Vor Kurzem hat die Gruppe Consumer Behaviour der ETH Zürich den Artikel «Geliebt, gepflegt, aufgegessen – vom ambivalenten Umgang mit dem Tier» publiziert. Darin wird die Beziehung vom Mensch zum Tier beschrieben und dass die Irrationalität des Menschen Tierleid verursacht und entsprechende Regulierungen notwendig macht.
Doch solches «Dreinreden» vom Staat in den Einkaufskorb wurde vom Schweizer Volk bei der Abstimmung zur Massentierhaltungs-Initiative (MTI)eben gerade nicht goutiert. In unserem liberalen Land könne jeder und jede auf zahlreiche Tierwohl-Labels setzen – der Markt sorge für die richtigen Weichenstellungen.
Politische Regulierung nötig?
Immer mehr Experten stellen aber den Markt als Transformator hin zu nachhaltigen und tiergerechten Ernährungssystemen in Frage: Der Ökonom Florian Habermas, der an der Hochschule St. Gallen (HSG) forscht, hat kürzlich in einem Artikel festgehalten: «Der freien Wahl der Konsumenten steht das Tierwohl als öffentliches Gut gegenüber» und «Aus liberaler Sicht bedürfen öffentliche Güter politischer Regulierung».
Die Professoren Paul Richli und Mathias Binswanger haben in der «NZZ» kürzlich geschrieben: «Der Verdacht liegt nahe, dass die Ausnutzung der relativen Marktmacht durch die erwähnten Detailhändler ein Marktversagen verursacht, welches die eigentliche erwünschte, zusätzliche Ausbreitung von und Nachfrage nach Bio- und Labelfleisch behindert.» Sie fordern die Wettbewerbsbehörden auf, tätig zu werden.
Absatz tierfreundlicher Produkte stockt
Es darf somit davon ausgegangen werden, dass die Märkte für Bio- und Labelfleisch unterreguliert sind und die Marktkräfte zu wenig Initiative übernehmen, um den Tieren ein artgerechtes Leben zu ermöglichen: Der Absatz von tierfreundlichen Produkten stagniert nämlich auf einem bedenklich tiefen Niveau von 12 Prozent der geschlachteten 86,5 Mio Tiere (ohne Importe).
Die Marktakteure wollen den wichtigsten Treiber im Fleischmarkt nicht in die Hand nehmen – den Abbau der künstlich hohen Preisdifferenzen zwischen Label-/Biofleisch und dem Standardfleisch, obwohl gemäss den Elastizitätsberechnungen von Agroscope speziell dort grosse Potenziale ausgeschöpft werden könnten.
Wie weiter mit dem Tierwohl?
Der Bundesrat hat die Situation ursprünglich richtig eingeschätzt und wollte mit seinem direkten Gegenentwurf zur MTI das Zepter in die Finger nehmen und auf die gesellschaftliche Frage «Wie weiter mit dem Tierwohl?» auf breiter Ebene mit konkreten Verbesserungen antworten. Trotz dem vom Bundesrat proklamierten Handlungsbedarf in der Nutztierhaltung hat der bürgerliche Block zusammen mit der Landwirtschaft den Gegenentwurf bachab geschickt – ebenso einen indirekten Gegenentwurf als Kompromissvorschlag, den der Schweizer Tierschutz (STS) lanciert hat.
Lösungsvorschläge sind Fehlanzeige
Wie erwartet, präsentiert sich nun nach der Abstimmung die grosse Leere. Weit und breit keine Lösungsvorschläge in Sicht. Nach der Sistierung ist bei der agrarpolitischen Vorlage AP 22+ mit deren Entschlackung durch den Bundesrat auch das Tierwohl auf der Strecke geblieben. Die Wirtschaftskommission des Ständerates (WAK-S) wollte daran nichts ändern: Der vom STS entworfene pragmatische Vorschlag mit einem «Ausbaupfad Tierwohl», d. h. mit höheren Beteiligungen bei den etablierten Tierwohlprogrammen, wurde ebenfalls abgelehnt.
Marktakteure in die Pflicht nehmen
Nach dem deutlichen Verdikt vom Stimmvolk zur MTI ist nun auch von der angekündigten Revision der Tierschutzverordnung wenig zu erwarten. Nun wäre es am Bundesrat, nochmals auf seinen verkündeten Handlungsbedarf zurückkommen, punktuelle Verbesserungen bei den Haltungsbedingungen vorzunehmen und aber die Marktakteure zu verpflichten, ihre im Abstimmungskampf angekündigten Versprechen für mehr Tierwohl einzulösen.