«Am Anfang war die Weide», begann Alois Kapfer sein Referat an der Agrofutura-Tagung «Artenreiche Wiesen – Vorwärts ins Mittelalter» am 9. Januar in Brugg AG. Sein Argument: Seit der letzten Eiszeit gab es diverse grosse Pflanzenfresser und Pflanzen sind deshalb allesamt an das Zusammenleben mit Herbivoren angepasst (z. B. mit sekundären Pflanzenstoffen oder Dornen). «Weidende Tiere waren und sind ein zentraler Teil von Ökosystemen», schloss er. Im modernen Naturschutz verhalte man sich aber nicht entsprechend und beziehe Pflanzenfresser zu wenig mit ein. Das sei so, als ginge ein todkranker Patient zum Arzt und dieser würde lediglich fragen, was der Kranke in den letzten zwei Wochen getan habe.

Das Gras wächst heute schneller

Wiesen wachsen unter den heutigen Bedingungen schneller. Der Klimawandel, die Stickstoff-Belastung der Umwelt und Gülledüngungen führen dazu, dass die Vegetationsperiode mehr als zwei Wochen länger dauert als früher. Trotzdem kann ein Blick zurück sinnvoll sein, wie Alois Kapfer in seinem Referat ausführte. Kapfer leitet ein Ingenieurbüro, das sich mit dem Spannungsfeld von Naturschutz, Wasser- und Landwirtschaft beschäftigt. Ausserdem hat sich der Agrarwissenschaftler eingehend mit der historischen Nutzung von Wiesen, Weiden und Feldern beschäftigt.

Früher Schnitt hat Folgen

Für Alois Kapfer ist die Beweidung schon fast ein Allheilmittel. «Je mehr Tiere aus dem System verschwinden, desto früher braucht es einen ersten Schnitt», erklärte er. Und ein früher oder einheitlicher Schnitttermin (Stichwort 15. Juni) beraubt Insekten auf einen Schlag ihrer Nahrung und Unterkunft. Im Umkehrschluss solle man sich eine gezielte Vornutzung im Frühling oder eine Nachnutzung im Herbst überlegen, gerade weil heute Wiesen schneller für einen Heuschnitt bereit sind.

Gezielt Nährstoffe entziehen und später mähen

«Eine Ausmagerung durch frühe Beweidung verschiebt den Termin für den Heuschnitt nach hinten», so Kapfer. Denn wenn weidende Tiere das erste Grün fressen, entfernen sie viele Nährstoffe, die in den jungen Pflanzen sind. Sie werden «kompakt entzogen», wie er es nannte. Entscheidend für den Erfolg, also eine artenreiche Wiese, sei der Zeitpunkt der Weidenutzung im Jahr. Im Mittelalter wurden fast alle Wirtschaftsflächen (auch Getreidefelder) beweidet. Einerseits im Frühling, aber auch im Herbst, da es an Winterfutter mangelte.

Ausmagern per Schröpfschnitt

Dasselbe Ziel, nämlich eine Ausmagerung der Wiese im Frühjahr, hat ein Schröpfschnitt. Dabei mäht man, wenn das Gras noch kurz ist (etwa 10 Zentimeter), um die Bestockung anzuregen. «Ich liebe meinen Garten – aber ich bin faul», erzählte der Agrarwissenschaftler. Daher mache er jeweils einen Schröpfschnitt, um nicht bei einer späteren Mahd viel Material wegführen zu müssen. «Ich imitiere eine weidende Kuh auf meinem Rasen, indem ich alle zwei Wochen etwa fünf Prozent der Fläche mähe und kesselweise Kuhfladen von Weiden in meinen Garten bringe», führte er weiter aus.  

Der Kanton Zürich will es ausprobieren 

Wie Jean-Marc Obrecht von der Fachstelle Naturschutz des Kantons Zürich erklärte, sind in Zürich Versuche mit Schröpfschnitten geplant. «Bisher konnte gezeigt werden, dass es für die Förderung einzelner Arten, z. B. Orchideen, funktioniert. Aber es besteht die Sorge, das andere Arten darunter leiden könnten», so Obrecht. Die Versuche sollen Klarheit verschaffen, ob die Schröpfung naturnahe Flächen aufwerten könne.

Landwirte brauchen Sicherheit

Zu einer allgemeinen Flexibilisierung des Schnittzeitpunktes von Ökoflächen bemerkte Martin Brugger vom Schweizer Bauernverband, Landwirte brauchten vor allem Sicherheit. «Wir wollen nicht nach vier, fünf Jahren hören, die Qualitäts-Kriterien seien nicht mehr erfüllt und wir damit raus aus dem Programm», betonte er. Die Bewirtschaftung müsse generell auf den Betrieb und auch arbeitstechnisch passen.