung?
Oesch: Ja, es laufen entsprechende Bestrebungen. Wir sollten wertvolle Ressourcen so lange wie möglich im Nahrungsmittel-Kreislauf behalten. Allerdings sind die Strukturen in der Schweiz so klein, dass es sehr komplex wird, dafür die nötigen Restriktionen einzuhalten.
Schneider: Wir reden jetzt über Nebenschauplätze, ohne das Grundproblem anzupacken. Wir haben ein grundsätzliches Problem, nämlich viel zu hohe Tierbestände und einen viel zu hohen Konsum von tierischen Produkten. Das müssen wir rein aufgrund der planetarischen Grenzen anpacken. Wir importieren für unsere Nutztiere Futter von einer Fläche, die etwa gleich gross ist wie die Ackerfläche der Schweiz. Wenn das jedes Land machen würde, hätten wir ja zu wenig Land. Deshalb müssen wir wegkommen von Geflügel und Schweinen und mehr Eiweiss für menschliche Ernährung produzieren. Diesen Wandel müssen wir vorantreiben, dafür gibts im Moment grosse Offenheit.
Oesch: Wir verschliessen uns dem nicht, wir müssen unsere Gesellschaft zu weniger Food Waste und mehr Standortangepasstheit entwickeln, aber eine erzwungene Produktionsänderung ohne Anpassung der Ernährungs- und Einkaufskultur, das greift nun wirklich viel zu kurz. Die TWI will genau eine solche Änderung durchstieren…
Schneider: Da bin ich auch dagegen, da müssen Sie mich nicht überzeugen.

Aber Ihre Massentierhaltungs-Initiative wird ja die gleichen Auswirkungen haben: Export von Umweltproblemen undErhöhung der Fleischimporte…
Schneider: Nein, das sehen Sie völlig falsch. Wir haben im Initiativtext den Passus, dass nur nochimportiert wird, was unseren Tierwohl-Standards genügt und damit haben wir endlich gleichlange Spiesse für einheimisches Fleisch und faire Bedingungen, das ist auch wichtig im Hinblick auf die Freihandelsabkommen (FHA), etwa Mercosur. Das müssten die Bauern vermehrt sehen.

Aber die Importmenge nimmt trotzdem zu…
Schneider: Der Fleischkonsum nimmt ständig ab. Zudem sollte der Bund eine Ernährungsstrategie entwickeln, die nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Umwelt in Betracht zieht. Er muss kommunizieren, dass man mehr pflanzliche Proteine statt Fleisch und Milchprodukte essen sollte. Da braucht es eine Offensive.

Kann der Bund die Bevölkerung einfach so erziehen?
Schneider: Das macht er sowieso schon, z.B. bei Nichtraucherkampagnen. Oder mit Werbung für Schweizer Butter oder Schweizer Fleisch. Auch von den Kantinen wird man erzogen, indem es z. B. nur ein vegetarisches Menu gibt.
Oesch: Wahlfreiheit ist wichtig, aber ich sträube mich nicht gegen Aufklärung, wohin die Lebensmittel kommen, im Gegenteil. Wir arbeiten seit Jahren an verantwortungsvollen Quellen für unsere Futtermittel. Der Gesamtmarkt für Mischfutter war in den letzten Jahren immer nur rückläufig. Die Genetik ist besser geworden, die Kühe produzieren mehr Milch aus Gras und die Kuhzahl ging zurück. Das alles wurde aber durch Geflügelfutter kompensiert. Unsere Mitglieder jagen sich einfach gegenseitig die Kunden ab. Die VSF arbeitet nicht daran, den Markt auszudehnen, sondern an besseren Rahmenbedingungen.

«Eine erzwungene Änderung der Produktion ohne Wandel des Konsums greift zu kurz.»

Christian Oesch, Geschäftsführer VSF, Mitbewirtschafter eines Grünlandbetriebs mit 20 ha LN, 40 ha Alp und 20 ha Wald.

Die Futtermittel-Branche hat schon einiges erreicht, sokommen ca. 95 Prozent der Soja aus nachhaltigem Anbau, warum zeigt das in der öffent-lichen Wahrnehmung keine Wirkung?
Oesch: Ich referiere seit Jahren zu den Importen, viele sind erstaunt, dass 95 Prozent des importierten Futtergetreides aus Deutschland und Frankreich kommen. Wenn einer in der Ostschweiz Futtergetreide kauft, tut er dies besser im süddeutschen Raum als in der Orbe-Ebene, weil es näher ist. Viele Konsument(innen) fragen mich, woher das Getreide kommt, aber wenn ich sie frage, woher ihr Hundefutter kommt, haben sie keine Ahnung.

Warum stehen die Futtermittel-Importe so stark im Zentrum?
Oesch: Das Komitee hat es fertiggebracht, diese Thematik mit falschen Fakten auf die gesellschaftliche Ebene zu hieven.

Hat es die Branche nicht versäumt, am Image zu arbeiten?
Oesch: Wir haben darauf reagiert, etwa mit dem Soja-Netzwerk. Dieses soll auf weitere Rohstoffe ausgeweitet werden. Zudem führen wir neu nur noch Getreide aus Sikkations-freiem Anbau ein.
Schneider: Das ist alles super, verwendet doch die gesamte eingeführte faire und nachhaltige Soja für menschliche Ernährung und neue pflanzliche Produkte. Diese finden sehr guten Absatz, Coop und Migros verzeichnen die höchsten Zuwächse in diesem Markt. Das ist Euer Wachstumsmarkt, nicht die paar Hühner, die da noch rumhüpfen.
Oesch: Wir haben auch beim Geflügel einen enormen Wachstumsmarkt.
Schneider: Das muss man eben bremsen.
Oesch: Da sind wir wieder bei der Diskussion, was war zuerst, das Huhn oder das Ei? Die Grossverteiler haben integrierte Wertschöpfungsketten in der Geflügelhaltung und pushen das enorm. Die Frage ist, ob wir das Geflügel im Inland produzieren oder in Brasilien einkaufen.
Schneider: Das Problem ist, dass alles viel zu günstig ist. Fleisch muss wieder teurer werden und die Produzentenpreise müssen steigen. Vor 50 Jahren ass kein Mensch täglich Fleisch, es war ein Luxusprodukt.

Das ist Wunschdenken, wie wollen Sie das bewerkstelligen?
Schneider: Die Standards werden erhöht und die Produktion teurer. Das heisst, der Detailhandel muss entgegenkommen. Wir drei wissen alle, dass der Ladenpreis wenig zu tun hat mit dem Produzentenpreis. Die Margen müssten sinken und die Preise für die tierischen Produkte müssten steigen. Es kann nicht sein, dass ein Block Tofu mehr kostet als ein Pouletbrüstli. Soll mir niemand sagen, dass die Lebensmittel zu teuer sind. Ein durchschnittlicher Haushalt wirft ein Drittel der eingekauften Lebensmittel weg.
Oesch: Da gehe ich absolut einig mit Ihnen, die Fleischpreise sind viel zu tief. Einerseits der Produzentenpreis, andererseits auch im Laden. In meiner Jugend war ein ganzes Poulet ein absolutes Highlight. Heute kauft man Pouletbrüstli dreckbillig. Wir haben die Wertschätzung gegenüber dem Lebensmittel verloren. Die Frage ist, wie wir diese zurückzuholen ist. Dafür braucht es Aufklärungsarbeit und weitere Massnahmen. Sie wollen zum Beispiel die Futtermittelimporte verbieten…
Schneider: Keineswegs. Ich weiss nicht, wie Sie da draufkommen, ich habe nichts am Hut damit.
Oesch: Aber Sie haben doch gesagt, dass man die Soja statt für Futter gescheiter für menschlichen Konsum verwenden soll.
Schneider: Verbote sind nicht mein Anliegen. Natürlich finde ich weniger Futtermittel-Importe sinnvoll, aber ich will keine Verbote.

Mit Ihrer Initiative würde der Futtermittel-Import automatisch abnehmen, weil die Tierbestände sinken.
Schneider: Ja, die Anzahl der Wiederkäuer wäre etwa stabil, aber diejenige der Hühner und Schweine würde massiv zurückgehen.

Welche Auswirkungen erwarten Sie, Herr Oesch durch ein allfälliges Ja zur TWI?
Oesch: Viele Veredler würden aussteigen aus den Direktzahlungen. Am stärksten würde die TWI Kleinbetriebe mit kleinem Veredelungsaktivität im Berggebiet und in den Voralpen treffen, weil dort der Futtergetreideanbau nicht einfach zu bewerkstelligen ist.

«Wir müssen gleichlange Spiesse für die Bauern imIn- und Ausland schaffen.»

Meret Schneider, grüne Nationalrätin, Mitinitiantin der Massentierhaltungs-Initiative, beruflich in der Landwirtschaft tätig.

Da gibt es einen weiterenKonflikt, der Bedarf an Inland-Futtergetreide nimmt zu, aber Ihr wollt ja mehr Ackerbau für menschliche Ernährung.
Schneider: Das ist so, pro Quadratmeter kann man viel mehr rausholen, wenn man direkt für die menschliche Ernährung produziert. Die Tiere, die wir möchten, werden Raufutter-basiert ernährt und brauchen keine zusätzlichen Futtermittel.
Oesch: Da bin ich nicht ganz einverstanden, ich komme aus dem Voralpen-Gebiet und wir halten eine raufutterbasierte Herde. Aber auch bei hohem Grünfutter-Anteil braucht es einen Ausgleich beim C-/N-Verhältnis. Sonst gibt es mehr Fruchtbarkeits- und Gesundheitsprobleme, was wiederum die Langlebigkeit reduziert, da braucht es einen gewissen Ausgleich mit Kraftfutter.
Schneider: Da sehe ich kein Problem, was ich meine ist nicht dieser Ausgleich, sondern die Bereiche, wo die grossen Mengen Kraftfutter verfüttert werden.

Frau Schneider, Sie möchten die Landwirtschaft mit und nicht gegen die Bauernfamilien reformieren. Nun kommen Sie direkt nach den aktuellen Initiativen mit der MTI und damit als nächster Stressfaktor.
Schneider: Ich sehe mich als Chance für die Bauern und nicht als Stressfaktor. Was die Bauern merken müssen ist, dass wir auf die FHA zurasen. Wenn dann solches Zeug importiert wird, können die Schweizer Bauern so viel intensivieren, wie sie wollen. Wir müssen die Initiativen eher als Weg sehen, gleichlange Spiesse für in- und ausländische Bauern zu schaffen. Hier bin ich auch stark dran, den Detailhandel in die Pflicht zu nehmen. Es braucht einen gemeinsamen Weg, ich bin überzeugt, dass wir den finden werden.

Wie bereiten Sie sich vor auf die anstehenden Änderungen?
Oesch: Wir arbeiten schon länger an einer Mehrwertstrategie, das ist ein ähnlicher Weg, wie der von Meret Schneider, einfach etwas weniger radikal. Wir wollen eine verantwortungsvolle Schweizer Tierproduktion mit möglichst optimaler Ressourcennutzung. Wir wollen das produzieren, was der Markt nachfragt, aber es dauert noch, bis die Gesellschaft ihre Ernährung umstellt.

 

Wie Futtermittel-Importe zum Thema wurden

Die Fütterung unserer Nutztiere ist im Abstimmungskampf um die Trinkwasser-Initiative (TWI) zu einem der meistbeackerten Themen geworden. Selbst in den Städten fängt man an, sich für die Details des Tiermagens zu interessieren. Auslöser ist ein verhängnisvoller Satz aus dem Initiativtext. Dieser lautet wie folgt: «Er (der Bund, Red.) ergänzt das bäuerliche Einkommen durch Direktzahlungen zur Erzielung eines angemessenen Entgelts für die erbrachten Leistungen, unter der Voraussetzung eines ökologischen Leistungsnachweises, der die Erhaltung der Biodiver-sität, eine pestizidfreie Produktion und einen Tierbestand, der mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden kann, umfasst.

Der verhängnisvolle Satz

Dieser Satz hält klipp und klar fest, dass nach einem Ja zur TWI nur noch Direktzahlungen erhält, wer die Tiere mit betriebseigenem Futter ernähren kann. Diesen offensichtlich unglücklich formulierten Satz, versuchen die Initianten nach Kräften zu relativieren, da er die Chancen ihres Volksbegehrens stark schmälert. Sie haben ein juristisches Gutachten erstellen lassen, dass beweisen soll, dass die Formulierung gar nicht so gemeint sei, wie sie im Text steht, sondern dass ein regionaler Austausch von Futtermitteln möglich bleiben soll. Ein weiteres Argument der Befürworter ist, dass es sich hier um eine sogenannte Kann-Formulierung handelt, die nicht eins zu eins umgesetzt werden müsse. Die Gegner argumentieren derweil, dass wir am 13. Juni nicht über juristische Gutachten und Interpretationen, sondern einen Text abstimmen, der so unterschrieben und durch alle Instanzen geführt wurde.

Schweine und Geflügel

Klar ist aber, und das wurdevon den Initianten auch nie abge-stritten, dass mit einem Ja zur Initiative kein Importfutter mehr verwendet werden dürfte. Dies würde vor allem die Geflügel- und die Schweinebranche schwer treffen. Zwar ist in der öffentlichen Diskussion oft vom Kraftfutter für Rindvieh die Rede, aber der Löwenanteil der Import-Futtermittel fliesst in dieHaltung von Monogastriern,also Legehennen, Mastpoulets und Schweine.

Mehr Fleisch importieren?

Die Befürworter der TWI argumentieren, dass mit den Einfuhren von rund 1,3 Millionen Tonnen Futtermitteln jährlich übermässig viele Nährstoffe in die Schweiz eingeführt würden, die dann zu Überschüssen und Überdüngung führen würden. Die Gegner halten diese Argumenta-tion für verfehlt, da einerseits mit ausgeklügelten Systemen wie Hoduflu für eine umweltgerechte Verteilung der Hofdünger gesorgt wird. Andererseits ist ihnen die Vorstellung ein Graus, dass wir statt Futtermittel künftig Fleisch aus Ländern importieren, welche den Schweizer Standards in keiner Art und Weise genügen.In ihren Augen ist es falsch, die durchaus vorhandenen ökologischen Herausforderungen  der Fleischproduktion zu exportieren, während die Schweizer Konsument(innen) weiterhin wachsenden Appetit aufPouletfleisch verspüren.