Während die Kollegen in Frankreich und Deutschland mit spektakulären Aktionen Druck auf die Politik machen, bleibt es in der Schweiz ruhig. Dabei beschäftigen Probleme wie sinkende Einkommen und Produktionsausfälle durch immer neue Auflagen auch die Schweizer Landwirtschaft. Der Schweizer Bauernverband hat deshalb eine Petition gestartet, um den Forderungen der Bauern Nachdruck zu verleihen. Demonstrationen und Blockaden seien in der Schweiz derzeit keine Option, sagt er im Interview: Sie würden in der Politik Glaubwürdigkeit kosten, warnt er.
Herr Rufer, in ganz Europa protestieren die Bauern. Warum nicht in der Schweiz?
Martin Rufer: Wir haben in der Schweiz zwar zum Teil ähnliche Probleme, aber andere Möglichkeiten, um uns Gehör zu verschaffen. Unsere Vertretung im eidgenössischen Parlament ist beispielsweise sehr gut, seit den Wahlen vergangenen Oktober sogar noch besser. Zudem haben auch weite Teile der Gesellschaft grosse Sympathien für die Landwirtschaft. Das hat sich in den letzten Abstimmungen gezeigt. Es ist aber nicht so, dass bei uns deshalb alles in Butter ist. Auch bei uns ist der wirtschaftliche Druck gross, und wir sehen ein hohes Frustlevel. Die Gründe dafür sind die ungenügenden Produzentenpreise und die laufend neuen gesetzlichen Anforderungen, die zu unentschädigten Mehraufwänden und Mindererträgen führen. [IMG 2]
Erweist sich die starke bäuerliche Vertretung in der Schweiz nun als Stärke, weil die Landwirtschaft politisch besser vertreten ist als in den Nachbarländern?
Ja, die starke bäuerliche Vertretung im Parlament ermöglicht es uns immer wieder, Vorschläge auf Kosten der Landwirtschaft im Parlament zu korrigieren. Beispielsweise wurden in der Dezembersession alle politischen Geschäfte in unserem Sinn entschieden.
Die Bilder aus Deutschland und Frankreich sind beeindruckend. Was lösen sie bei den Schweizer Bauern aus?
Ein Teil der Schweizer Bauern möchte am liebsten auch auf den Traktor steigen, um ihren Forderungen nach mehr Anerkennung, besseren Preisen und keinen weiteren nicht entschädigten Zusatzleistungen Nachdruck zu verleihen.
In der Westschweiz wird in Whatsapp-Gruppen dazu aufgerufen, auch in der Schweiz ähnliche Aktionen durchzuführen. Die Leute organisieren sich – wie reagiert der Bauernverband?
Wir halten solche Proteste wie in Frankreich, wo sie zum Teil in ziemlich ausarten, nicht für zielführend. Sie würden von der Schweizer Bevölkerung wohl nicht recht verstanden und uns auch in der Politik Glaubwürdigkeit kosten. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Parlament erst im Dezember entschied, auf Sparmassnahmen bei der Landwirtschaft zu verzichten. Zudem gab der Bundesrat bekannt, dass die Mineralölsteuerrückerstattung für die Bauernbetriebe erhalten bleibt. Wir möchten den Bauern eine Möglichkeit bieten, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Deshalb haben wir am Dienstag eine Petition lanciert. Je mehr Unterschriften wir dazu sammeln können, desto stärker die Botschaft. Deshalb: Bitte alle unterzeichnen!
Kann der Bauernverband verhindern, dass die Schweizer Landwirte sich bald mit ähnlichen Problemen konfrontiert sehen wie die Kollegen in Deutschland und Frankreich?
Unsere Bauern haben durchaus ähnliche Probleme. Vor allem der wirtschaftliche Druck und die stetig steigenden Auflagen können einzelne Betriebe durchaus verzweifeln lassen. Ziemlich alle Bauernfamilien leiden zudem unter der oft fehlenden Anerkennung der erbrachten Leistungen und der unternommenen Verbesserungen für die Umwelt, die Biodiversität oder das Tierwohl. Aber: Seit den letzten Wahlen sind wir im Parlament noch besser vertreten. Ich bin überzeugt, dass wir über die gängigen politischen Wege die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft verbessern können.
Wäre es nicht sinnvoller, sich gegen Grossverteiler zu wehren als gegen die Politik? Indem zum Beispiel nicht mehr geliefert wird, wenn der Preis nicht stimmt?
Wir kämpfen an beiden Fronten. Es ist wichtig, dass Verarbeiter und Handel anerkennen, dass die Produzentenpreise rauf müssen. Diese müssen um mindestens 5 bis 10 Prozent steigen, um die höheren Kosten und das steigende Anbaurisiko zu decken.
Lässt die Kombination von freiem Handel und internationalen Umwelt- und Klima-Abkommen langfristig überhaupt noch Raum für eine eigenständige nationale Landwirtschaftspolitik?
Natürlich. Ohne eigenständige nationale Landwirtschaftspolitik gibt es keine einheimische Landwirtschaft mehr. Dazu sind unsere Strukturen zu klein und die Auflagen zu hoch. Und die Schweizer Gesellschaft will eine einheimische Lebensmittelproduktion.
Die Schweizer Landwirtschaftsbetriebe sind KMU, in anderen Branchen haben längst grosse Konzerne das Sagen – wann übernehmen sie auch die landwirtschaftliche Produktion?
In der Schweizer Landwirtschaft stehen die Familienbetriebeim Zentrum. Und das muss so bleiben.
Was braucht die mittelständische Landwirtschaft, um wirtschaftlich und politisch eine Zukunft zu haben?
Die Bauernfamilien müssen von der Landwirtschaft leben können, ohne sich kaputt zu «chrampfen». Dazu braucht es eine Vereinfachung der Agrarpolitik, Stabilität bei den Rahmenbedingungen, einen funktionierenden Grenzschutz und gute Produzentenpreise.
Die Proteste im Ausland stossen auf breite Resonanz in der Bevölkerung. Welchen Rückhalt hätten Kampfmassnahmen in der Schweiz?
Ich befürchte, dass Kampfmassnahmen wenig Rückhalt hätten. Deshalb ist es unser Ziel, es nicht so weit kommen zu lassen. Wir müssen die Ziele über andere Wege, über das Parlament und Verhandlungen mit den Marktpartnern erreichen.