Vor zwei, drei Wochen war ich in Berlin. Beruflich. Wir eröffneten unseren Stand an der Grünen Woche, der grössten Lebensmittelmesse Deutschlands.

Warten auf den Ehrengast und seine Entourage

Die Schweizer Abteilung, das darf ich ohne Übertreibung sagen, war ausgesprochen stilvoll hergerichtet. Wir – das ist die Schweizerische Stiftung für Schokolade, deren Präsidentin ich sein darf. Gemeinsam mit der Schweizer Botschafterin in Berlin, Livia Leu, und den Produzenten von werbewirksamem Emmentaler, Tête de Moine und natürlich dem unvermeidlichen Raclettestand warteten wir geduldig auf den Ehrengast und seine Entourage.

AktualisiertBauernprotesteDas war die grosse Bauerndemo in Berlin: Eindrücke vor OrtMontag, 15. Januar 2024Denn hört und staunt: Es hatte sich der deutsche Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir, angekündigt, der ein Fan von Schoggi ist. Und der die besten Erinnerungen an ein Schokolade-Diner hatte, das wir letztes Jahr, ebenfalls in Berlin, für einige ausgesuchte Gäste ausrichten durften. Item, wir warteten. Wobei ich oft leicht belustigt feststelle, wie aufgeregt viele in Erwartung eines hohen Gastes sind. Hierzulande geht man bedeutend entspannter mit unseren National-, Stände- und Bundesräten um. Undenkbar anderswo, dass Minister mit dem Zug fahren oder am Samstagnachmittag posten gehen. Aber item, wir warteten. Und warteten. Der Minister war, erfuhren wir, verspätet ob der protestierenden Bauern, welche die Zuwege nach Berlin und auch die Innenstadt mit ihren Traktoren und Land­maschinen blockierten.

Keine nachhaltigen Blockaden in der Schweiz

Bei uns haben derartige Aktionen keine sehr grosse Wirkung. Unsere grösste Stadt hat knapp eine halbe Million Einwohner, wenn man grosszügig die Agglo dazu zählt, noch ein paar Zehntausend mehr. Also, auch wenn wir der Meinung sind, da ist Dichtestress, da ist Dauerstau, hat doch das Blockieren von Strassen – seien es Landwirte, seien es Klimakleber – keinesfalls den Effekt von Nachhaltigkeit. Es ist ein Ärgernis, aber eines, das man auch umfahren kann. Betonung bitte auf fahren.

«Nein, wer wirklich etwas bewegen und dabei auch werbewirksam sein will, der geht vors Bundeshaus! Das ist der Lieblingsspielplatz aller Unzufriedenen.»

Babette Sigg zur Wirkung von Demonstrationen in der Schweiz

60'000 Unterschriften in drei Tagen

Über 65'000 UnterschriftenPetition an Handel und Politik übergeben – «Die Basis erwartet Resultate»Montag, 12. Februar 2024 So konnten wir lesen, dass just vor drei Tagen Bauern und Landwirte vor dem Bundeshaus unserem Landwirtschaftsminister Guy Parmelin eine Petition überreichten. Es geht um Forderungen der Branche, um Marktpreise, um angemessene Abnahmepreise. Dass die Petition offenbar ins Schwarze trifft, zeigen die über sechzigtausend Unterschriften, die innert vier Tagen gesammelt wurden. Dies trotz (oder wegen?) der Beteuerungen des Parlaments, dass die Befreiung der Mineralölsteuer unangetastet bleibt und Sparmassnahmen zu­ungunsten der Landwirtschaft verzichtet wird.

Wir Konsumenten wissen, dass es ohne Bauern nichts zu beissen gibt; rien sous la dent! Unsere Teller sind zu 50 Prozent «Swiss made». Wir wissen auch, dass Detailhändler und Landwirte nicht das entspannteste Verhältnis haben. Wir haben auch schon von den Margendiskussionen gehört und von Konsumenten, die vollmundig erklären, sie «kaufen nur beim Hofladen ihres Vertrauens», damit keine Margen abgeschöpft würden.

Das ist schön, wenn es auch für uns Städter ein bisschen nach «retour à la nature» tönt. Denn nach einem strengen Arbeitstag sind wenige von Herzen motiviert, noch aufs Land, nachhaltigerweise mit dem Velo, zu brausen, um sich mit Kartoffeln und Kirschen einzudecken. Wir brauchen die Detailhändler; wir haben uns an den Komfort des «An-jeder-Ecke-posten-Gehens» gewöhnt. Und noch mehr brauchen wir die Landwirte und Bauern. Darum haben wir durchaus Verständnis, wenn sie von Zeit zu Zeit ihrem Unmut – auch durch Traktorblockaden – freien Lauf lassen.

Zur Person
Babette Sigg ist ist Präsidentin des Schweizerischen Konsumentenforums (kf). Sie schreibt regelmässig für die Rubrik «Arena» der BauernZeitung Ostschweiz/Zürich.