Dieser Eindruck entsteht vor allem dann, wenn man mit Viehzucht die gezielte Exterieurzucht mit Blick auf die Viehschauen meint. Etwas darüber hinaus gefasst, also wenn die Zucht auf Wirtschaftlichkeit und Fitnessmerkmale miteinbezogen werden, glaube ich, dass die Viehzucht weiterhin eine unverzichtbare Rolle in einem wirtschaftlichen Milchproduktionsbetrieb spielt. Natürlich kann man sich die Kühe für die Produktion von Milch auch ständig über Fremdremontierung zukaufen.
Die Eigenremontierung hat Vorteile
Mittel- und langfristig gesehen bietet die Eigenremontierung des Viehbestandes, also die eigene Zucht, bedeutende Vorteile. Durch die gezielte Weiterzucht und Remontierung können Milchproduktionsbetriebe ihre Tierbestände besser kontrollieren und an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Dies führt längerfristig zu einer ausgeglicheneren Herde, was die Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion fördert. Nicht zu vergessen ist, dass die Remontierung dazu beiträgt, die Ausbreitung von Krankheiten zu reduzieren, da weniger Tiere von aussen in den Betrieb kommen. Ich denke hier an Mortellaro (Klauen) oder vererbliche Genschwächen. Somit trägt die eigene Viehzucht auch zur Widerstandsfähigkeit der Herde bei. Ein Blick ins Ausland auf die noch viel grösseren Milchviehherden, z. B. in den USA oder Osteuropa, bestätigt dies. Dort sind selten reine Zukaufs-Milchviehherden zu beobachten. Im Gegenteil, auf die konsequente Umsetzung der eigenen Betriebs-philosophie wird auch über die (Auf-)Zucht der Rinder ein grosses Gewicht gelegt.
Die hochwertigsten Rinder nicht mit Mast besamen
Zugegeben, es gibt Stiere, die ihre genomischen Zuchtwerte, die sie als Jungstars hatten, nicht bestätigen konnten. Doch im Schnitt haben sich die genomischen Zuchtwerte rund zehn Jahre nach deren Einführung auch hierzulande sehr gut bewährt. Die genomische Selektion ermöglicht zum Beispiel schon bei Jungtieren, auf deren genetische Veranlagung für wirtschaftlich wichtige Merkmale wie Leistung, Milchgehalte und vor allem auch Fitnessmerkmale wie Mastitisresistenz, Fruchtbarkeit oder Nutzungsdauer zu selektionieren.
Die genomische Selektion sollte darum auch gezielt genutzt werden. Es ist schade, die hochwertigsten Rinder alle zuerst einmal mit Mast zu besamen, dadurch vergibt man sich viel potenziellen Zuchtfortschritt. Um die hochwertigsten zu finden, ist es deshalb ratsam, die weiblichen Kälber früh genomisch zu typisieren, was heute schon für Beträge unter 50 Franken pro Tier möglich ist. Dies ist weniger, als ein Monat Aufzucht kostet.
Zur Person
Unser Fachmann Adrian Arnold ist Abteilungsleiter Landwirtschaft beim Berufs und Weiterbildungszentrum Uri, Züchter und Vorstandsmitglied von Braunvieh Schweiz.