«Obwohl man noch nicht genau wusste, was sich da anbahnte, war schnell klar, dass es sich eher um etwas Extremes handelte», schildert Marco Messerli die Situation vor dem Abstimmungskampf. Marco und Paul Messerli, die den Bio-Obstbetrieb in Kirchdorf im Kanton Bern im Duo meistern, stellten sich nicht prinzipiell gegen die Agrar-Initiativen. «Am Anfang der Kampagne ging ich an Vorträge von Franziska Herren und informierte mich über ihre Ideen», sagt der junge Betriebsleiter Marco Messerli in der Küche oberhalb der neuen Obsthalle des Betriebs. «Vor dem Tumult war der gemeinsame Dialog allerdings einfacher als jetzt», erinnert er sich.
Anfangs hatten wir gute Gespräche mit Frau Herren
Der Junglandwirt stand zu Beginn der Debatte auch direkt mit der Initiantin der Trinkwasser-Initiative (TWI) in Kontakt. «Wir hatten gute Gespräche, aber an einem Punkt wurden unsere Vorstellungen über die Landwirtschaft zu unterschiedlich.» Gerade in punkto Pflanzenschutz differierten die Ansichten stark. «Ich will gesunde und nachhaltige Nahrung produzieren, die gleichzeitig auch wirtschaftlich ist. Dazu brauche ich einen gewissen Ertrag und eine mittelfristige Planungssicherheit», sagt Marco Messerli bestimmt. Für ihn sei das Risiko, vollumfänglich auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten, zu gross. Daher, und auch aufgrund der Forschungsresultate auf seinem Betrieb, war für ihn klar, dass er die Agrar-Initiativen ablehnen würde.
Eigene Versuche am Laufen
Bereits ein Jahr vor den Initiativen führte Messerlis Bio-Obst-Betrieb eigenständige Versuche durch. Dabei wollte der junge Meisterlandwirt herausfinden, was die konkreten Folgen der Initiativen für seinen Betreib wären. Die Versuchsparzelle bestand unter anderem aus drei Reihen des anfälligen Apfels Gala, den sie beispielsweise mit homöopathischen Mittel behandelten. Dabei verzichteten die Betriebsleiter auf diejenigen Mittel, welche mit der Annahme der Initiative verboten würden.
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«Ohne Risiko wären wir dabei»
«Wenn ich das Risiko nicht hätte, das Szenario einmal durchzuspielen, würde ich zu einem gewissen Teil mitmachen», erklärt Marco Messerli. «Aber wenn ich aufgrund eines Schädlings eine Hektare verliere, hat das grosse wirtschaftliche Auswirkungen». «Die politische Diskussionen über die Initiativen haben wir schon früh mitverfolgt. Uns war wichtig, mit den Leuten zu sprechen. Dabei sind zahlreiche gute und auch fachliche Gespräche entstanden», so Marco Messerli.
Kein positiver Punkt wird genannt
«Aber was mir in Bezug auf diesen Abstimmungskampf auffällt, ist, dass selten bis nie ein positiver Punkt über die Landwirtschaft genannt wird.» Der junge Obstbauer befasst sich auch abseits des Betriebes intensiv mit der Thematik. Seinen Berufskollegen seien die Abstimmungen ebenfalls eher sauer aufgestossen. «Wenn ich aber vor einigen Monaten mit Kollegen ausserhalb der Landwirtschaft sprach, stellte ich fest, dass sie nicht wussten, um was es geht.» Jetzt habe sich offensichtlich einiges getan, merkt Marco Messerli an und schaut hinaus auf seinen Betrieb im schönen Kirchdorf.
Die Unsicherheit ist gross
«Ich beobachte auch die herrschende Unsicherheit von Personen, die Ja stimmen wollen, weil die Titel der Initiativen gut klingen. Wenn ich ihnen nahelege, dass wir auch für sauberes Trinkwasser sind und ihnen aufzeige, wie uns die Initiativen betreffen würden, sehen sie unsere Punkte dann teilweise ein.»
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«Als wir im Jahr 2013 auf Bio umgestellt haben, ist das gut angekommen. Die Kundenrückmeldungen waren positiv und wir konnten den Leuten erklären, dass auch wir gewisse Pflanzenschutzmittel spritzen müssen», sagt Paul Messerli auf die Frage, wie er die Auffassung in der Bevölkerung bezüglich Landwirtschaft empfindet. Jetzt merken die Landwirte, dass sich die Situation deutlich verschärft hat. «Wenn ich mit einer Obstbaumspritze durch das Dorf fahre, werde ich als Giftbauer abgestempelt, obwohl ich auch Komposttee im Tank haben könnte», stellt Paul Messerli fest. Marco Messerli doppelte nach: «Der Druck ist definitiv gestiegen. Der Apfel muss von Jahr zu Jahr perfekter aussehen, die Konsumentenschaft will bei jedem Schritt mitreden. Der grösste Widerspruch dabei ist, dass der Konsument im Laden einen makellosen Apfel zum günstigsten Preis verlangt», analysiert Marco Messerli. Allgemein stellen die Biolandwirte fest, dass es keine Dankbarkeit für die Bauern gebe. «Wir haben es gut, wir sind zu zweit und können uns gegenseitig unterstützen. Aber auf den Schultern von denjenigen Betriebsleitern, die das alleine machen, lastet viel Gewicht», weiss Marco Messerli.
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«Da frage ich mich schon»
Messerlis Bio-Obstbetrieb beliefert hauptsächlich Bioläden in der Region. Vom Grosshandel haben sie sich vor einigen Jahren abgewendet. Die Qualitätsanforderungen in den Hofläden seien aber auch gestiegen, sind sich die Betriebsleiter einig. «Schorf oder Regenflecken auf dem Apfel mag es auch hier nicht mehr leiden», so Marco Messerli. «Im eigenen Hofladen in Belp BE bleiben die Äpfel mit Schorfflecken oder Vernarbungen von der Apfelsägewespe übrig. Da frage ich mich schon», so der Junglandwirt. «Die Mittel kosten teilweise sehr viel und aus Spass opfern wir unser Wochenende nicht, um PSM auszubringen, dabei tausende Franken auszugeben und vermeintlich noch die Leute zu vergiften», betont Messerli.
Bei der Annahme der Initiativen müssten Messerlis:
- Die Legehennenhaltung reduzieren oder aufgeben. «Für die Bio-Eierproduktion ist unser Betrieb komplett auf die Futterzufuhr angewiesen», erklärt Paul Messerli. Und wenn es in der Schweiz keine Bioeier mehr gebe, müssten die Eier aus Deutschland oder Polen importiert werden, wo die Käfighaltung in der konventionellen Hühnerhaltung noch erlaubt ist und 10 000 Legehennen in einem Stall zugelassen seien, betont Messerli.
- Zudem könnten Messerlis ihr produziertes Futter nicht mehr verkaufen. «Die Hühner fressen das Gras nicht», scherzt Marco Messerli.
- Auch im Obstbau wären die Folgen beachtlich: «Die wenigen Pflanzenschutzmittel, die wir benötigen, würden verboten. Das beste Beispiel ist die Bekämpfung des Apfelwicklers, die noch problematischer würde. Die Dispenser der Pheromonfallen sind synthetisch hergestellt und wären somit nicht mehr zugelassen. So hätten wir in Zukunft wieder den Wurm im Apfel», so Messerli.
Doch egal, wie die Initiativen ausgehen werden, muss es weitergehen. Marco Messerli will unter anderem die Digitalisierung gezielter nutzen. «Ziel ist es, immer einen Schritt voraus zu sein», nimmt sich der Junglandwirt vor. Denn sie könnten nicht auf die Forschung warten. Versuche auf dem eigenen Betrieb brächten ihnen am meisten. Die Übergangsfrist bis zum Inkrafttreten der Initiativen von acht bzw. zehn Jahren scheine lange. Vergleiche man aber beispielsweise die Dauer bis zur Zulassung einer neuen Apfelsorte, könnten 15 bis 20 Jahre vergehen, weiss Marco Messerli. «Der Pflanzenschutz ist ja nur ein Element der Produktion. Da gehört auch die Lager- und Anbaufähigkeit, die Akzeptanz bei den Konsumenten und weiteres dazu – das ist ein langer Prozess».
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Von Helden zu «Vergiftern»
«Das Belastende ist die Ungewissheit, mit der wir leben müssen. Es geht letztlich um unseren Lebensunterhalt», ergänzt Paul Messerli. «Sobald man sich mit einer Herangehensweise eingearbeitet hat, kommt eine andere Agenda auf den Tisch und es gelten andere Regeln», stimmt ihm auch sein Sohn Marco Messerli zu. «Erstaunlich ist auch, dass die Leute aufgrund der Pandemie dankbar waren um jeden Hofladen und nur ein Jahr später werden wir mit den schlimmsten Vorwürfen konfrontiert. Das zeigt, dass wir schnell handeln und beweglich bleiben müssen», schliesst der Landwirt und scheint trotz allem zuversichtlich.
Betriebsspiegel Messerli's Bio-Obst
Name: Paul und Marco Messerli
Ort: Kirchdorf, Kanton Bern
Nutzfläche: 13 ha Obstkulturen, 5 ha Brotgetreide, Futterbau, 4 ha Wald
Betriebszweige: Bioeier, Obst, Futterbau, Direktvermarktung, Belieferung von Bioläden
Tierbestand: 2000 Legehennen
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