Es war fast wie früher am Brennpunkt Nahrung in Luzern: der Forumssaal an der Messe Luzern war prall gefüllt, die Branche vereint und das Programm reichhaltig. Eines war aber neu: Die spürbare Freude, dass man sich wieder versammeln kann, nachdem die letztjährige Durchführung der Pandemie zum Opfer gefallen ist.

«Nicht den Kopf in den Sand stecken»

Die Pandemie war denn auch in den Begrüssungsworten von Manfred Bötsch präsent. Der Präsident des Conference Board sagte, dass diese die Branche durchgeschüttelt habe. In Krisensituationen hätten viele die Tendenz, an die Seitenlinie zu stehen. Dies sei aber für die Entscheidungsträger in der Land- und Ernährungswirtschaft keine gute Strategie, man dürfe den Kopf nicht in den Sand stecken, so Bötsch, vielmehr gelte es, das grosse Wissen weiter umzusetzen: «Noch nie wussten wir so viel», sagte er.

Aber auch die Probleme waren wohl noch selten so greifbar, Stichworte Klimawandel, Biodiversitätskrise, Wassermangel, Überforderung der Konsument(innen) etc. Dies zeigte sich an den Referaten, aus denen wir im Folgenden einige Rosinen herauspicken.

60-90 Tonnen Lebensmittel, 20 Kilo Medikamente

Murielle Bochud von der Universität Lausanne befasste sich mit der Ernährung aus Sicht der öffentlichen Gesundheit. Sie begann zum Auftakt des Lebens «Nicht nur die Ernährung der Mutter ist für das Kind entscheidend, sondern auch diejenige des Vaters». Sie erinnerte das Publikum daran, dass die Ernährung deutlich entscheidender sei, als was wir zeitlebens an Medikamenten einnehmen. Die Zahlen sind erdrückend: «Ein Mensch ist in seinem Leben 60 bis 90 Tonnen Lebensmittel, Medikamente aber lediglich 20 Kilogramm», sagte Bochud.

Dabei sei einwandfrei nachgewiesen, dass eine fett- und salzarme Ernährung mit viel Gemüse und Früchten sowie Vollkorn-Produkten klar positive Auswirkungen auf die Lebenserwartung hat. Bochud präsentierte eine interessante Studie mit chinesischen Dorfbewohern. Dort wurde für eine Testgruppe das normale Kochsalz durch Kali-angereichertes Salz ersetzt, damit resultierte für diese Gruppe ein um über 10 Prozent tieferes Risiko für Herzkreislauferkrankungen und hohen Blutdruck.   

Glutenfrei-Absatz wächst schneller als Gluten-Allergie-Diagnosen 

Ihr Nachredner Thomas Ellrott ist ein geborener Conférencier und unterhielt das Publikum mit Erkenntnissen aus der Psychologie der Ernährung. Dafür ist er als Professor zum Thema an der Uni Göttingen bestens prädestiniert. Er begann mit einem Kuchen. «Das Backen eines Kuchens für eine Kindertageesstätte gleicht heute der Quadratur des Kreises», so Ellrott. Dieser müsse gluten- und laktosefrei sein, selbstverständlich vegan und wenn möglich bio. 

Anhand der Gluten-Allergie erläuterte er ein interessantes Phänomen. «Die Nachfrage für glutenfreie Produkte wächst viel schneller als die Zahl der Diagnosen», so Ellrott, und dies, obwohl diese Produkte nicht nur teurer sind, sondern auch Einbussen beim Geschmackserlebnis zur Folge haben könnten. Was sind die Gründe, dass diese trotzdem gekauft werden, auch wenn es gar keinen Gesundheitseffekt gibt? «Es gibt einen Zusatznutzen», so Ellrott, «glutenfrei wird zum Lifestyle». Das sei schon fast religionsartig: «Der Einkauf im Bioladen ersetzt zunehmend den Kirchgang», so Ellrott zum Vergnügen des Publikums.

Hohe «Instagramability» von Nahrungsmitteln

Ein weiterer Grund sei die hohe «Instagramability» von Lebensmitteln, also die Verwertbarkeit des Essens auf Social Media wie Instagram. Kaum etwas lasse sich so gut inszenieren wie das tägliche Brot, bzw. aufwendig dekorierte vegane Menus. Ellrott sprach von glutenfrei oder veganer Ernährung als «soziale Tattoos» für Menschen, die in der zunehmenden Anonymität und Gleichförmigkeit der Gesellschaft nach Unterscheidungsmerkmalen zu den Mitmenschen suchten. Das sei mit ein Grund dafür, dass sich immer mehr Menschen fürs Essen interessierten.

Man finde in Nischen wie Veganismus und einschlägigen Gruppen in den Sozialen Medien eine soziale Einbettung, ja gar eine Art Familie, fuhr er fort. Die strikte Überwachung der eigenen Ernährung erlaube gefühlt auch eine bessere Kontrolle über sein Leben. Das sei ähnlich wie bei den Männern, die eine Modelleisenbahn ihr Eigen nennen, frotzelte der Ernährungspsychologe.  

Bafu-Vizedirektorin kritisiert Bauern und Detailhandel

Ein kurzes Podiumsgespräch mit Franziska Schwab, Vizedirektorin des Bundesamts für Umwelt und mit Michael Beer, Leiter Lebensmittel und Ernährung beim Bundesamt für Veterinärwesen und Lebensmittelsicherheit (BVL) brachte einige interessante Aussagen.

Zunächst konnte festgestellt werden, dass Franziska Schwarz, nicht untypisch für Vertreter(innen) ihres Amtes, eine sehr landwirtschaftskritische Grundhaltung hat. Es brauche staatlichen Druck, um Probleme wie Biodiversitäts-Schwund zu mildern, erklärte sie. In der Milchproduktion werde zu viel Kraftfutter eingesetzt und das Volk sei darüber nur ungenügend informiert.

Mehr Eingriffe möchte sie auch beim Detailhandel. Dass dieser 365 Tage im Jahr das ganze Sortiment präsentieren wolle, sei nicht ökologisch. Damit immerhin geht sie vermutlich einig mit der Mehrzahl der Bauern und Bäuerinnen in der Schweiz. 

Zentrale Eigenverantwortung der Konsument(innen)

Beer appellierte an die Eigenverantwortung der Konsument(innen) in Sachen gesunder Ernährung. Jeder und jede sei selber zuständig für das, was er oder sie esse, so der BLV-Vertreter. Da sei niemand anderes schuld. Deshalb handhabt man es beim BLV wie folgt: «Wir sagen nicht, es gibt Dinge, die man nicht essen soll, wir sagen aber, von welchen Dingen man eher weniger essen soll.»

Hier kam im Verlauf der Tagung vor allem das Rindfleisch schlecht weg. Dieses verursache nicht nur höhere externe Kosten als sämtliche anderen Produkte, sondern es sei auch gesundheitlich bedenklich, stellten diverse Referent(innen) fest. 

Wertvolle Gesundheitsdaten von Suisseporcs und Suisag

Die beiden Produzentenvertreter Hansueli Jungen (Aaremilch) und Meinrad Pfister (Suisseporcs) hatten ihrerseits Interessantes zu berichten. Jungen erläuterte die hohen Anforderungen an Züchtung und Produktion von Konsumenten-verträglicherer A2-Milch (s. dazu untenstehendes Interview).

Pfister zeigte auf, wie erfolgreich in letzter Zeit Gesundheitsdaten beim Schwein erfasst werden konnten. Dabei zeigte sich unter anderem, dass nur 4 Prozent der Betriebe 45-62 Prozent der in der Schweinehaltung verwendeten Reserve-Antibiotika nutzten. Diese Zahlen hätten ihn selbst erschreckt, so Pfister, gleichzeitig zeigten sie aber auch, dass  der Verbesserungseffekt sehr hoch sein kann, wenn man diesen Betrieben hilft, dies ist das erklärte Ziel von Suisseporcs.

«Grünland auch für Geflügel und Schweine nutzen»

Aufschlussreich war auch das Referat von FiBL-Co-Direktor Knut Schmidtke. Er ist bereits einen Schritt weiter und thematisierte die Nutzung des Grünlands in post-veganer Zeit. Für ihn ist der reine Veganismus im Grasland Schweiz keine Option. Man müsse aber die Zahl der Nutztiere in Frage stellen und versuchen, diese mit weniger Kraftfutter zu ernähren. Mit einer graslandbasierten Fütterung sei man punkto Nachhaltigkeit durchaus bei den Leuten, so Schmidtke.

Er erläuterte diverse Verbesserungsmöglichkeiten: «Wir müssen das Grünland mit klimaschonenden Pflanzen anreichern», sagte Schmidtke. So führe eine Verfütterung von Spitzwegerich als Beispiel zu deutlich tieferen Lachgas-Emissionen bei den Kühen. Im Weiteren müsse man das Grünland konsequent auch als Futterbasis für Schweine und Geflügel nutzen, um hier den Getreideeinsatz zu vermindern.

Auch berge das Grünland Potenzial für die Herstellung veganer Nahrungsmittel. Schmidtke sprach von einem Kleeburger oder der Möglichkeit, Grünzeug als Dekoration und Gewürz noch vermehrt einzusetzen. Mit all diesen und weiteren Massnahmen könne es gelingen, die Biodiversität trotz fortgesetzter Tierhaltung zu steigern und die Klimaeffekte der Nutztiere zu senken.

Hitzige Diskussion: «Ein Rind besteht nicht nur aus Filet»

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Zum Ende der Konferenz diskutierten die bekannte Veganerin und Nationalrätin Meret Schneider (Grüne, ZH) mit ihren Amtskollegen Roland Fischer (GLP, LU) und Mike Egger (SVP, SG) über die Rolle der Politik, die Land-und Ernährungswirtschaft nachhaltiger zu gestalten.

Uneinigkeit bei Massentierhaltungs-Initiative
Initiantin Meret Schneider spricht sich im Namen aller Schweizer Masthühner klar für ein Verbot der Massentierhaltung in der Schweiz aus. Sie plädiert dafür, dass Fleisch ähnlich wie Kaviar als Luxusprodukt angesehenund folglich auch nur seltenund bewusst konsumiert werde. Der gelernte Metzger und heute beim Fleischproduzenten Micarna tätige Mike Egger widerspricht dem vehement: «Diese Initiative grenzt an Irreführung der Bevölkerung, wir haben in diesem Land keine Massentierhaltung.» Er betont die Fortschrittlichkeit der Schweiz gegenüber der EU beispielsweise hinsichtlich der deutlich niedrigeren Transportzeiten der Tiere. Ausserdem warnt er vor einem steigenden Einkaufstourismus in den Nachbarländern, welche Fleisch zu deutlich niedrigeren Preisen anbieten. Bereits heute entgingen der Fleischindustrie dadurch 1,6 Mrd Franken, so Egger. Dieses Argument lässt Roland Fischer nicht zählen. Er sieht die Politik klar in der Verantwortung.

Externe Kosten
In den Vorträgen der Konferenz wurde deutlich, dass jedes Lebensmittel externe Kosten z.B. in Form von Umwelt- und Gesundheitsschäden produziert, welche nicht im Verkaufspreis enthalten sind. «Der Markt allein führt nicht dazu, dass diese negativen externen Kosten gedeckt sind», konstatiert Roland Fischer. Erfordert staatliche Interventionen. Bei der Frage, wie diese genau aussehen sollen, wird er wenig konkret. Auch Meret Schneider bemängelt die niedrigen Lebensmittelpreise. Diese führten dazu, dass durchschnittlich ein Drittel der eingekauften Lebensmittel in der Schweiz weggeworfen würden. Insbesondere die wöchentlichen Aktionen mit ausländischem Fleisch bei Coop und Migros verurteilt sie. Als Mann vom Fach argumentiert Mike Egger, dass mit den Aktionspreisen die Vollverwertung des Tierkörpers sichergestellt werde: «Ein Rind besteht nicht nur aus Filet.» Ausserdem haben günstige Angebote für ihn eine soziale Komponente, so könnten sich Alle Fleisch leisten.