Die IG Weidemilch feiert ihr 20-jähriges Bestehen – ein Anlass, um auf zwei Jahrzehnte Förderung nachhaltiger und tierfreundlicher Milchproduktion in der Schweiz zurückzublicken. Präsident Peter Trachsel spricht im Interview über die Anfänge der Interessengemeinschaft, die aktuellen Herausforderungen der Mitglieder und stellt sich der Frage, ob die Weidewirtschaft in der Schweiz bald der Vergangenheit angehören könnte.

Wie und warum entstand die IG Weidemilch und wie hat sich die Anzahl der Mitglieder, die auf Weidehaltung setzen, in den letzten 20 Jahren entwickelt?

Peter Trachsel: Durch ein Forschungsprojekt «Optimilch», wo Hochleistungsstrategie und Vollweide miteinander verglichen wurden, und durch das Bedürfnis, das Wissen rund um das Weiden zu teilen und vermehren. Zu den 40 Gründungsmitgliedern wuchs und wächst der Verein im Durchschnitt um 5 Betriebe pro Jahr.

Welche Betriebe sind Mitglied?

AboDamit das automatisierte Melken mit dem Roboter funktioniert, müssen die Weideflächen nicht zwingend arrondiert um den Betrieb liegen.Melkroboter«Das Weiden hat auch mit Roboter einen hohen Stellenwert», sagt Marcel SchwagerDonnerstag, 22. Juni 2023 Die Vielfalt der Weidebetriebe ist gross. Vom Bergbetrieb bis zum Talbetrieb im Ackerbaugebiet. Vom einfach und kostengünstig wirtschaftenden Vollweidebetrieb bis zum Hightech-unterstützten Betrieb mit grosser Tierzahl und moderner Robotertechnik. Züchter mit Kühen verschiedener Rassen, Reinzüchtungen und Kreuzungstiere, Milchkühe mit Hörnern und hornlose. Betriebe, die erfolgreich Umtriebsweide, Portionsweide oder Kurzrasenweide betreiben. Und alle verfolgen ein Ziel: Viel Weidegras während der Vegetationsperiode optimal und kostengünstig in Milch umzuwandeln.  

Es sind auch in der Schweiz immer wieder Stimmen zu hören, die sagen, dass Milch künftig wieder vermehrt im Stall produziert werde, insbesondere im Talgebiet. Sehen Sie eine Verdrängung der Weidehaltung durch moderne, intensivere Stallhaltung?

Nein, absolut nicht. Die Weide ist das günstigste Futter und ergibt ökonomisch wie ökologisch auf vielen Betrieben Sinn. Es ist eine Betriebsstrategie, die vom Betriebsleiter bewusst gewählt wird. Sie muss zum Betriebsleiter und zum Betrieb passen. Auch im Talgebiet gibt es viele Naturwiesen, und Kunstwiesen sind ein wichtiger Bestandteil einer gesunden Fruchtfolge. Dieses Gras direkt von der Kuh in Milch umwandeln zu lassen, ist sehr effizient und nachhaltig.

In welchen Kanälen und Märkten wird Milch aus Weidehaltung hauptsächlich verkauft?

Milch aus Weidehaltung wird in allen Kanälen verkauft, es ist primär eine Betriebsstrategie des einzelnen Betriebsleiters und wird nicht von den Milchhändlern oder Verkäufern bestimmt. Die Betriebe der Mitglieder verteilen sich über die ganze Schweiz. Eine spezielle Sammlung wäre ökonomisch und ökologisch wenig sinnvoll.

Gibt es spezifische Abnehmer, die besonders auf Milch aus Weidehaltung setzen?

Verschiedene Labelprogramme verlangen hohe Weideanteile. Das Verkaufen der Milch ist Sache der Verarbeiter, wir unterstützen sie natürlich gerne mit unserem positiven Image. Nicht zu vergessen mit den Kuhbildern auf den Milchverpackungen.

Wie viele Mitglieder setzen auf saisonale Abkalbung? Und wie reagiert die IG Weidemilch auf die Anforderungen der Konsumenten nach ganzjähriger Verfügbarkeit von Milch?

Etwa die Hälfte der Betriebe arbeitet saisonal, wobei die Saisonalität je nach Betrieb unterschiedlich ausfällt. So gibt es beispielsweise Bergbetriebe, die ihre Abkalbesaison im Herbst haben. Viele Weidebetriebe produzieren vor allem im Sommer grosse Mengen Milch, was für die Verarbeiter besonders wichtig ist. Einige Betriebe, die direkt an Molkereien oder Käsereien liefern oder mit Melkrobotern arbeiten, teilen ihre Herden in Frühjahrs- und Herbstabkalbe-Gruppen auf, um eine ganzjährige Milchproduktion und Verarbeitung sicherzustellen. Letztlich ist es oft auch eine Frage des Preises.

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen die Vorteile der Weidehaltung für Nachhaltigkeit und Tierwohl?

Das Projekt Klimastar zeigt sehr gut, wie Weidebetriebe durch die Nutzung von frischem Futter mit höherem Nährstoffgehalt und dem Verzicht auf oder die Minimierung von Kraftfutter besonders effizient produzieren. Dadurch vermeiden sie die Konkurrenz zu Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr. Die kleineren Kühe in diesen Betrieben haben einen geringeren Erhaltungsbedarf und können das pflanzliche Eiweiss aus Gras, das für den Menschen nicht direkt verwertbar ist, sehr effizient in tierisches Eiweiss – in Form von Milch und Fleisch – umwandeln. Durch die höhere Nährstoffdichte in der Milch wird zudem weniger Wasser transportiert, was zusätzliche ökologische Vorteile bringt.

Wie unterstützt die IG Weidemilch ihre Mitglieder dabei, die gesundheitlichen Risiken der Weidehaltung wie Parasitenbefall und extreme Wetterbedingungen zu minimieren?

Das Wissen rund um die Weidewirtschaft wird auf gut besuchten Tagungen regelmässig diskutiert und ausgetauscht. Aktuell läuft das Projekt «Weidegötti», bei dem erfahrene Weideprofis Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter dabei unterstützen, den Weideanteil auf ihren Betrieben zu erhöhen. Zudem beteiligen sich Mitglieder der IG Weidemilch aktiv an verschiedenen Forschungsprojekten in den Bereichen Futterbau, Weidegenetik, Ökologie und Ökonomie.

Wie stellt die IG Weidemilch sicher, dass Weidehaltung auch bei zunehmenden klimatischen Herausforderungen wie Dürreperioden eine praktikable Option bleibt?

Unter dem Strich ändert sich nicht allzu viel. Die milderen Winter haben den Weideaustrieb in den letzten Jahren vorverlagert und so kann vielerorts eigentlich stets früher und bis spät in den Herbst geweidet werden. Das Gras kann im Herbst die Verluste durch Dürrephasen im Sommer wieder wettmachen, sodass insgesamt nicht weniger Futter von der Weide kommt. Die eigentliche Kunst der Weidewirtschaft besteht darin, sich flexibel und schnell an wechselnde Wetterbedingungen anzupassen.

Welche Erwartungen haben Konsumenten heute an die Weidehaltung, und wie versuchen Sie, diese Ansprüche zu erfüllen?

Für die Konsumenten ist es selbstverständlich, dass eine Kuh Gras frisst. Kühe auf der Weide sind für das Image der Landwirtschaft wichtig und sind die beste und ehrlichste Werbung für das Naturprodukt Milch. Es macht die Landwirtschaft sichtbarer als eine Tierhaltung in anonymisierten Ställen.