Vor mindestens 300 Jahren begann mit der Chästeilet im Justistal eine Tradition, die heute weit mehr als nur die Bergrechtsbesitzer – und Besitzerinnen anzieht: Bereits im Bus von Thun nach Sigriswil merkt man schnell: Hier handelt es sich um einen Volksanlass – allerlei Dialekte und sogar Sprachen vermischen sich im vollgepackten Postauto, welches sich entlang der nördlichen Uferseite des Thunersees den Hügel hinauf rafft.

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Blumenschmuck, schöner als an einer Hochzeit

Im Bergdörfchen Sigriswil angekommen, machen sich die motivierten Gäste zu Fuss zur Grönhütte, die bequemeren Besucher und Besucherinnen begeben sich hinter die lange Schlange vor dem Shuttelbus. Bei den Käsespeichern angekommen, reihten sich die mit Blumen dekorierten Mulis und Ladewägen – bereit für den Heimtransport des Käses, welcher den Bergrechtsbesitzern zusteht. Doch bevor es so weit kommen sollte, blieb viel Zeit für ausgelassene Gespräche, Jutze, Weisswein, Bier und Alphornbläser.

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Ein Zusammenschluss von neun Alpen

Neun Alpen und insgesamt 16 Alphütten zieren das Justistal. Bei der berühmten Chästeilet wird der Alpkäse (Berner Alpkäse AOP) von einem Grossteil der Alphütten bei den Käsespeicher unter der Alp Spycherberg aufgeteilt.

Dabei befolgen die Alpgenossenschaften ein uraltes, ausgeklügeltes und gerechtes System, wie sie beschreiben:

Der Milchertrag pro Kuh beziehungsweise pro Bergrecht, der über den ganzen Alpsommer genau notiert worden ist, wird ins Verhältnis zum Käseertrag gesetzt und dann der jeweilige Anteil daran berechnet. Gerechnet wird dabei in sogenannten Säumen. Ein Saum beträgt 200kg Milch. Vier Säume Milch ergeben einen Anspruch auf ein Los à 800kg Milch. Ein Los entspricht ungefähr 140 Pfund (70 kg) oder etwa 7 Käselaibe. Das heisst, der Alpkäse ist im Schnitt 10 kg schwer. Das Gewicht kann jedoch variieren.

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Ein Los aus jüngerem, mittleren und älterem Käse

Um möglichst gleichartige Lose zusammenzustellen, werden ältere, mittlere und jüngere Laibe mit möglichst gleichem Gewicht auf den Läden vor den Käsespeichern aufgestapelt. Um diese Lose herum tummelten sich gegen Mittag unzählige Besucher und streckten die Arme, um ein Foto der eindrücklichen Szene einzufangen, Kinder rannten umher, und durch die Menschenmengen und Käsestapeln hindurch drang immer wieder der dumpfe Bass der Alphörner.

Eine heitere Stimmung, oben im Justistal. «Wäre das Wetter besser, hätte es noch mehr Leute», wie ein Besucher am Zmittag erklärte.  Doch auch wenn sich dieses Jahr vielleicht weniger Leute ins Justistal verirrt haben – die Sennen und Senninnen haben die Wertschätzung der Bergrechtsbesitzer und auch der unbeteiligten Besucher sicherlich auch durch die Faserpelze hindurch gefühlt.

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Was ist ein Berg- oder Seyrecht?

Ein Bergrecht berechtigt dessen Besitzer oder Pächter, eine Kuh im Justistal zu sömmern. Der Käse aus dem Milchertrag der Kuh geht an die Besitzer oder Pächter des Seyrechts. Gleichzeitig sind diese dazu verpflichtet, eine bestimmte Anzahl Tagwerke auf der Alp zu leisten.

Was ist ein Saum?

Der Saum ist die Masseinheit, in der Milch gemessen wird, die eine Kuh im Tal gegeben hat. Ein Saum entspricht 200 Litern Milch. Vier Säume, also 800 kg Milch, ergeben ein Los.

Was ist ein Los?

Vier Säume sind ein Los. Je nach Grösse der Käse hat ein Los zwischen fünf und acht Käse.