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Wenn man auf die Engelsrütti kommt, muss man nicht mehr lange studieren, woher der Flurnamen stammt. Die Landschaft erinnert mit ihren sanften Hügeln und den schroffen Abhängen ans Emmental. Ein leichtes Morgennebelchen liegt über dem Reif und die bleiche Morgensonne macht das Idyll perfekt.


Pacht statt Zerstückelung


Hier, hoch über Läufelfingen BL, hat 2016 ein Handwechsel stattgefunden. Vreni und Peter Gysin, die den Betrieb in sechster Generation bewirtschafteten, haben den Stab beziehungsweise die Heugabel an Manuela Lerch und Noah Handschin übergeben. Wir sind gekommen, um rauszufinden, wie die vier Hauptbeteiligten dieses markante Ereignis erlebt haben und vor allem, um mehr darüber zu erfahren, warum Gysins verpachteten und nicht den einfachsten Weg eines Verkaufs am Stück oder in Parzellen gewählt haben. Mit dabei ist auch Jakob Vogler von der Stiftung für den bäuerlichen Familienbetrieb (s. Kasten), der die beiden Paare mit Rat und Tat begleitet hat.


Die Begrüssung ist herzlich, als Vreni und Peter Gysin rüberkommen in ihr früheres Wohnhaus. Die Distanz zu ihrem neuen Heim ist relativ bescheiden, 200 Meter, und doch wichtig, wie sich im Lauf des Gesprächs noch zeigen sollte. Die zwei Frauen wirken in ihrer gegenseitigen Innigkeit wie alte Freundinnen, die zwei Männer, beide vom Typ her etwas zurückhaltender, könnten zusammen Schweine gehütet haben, so vertraut scheinen sie.


Vierzehn Bewerbungen


Dass die Chemie stimmt, ist augenfällig. Woran das liegt? Die gemeinsame Herkunft dürfte schon geholfen haben, geographisch und sozial. Manuela Lerch ist eine Baselbieter Bauerntochter aus Hölstein, Noah Handschins Vater hat eine Zimmerei im selben Dorf. «Man spürte sofort, dass sie es ernst meinen», erinnert sich Vreni Gysin an die erste Begegnung im Frühjahr 2015. Ihrem Mann ging es ähnlich: «Manchmal spürt man im ersten Augenblick, dass es funktionieren kann», sagt er.


Wie kam es soweit? «Jetzt musst du langsam Nägel mit Köpfen machen», hat sie zu ihm gesagt, als sich vor ein paar Jahren abzeichnete, dass keines der eigenen Kinder den Betrieb übernehmen will. Mit dem Pensionierungsalter, das Peter Gysin heuer erreicht hat, wäre auch die Direktzahlungsberechtigung geschwunden, es sei denn, er hätte sich eine jüngere Frau gesucht, bemerkt Vreni Gysin, und alle lachen.


Zunächst dachte man an die Nachbarn, viele warten auf Land und die 20 Hektaren Engelsrütti hätten sich im Handumdrehen verteilen lassen. «Aber dann sagten wir uns, nein, das ist eine Existenz, auch dank der Hühnerhaltung», sagt Peter Gysin. Via einen Bekannten, der sich ebenfalls mit der Übergabe befasst, entstand der Kontakt zur Stiftung zur Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe.    


Geschäftsführer Jakob Vogler kam vorbei, bestärkte sie in ihrem Vorhaben, erfasste den Betrieb im Detail und stellte diesen als mögliches Übernahmeobjekt auf das Internet-Hofportal der Stiftung. Bald einmal hatte man vierzehn Bewerbungen auf dem Tisch. «Aber das war gar nicht so einfach», erinnert sich Peter Gysin, «von einem Lebenslauf und einem Bildchen erfährt man nicht viel».

Erste Begegnung beim Dorfmetzger


Deshalb hörte Peter Gysin genau hin, als ihm der Dorfmetzger von seinem Stift berichtete, der mit seiner Freundin gerne einen Hof übernähme. In diesem Moment kam eben dieser Lehrling Noah Handschin zur Türe des Knochenraums heraus. Das war ein Schlüsselmoment. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und man sprach die gleiche Sprache.

Frohen Mutes machte sich Handschin am Abend auf den Weg nach Hause, wo er seine Freundin Manuela Lerch informierte. Die HAFL-Studentin im letzten Semester war sofort begeistert, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wo genau der Hof steht. «Zuerst haben wir mal auf Google Maps nachgeschaut». Bald waren die beiden erstmals auf der Engelsrütti, wo sie halfen den Waldrand zu stutzen.

Dabei blieb es nicht: «Sie schickten uns in die Ferien», sagt Vreni Gysin schmunzelnd. Das gegenseitige Kennenlernen war also gelungen, aber Sympathie alleine reicht nicht, wie Jakob Vogler betont.


Distanz als Erfolgsrezept


Seine Rolle bestand darin, beim ersten Zusammentreffen mit den vier Beteiligten die kritischen Fragen zu stellen. «Das trauen sich die Abtreter manchmal nicht», so Vogler. Würde es Gysins stören, wenn das junge Paar keine Geranien auf dem Fenstersims hat? Und wäre es möglich, direkt nebeneinander zu wohnen? Die Antworten waren klar: Zweimal nein. Statt das bestehende Wohnhaus zu erweitern, konnten Peter und Vreni Gysin das rund 200 Meter entfernte Weideschürli umbauen. «Die Distanz ist ideal», schwärmen die beiden Frauen, nicht zu nahe, nicht zu fern. Die Männer nicken zustimmend.


Der nächste Schritt war die Erarbeitung eines sehr detaillierten Pachtvertrags, erneut unter der Obhut von Jakob Vogler. «Ich habe schon in einigen Streitfällen geschlichtet», sagt er. Oft ging es um Details. Es sei deshalb wichtig, alle Eventualitäten aufzuschreiben. Beispiele? Unterhaltsfragen bei Einrichtungen, die Verpflichtung, den Betrieb biologisch weiterzuführen sowie die Haltung der Legehennen und Raufutterverzehrer beizubehalten. «Je mehr vertraglich definiert ist, desto einfacher kann man später bei Unklarheiten ins Gespräch einsteigen», weiss Vogler.


Beim Pachtzins konnte man sich schnell einigen. «Uns war es ein Anliegen, dass sie es prästieren können», sagt Vreni  Gysin, «dass wir damit nicht reich werden, steht für uns nicht im Zentrum».


Wenn sie den Betrieb verkauft hätten, sähe das jetzt anders aus. Doch für die beiden Abtreter kam dieser Schritt zumindest vorläufig nicht in Frage, auch weil die Eltern von Peter Gysin noch auf dem Betrieb leben, und einen Verkauf nicht begrüsst hätten. Viel entscheidender als das Finanzielle war neben der guten Chemie das jugendliche Alter der beiden Bewerber. Viele solvente Interessenten seien schon über 40 oder gar gegen 50 Jahre alt gewesen, erinnern sich die Gysins, dann hätte schon bald wieder die Alters-Guillotine gewartet.


Direktvermarktung lanciert


Im August 2016 war es dann soweit. Manuela Lerch und Noah Handschin haben den Betrieb übernommen. Erstes sichtbares Zeichen des Neuanfangs durch die beiden gelernten Landwirte waren die Freilandschweine, welche sie aus der alten Heimat mitbrachten. Diese sind unterdessen schon vollumfänglich (direkt) vermarktet. Das gleiche gilt für den Grossteil des Obsts, das die Bäume heuer getragen haben. Die Jungbauern konnten dabei auf Freunde zurückgreifen, die zu Markte fahren und dort ihre Produkte anbieten.

Höhere Wertschöpfung durch Direktvermarktung ist eine der Ideen, welche Lerch und Handschin auf den Hof brachten. Mittelfristig wollen sie auch bei der Milch, mit den Schafen und dem Getreide, das sie wieder in die Fruchtfolge integriert haben neue Wege suchen. Gysins freuen sich darüber. Ihnen habe langsam etwas die Energie gefehlt, um Neues anzupacken. Das sei nicht ungewöhnlich, so Jakob Vogler und auch deshalb lässt er nichts unversucht, um möglichst vielen jungen Leuten mit Pfupf den Neueinstieg in die Landwirtschaft zu ermöglichen.

Adrian Krebs