In der eidgenössischen Viehzählung von 1941 hat sich ein Fehler eingeschlichen – das dachten wir, als wir lasen, dass bei den Maultieren für den Kanton Wallis 2172 Maultierbesitzer, aber lediglich 2097 Maultiere verzeichnet waren.

Wurde hier etwas verwechselt?

Zuerst vermuteten wir, dass die Werte für die Tiere einfach mit denen der Besitzerinnen und der Besitzer verwechselt worden seien. Denn uns war keine Tierart bekannt, in der es mehr Besitzer als Tiere gab. Dass es aber kein Fehler war, machte eine Fussnote am Schluss der Tabelle klar, in der es heisst, dass der Kanton Wallis Pferde-, Maultier- und Eselbesitzer nach Bern gemeldet habe, die mit wechselnden Anteilen Mitbesitzer von solchen Tieren seien: «In unsern Tabellen ist jeder Teileigentümer als Pferde-, Maultier-, Eselbesitzer gezählt worden, weshalb für die genannten Gemeinden und Bezirke und für das Kantonsresultat zum Teil grössere Zahlen für die Besitzer resultieren als für die Tierbestände.»

Steblers Beobachtung

Ein erstes Mal begegnete uns das Phänomen des Kollektivbesitzes an einem Arbeitstier – heute würde man vermutlich von «Maultier-Sharing» sprechen – in einem Bericht des Agronomen Friedrich Gottlieb Stebler. Der langjährige Redaktor der Schweizerischen landwirtschaftlichen Zeitung (heute: Fachmagazin «die grüne»), der von 1878 bis 1917 zudem der Versuchsanstalt Zürich-Oerlikon (heute: Agroscope) als Direktor vorstand, berichtete darin von zahlreichen Fällen, in denen sich zwei bis sechs Haushalte jeweils ein Maultier teilten.

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Das hatte er bei seinen Exkursionen ins Wallis schon am Ende des 19. Jahrhunderts beobachtet. «Nicht jede Familie» habe ein solches Zug- oder Lasttier, schrieb Stebler, aber «oft haben 2–3–4 gemeinsam eines. Wenn zwei zusammen eines besitzen, so wechseln sie jede Woche mit der Nutzung desselben ab. Bei drei Besitzern wird alle drei Tage gewechselt, bei vier alle zwei Tage. Die Tiere sind alle in gutem Zustande, nicht wie jener Graue, der sechs Brüdern gehörte und den jeder abwechselnd an einem Wochentag benutzte. Jeder prügelte aus dem Esel so viel Arbeit heraus als möglich und dachte bei der Fütterung: ‹Mein Bruder Hans hat ihn gestern gefüttert und Bruder Benz wird ihn morgen füttern.›»

Nicht selten wurden die Tiere geteilt

Der Umfang des Kollektivbesitzes von Maultieren und Eseln kann aber nicht einfach über die Differenz zwischen der Zahl der Besitzer und der Zahl der Tiere ermittelt werden. Denn neben der grossen Zahl von Besitzern, denen nur eines dieser Arbeitstiere gehörte, gab es natürlich auch viele Betriebe, insbesondere im Transportgewerbe, die mehrere Maultiere hielten.

Wie gross die Verbreitung des Kollektivbesitzes war, erhoben die eidgenössischen Statistiker in der Nutztierzählung von 1946 deshalb mit einer Zusatzfrage, die dieses Verhältnis klären sollte. Sie ermittelten im Ganzen 523 Fälle – also rund ein Fünftel aller Besitzerinnen –, die nur einen Anteil an einem Maultier oder Esel besassen.

Dabei war die Praxis des Kollektivbesitzes eines Arbeitstiers zu diesem Zeitpunkt schon rückläufig. Das stellte auch André Geisendorf in seiner 1941 an der ETH eingereichten Diplomarbeit über die Maultierzucht und die Maultierhaltung in der Schweiz fest.

Unentbehrliche tierische Helfer

Oft variierten die Besitzanteile proportional zum geleisteten Beitrag der Haushalte an die Anschaffungs- oder Haltungskosten. Das war relativ häufig auch die Ursache der Konflikte, die wegen der Fütterung und Behandlung der Tiere unter den Besitzern ausbrachen.

Für André Geisendorf waren die kollektive Nutzung der Arbeitstiere und die grosse Zersplitterung der Güter denn auch jene Faktoren, die seiner Ansicht nach die Entwicklung der Walliser Landwirtschaft am stärksten hemmten.

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Für die vielen kleinen Betriebe war der kollektive Besitz von Arbeitstieren und Geräten jedoch eine unabdingbare Voraussetzung, um überhaupt existieren zu können. Die sich über mehrere Höhenstufen erstreckenden, stark parzellierten, meist kleinen Betriebe waren eigentliche Wanderwirtschaften, die auf der mehrmaligen Verlegung des ganzen Haushalts während eines Jahres beruhten.

Man zog vom Haus und Speicher im Dorf über die verschiedenen Maiensässe auf die Alpen – und wieder zurück. Dabei waren die Maultiere und Esel zusammen mit den Menschen die bewegenden Kräfte dieser Wirtschaftsweise. Und wer kein ganzes eigenes Tier vermochte, der war darauf angewiesen, eines mit anderen zu teilen.

Das Ende der Maultiere und des anteiligen Eigentums an diesen erfolgte in den 1950/60er-Jahren mit dem Aufkommen der Seilbahnen und dem Ausbau der Forst- und Bergstrassen.

Ein Schatz an altem Filmmaterial

Verschiedene Institutionen, die sich der Geschichte des ländlichen Lebensraumes verschrieben haben, darunter das Schweizer Archiv für Agrargeschichte (AfA) sammeln auch altes Filmmaterial. Dieses wird auf dem ERHF-Onlineportal zusammengestellt und verlinkt, wo die Beiträge kostenlos angeschaut werden können.

Über diesen Link gelangen Sie auf die Webseite, wo Sie zunächst oben rechts die Sprache auf «German» ändern können. Die Schaltfläche «Alle Filme» gleich darunter führt Sie weiter zu einer Suchmaske, wo Sie nach Stichworten in den Filmtiteln suchen können. 

So finden Sie mit der Suche nach «Maultier» etwa den SRF-Film, aus dem der obige Screenshot stammt. Weitere ergiebige Stichworte – die allerdings thematisch ziemlich offen sind — sind etwa «Bauer», «Tiere» oder «Heu». Doch auch mit enger gefassten Suchbegriffen wie z.B. «Strickhof» finden Sie interessante Aufzeichnungen. 

Worauf warten Sie noch? Popcorn ist schnell gemacht, Film ab und viel Vergnügen!