Andreas Aebi, was bedeutet die Wahl für Sie?

Andreas Aebi: Das ist sicher der ­Höhepunkt meines politischen Weges. Es bedeutet für mich Verantwortung, Pflichtbewusstsein, neutrale Führung. Es ist ein Präsidium in einer unübersichtlichen Lage, wo vieles nicht klar ist. Wir haben immer wieder neue Auflagen, neue Themen, neue Kredite. Das stellt die Programme immer wieder auf den Kopf. Die erschwerten Umstände betrachte ich als zusätzliche Herausforderung.

Als Präsident in Corona-Zeiten wird es wenig repräsentative Pflichten und weniger Reisen geben, bedauern Sie das?

Das stimmt, aber es geht ja nicht um meine Reisen, sondern um die sehr wichtigen internationalen Kontakte. Weil man nicht mehr reist, haben wir beispielsweise das Debakel in Weissrussland, weil wir keine Wahlbeobachter hatten. Die internationale Politik muss sich immer sehen, das gibt Vertrauen und Verständnis.

Vor welchen Aufgaben haben Sie den grössten Respekt?

Wenn die Pandemie noch weitergeht, wenn es plötzlich schwierig wird, Parlamentssitzungen abzuhalten, wenn die Krankheitsfälle zunehmen und eventuell ganze Fraktionen ausfallen, was machen wir dann? Respekt habe ich auch vor komplexen Abstimmungskaskaden, da muss ich dreinwachsen, bin aber zuversichtlich, dass das geht, mit den Topleuten, die helfen das vorzubereiten.  

In der dritten Sessionswoche steht die Sistierung der AP 22+ auf dem Programm. Ist das der richtige Weg?

Als Präsident des Nationalrats sollte man sich nicht mehr zu sehr auf die Äste rauslassen, aber ich habe mich immer dafür eingesetzt, weil Punkte drin sind, die man neu aufnehmen muss.

Können Sie als Agrarpolitiker die Debatte neutral moderieren?

Absolut, keine Frage.

Selber legen Sie als Landwirt viel Fokus auf Öko-Massnahmen, sollte man diese nicht noch verbindlicher gestalten?

Ich habe Probleme mit der AP 22+, da man ausgerechnet in der Pandemie-Zeit, wo jeder für sich schaut, die Selbstversorgung senken will. Mich stört auch, dass man mit AP 22+ die Ausbildungslevel erhöhen will, das kann ich als langjähriger Lehrmeister nicht mittragen. Ich bin aber durchaus bereit, in ökologischen Fragen Verbesserungen mitzutragen.  

Sie haben den Betrieb Anfang Jahr dem Sohn übergeben. Sind Sie froh, aus der Verantwortung als Landwirt entlassen zu sein?

Ich bin nicht aus der landwirtschaftlichen Verantwortung entlassen. Ich verbringe jede Minute, die es geht auf dem Betrieb und habe Freude an jedem Franken, den mein Sohn verdient. Ich finde es sehr schön, dass ich einen 28-jährigen bestens ausgebildeten Junior habe, der eine Familie hat, das ist nicht selbstverständlich.

Die Stimmung ist in der Landwirtschaft eher durchzogen. Oder wie beurteilen Sie das?

Ja, wo ist denn die Stimmung gut gegenwärtig? Es herrscht vielerorts Depression und die Landwirtschaft ist gar nicht so schlecht aufgestellt im Vergleich zu anderen Branchen, denen das Wasser bis zum Hals reicht. Ich war heute mit Kühen auf dem Schlachtviehmarkt in Burgdorf. Dort wurde bis zu einem Franken überboten, das freut mich.  

Sehen Sie trotzdem irgendwo Handlungsbedarf?

Ich bin nicht zufrieden mit dem Milchpreis. Wir sind das Land mit der höchsten Kaufkraft und es kann nicht sein, dass die Milch bei uns fast gleich wenig kostet wie auf der anderen Seite des Bodensees. Wir müssen uns fragen, wo es hinführt, wenn man die Investitionen mit dem Ertrag aus dem Geschäft nicht finanzieren kann; und ob wir die Stallbauten nicht ebenfalls öffentlich unterstützen sollten, wie das in der EU üblich ist.  

Werden Sie auch als Präsident weiter Vieh versteigern?

Das Präsidium hat immer Vorrang. Aber auch als Ratspräsident ist man nicht immer im Bundeshaus. Deshalb werde ich auch weiterhin meinen üblichen Verpflichtungen wie etwa Stallarbeiten nachkommen. Ich habe grosse Bedenken, dass Organisationen und Institutionen unter Corona stark leiden werden. Deshalb versuche ich dort, wo es geht, weiterhin Leute zu treffen, diese Begegnungen halte ich für sehr wichtig.