Niederschläge haben in den meisten Regionen für allgemeine Entspannung gesorgt, den Oberboden befeuchtet und das Graswachstum wieder angekurbelt. Doch habe ich meine Weideflächen in der Trockenphase optimal genutzt? Und was könnte die langfristige Produktivität meines Grünlandes gefährden?
Wachstum genau betrachten
Neben den Leguminosen muss den Gräsern eine grosse Beachtung geschenkt werden. Sie sind die Ertragsbildner der Wiesen und Weiden. Die Gräser sind entscheidend dafür, ob ein Grünlandbestand langfristig ertragreich ist und Futter von hoher Qualität liefert oder ob er mit unerwünschten Pflanzen verunkrautet und seine Produktivität verliert. Um das Gras optimal zu nutzen, muss man die Prozesse des Graswachstums genauer betrachten.
Schlüsselrolle des Zuckers
Wird eine Graspflanze durch das Weidetier oder das Mähwerk genutzt, geht ein Grossteil der Fotosynthese-Fläche der Pflanze verloren. Um eine Mindestblattfläche aufzubauen, muss die Pflanze auf ihre Reservestoffe, vor allem Zuckerreserven, zurückgreifen. Sobald das neue Blatt entwickelt ist und das Sonnenlicht nutzen kann, produziert es Zucker.
«Pay back time» von Gras
Ein Teil des neu gebildeten Zuckers wird direkt in das Wachstum der Pflanze investiert. Mit dem anderen Teil des Zuckers werden die zuvor angebrauchten Reserven wieder aufgefüllt. Die Zeit von der Nutzung, bis die Reserven wieder aufgefüllt sind, wird «Rückzahlzeit» oder auch «pay back time» genannt.
Wird die Pflanze vor dem Ende der Rückzahlzeit genutzt, muss sie von den Reserven leben, bevor diese wieder komplett aufgefüllt sind. Dies führt langfristig zum Absterben und somit zu dauerhaftem Verlust von Ertrag und Qualität. Nimmt das Graswachstum aufgrund fehlender Bodenfeuchtigkeit oder hoher Temperaturen ab, braucht eine Koppel länger, bis sie den optimalen Nutzungszeitpunkt erneut erreicht. Die erste Reaktion darauf ist, die Rotationsdauer zu erhöhen.
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Was tun bei übernutzten Weiden?
Eine Möglichkeit besteht darin, die Weidefläche zu vergrössern und dadurch mehr Koppeln in die Rotation einzubeziehen. Ist dies nicht möglich, muss die Zufütterung im Stall erhöht werden. Wird die Rotationsdauer nicht erhöht, werden die Pflanzen übernutzt.
Wird die Futtermenge der Koppeln wöchentlich gemessen, kann aus den Messwerten ein sogenannter «Grass Wedge» oder auch «Graskeil» erstellt werden. Mittels Graskeil kann eine aufkommende Futterknappheit, wie auch ein Futterüberschuss frühzeitig erkannt und ausgeglichen werden. In der Abbildung ist ein solcher Graskeil ersichtlich. Die grünen Balken zeigen die Futtermenge auf den jeweiligen Koppeln. Die rote Linie zeigt die gewünschte Soll-Menge an Weidefutter. Auf diesem Keil wird bei einigen Koppeln eine grössere Differenz der Ist-Menge zur Soll-Menge festgestellt. Durch dieses Managementtool können die Weide- und Stallfuttermengen optimal an den Bedarf der Tiere angepasst werden.
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Mindestblattfläche erhalten
Die Weidehöhe von Kurzrasenweiden sollte im Sommer, unabhängig vom Weideanteil, zwischen 6 und 8 cm betragen. Durch das Einhalten der Höhe wird sichergestellt, dass den wertvollen Futtergräsern immer eine Mindestblattfläche für die Fotosynthese zur Verfügung steht.
Langjährig intensiv beweidete und optimal gedüngte Bestände gewöhnen sich zusätzlich an den stetigen Verbiss und weisen einen bodennahen Blattansatz auf, was der Übernutzungsgefahr entgegenwirkt. Wird die Weidehöhe jedoch deutlich unterschritten, müssen die Gräser von ihren Reserven zehren. Da sie im System der Kurzrasenweide keine Ruhezeit erhalten, beginnt zu diesem Zeitpunkt die Übernutzung. Flächenvergrösserung oder Erhöhung der Stallfuttermenge beugen der Übernutzung vor.