Nach einer agrarpolitisch befrachteten Woche traf sich am Freitagabend eine politisch gemischte Runde zur Analyse in der Sendung Arena von SRF. Diese fassen wir nachfolgend kurz zusammen.
(K)ein zahnloser Papiertiger
Martin Ott, ex-FiBL-Präsident und Biobauer kritisierte, dass mit der nun mit dem Minipaket leicht neu verpackten Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) ein Weiterführen des Bestehenden zementiert werde. «Das Erreichte ist nicht schlecht, und dafür haben wir schon vor 30 Jahren hart gekämpft, schon damals gegen den Bauernverband», so Ott. Die Landwirtschaft sei liberalisiert worden, «aber jetzt haben wir ein Ökologieproblem». 100'000 Tonnen Stickstoff zuviel, bilanzierte Ott.
Markus Ritter wehrte sich gegen den Vorwurf, die AP 22+ sei ein zahnloser Papiertiger. Der ergänzende Bericht über die zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik gebe die Richtung (Ernährungs- statt Agrarpolitik) gut vor. Die Ökologie habe man bewusst vorgezogen. Ritter erinnerte an die Parlamentarische Initiative 19.475 mit den berühmt-berüchtigten Absenkpfaden. Deshalb seien die Forderungen noch einmal ökologisch nachzuschärfen, völlig fehl am Platz. «Die Bäuerinnen und Bauern rennen schon so schnell wie sie können, und von hinten wird immer gerufen, noch schneller, noch schneller», sagte Ritter mit Blick auf die Ökologie. Ein bisschen Zeit zur Umsetzung wäre aus seiner Sicht wichtig.
Gemeinsames Ziel produzierende Landwirtschaft
Man habe ein gemeinsames Ziel, sagte die grünliberale Nationalrätin Tiana Angelina Moser: «Eine produzierende Landwirtschaft, welche die Lebensgrundlagen erhaltet», so Moser, «wir haben eine totale Nährstoffschwemme und einen Artenschwund», fuhr sie fort. Sie warf Ritter vor, man habe sich für Stillstand entschieden. Man müsse sich bewegen, das unterstütze auch der BLW-Direktor. Auffällig oft äusserte sie viel Verständnis für die Praktiker(innen): «Ich attestiere den Bäuerinnen und Bauern, dass sie total viel machen für die Umwelt, aber die Agrarpolitik müsse angepasst werden».
Auch Mike Egger, SVP-Nationalrat und Micarna-Kadermann, haute in dieselbe Kerbe: Die Bäuerinnen und Bauern machten schon viel. Das mit dem mangelhaften Tatendrang in Sachen Ökologie stimme schlicht nicht: «19 % Biodiversitätsfläche, das kann man nicht kleinreden», so Egger. Ott konterte scharf, er kritisierte, der SBV dränge die Bauern in die Opferrolle, die grössten Probleme, die höchste Suizidalität hätten die Bauern dort, wo sie in der Tierhaltung auf zu kleinen Flächen für zu viele Tiere bauten.
Das Rosenkohl-Dilemma
Bevor die Diskussion sich verselbständigte, übergab Moderator Sandro Brotz das Wort an Bio-Winzer Roland Lenz aus dem thurgauischen Uesslingen. Dieser zeigte sich enttäuscht über die Zerfledderung der AP 22+. Die unheilige Koalition zwischen Wirtschafts- und Bauernverbänden habe zu Bremsspuren geführt. «Dabei läuft uns die Zeit davon», sagte er in Bezug auf die Biodiversität.
Gemüseproduzent Simon Lässer vom Fahrmaadhof in Diepolsdsau im St. Galler Rheintal erklärte, dass die Hauptschuld am Biodiversitäts-Schwund nicht stets den Bauernfamilien in die Schuhe geschoben werden dürfe. Er illustrierte am Beispiel Rosenkohl-Produktion, dass einerseits immer weniger Pflanzenschutzmittel zur Verfügung stehen, dass gleichzeitig die Qualitätsanforderungen aber unverändert hoch seien. «Das geht einfach nicht auf», sagte er. Deshalb habe man die Produktion des Gemüses eingestellt.
12 Milliarden gegenüber 2,8 Milliarden
Anschliessend kam der Markt in den Fokus. Markus Ritter erklärte, 12 Mrd Fr. erwirtschafteten die Bauern auf dem Markt, 2,8 Mrd Fr. erhielten sie an Direktzahlungen. Die Politik dürfe nicht noch immer komplizierter werden und in den Marktbereich zusätzlich regulieren. In der soeben absolvierten AP 22+-Debatte seien 19 Minderheitsanträge abgewiesen worden, die einen zusätzlichen Wust an Auflagen gebracht hätten.
Das stellte Tiana Angelina Moser energisch in Abrede. Ein Teil davon seien Massnahmen zur Liberalisierung gewesen, wie etwa der gescheiterte Angriff von linksgrün auf die Absatzförderungsmassnahmen fürs Fleisch. Dieses nahm übrigens, wie in eigentlich allen derzeitigen Diskussionen um die Landwirtschaft, einen überdurchschnittlich hohen Anteil der Sendezeit in Anspruch. Dabei bekannte selbst Mike Egger, dass er «den Plausch» habe an der breiten Palette von vegetarischen Produkte, die seine Firma herstelle.
Die Biomargen erhalten Schutz von rechts und links
Etwas weniger den Plausch hatte er dann am Thema übersetzte Margen für Bioprodukte. Egger stellte in Abrede, dass sein Arbeitgeber Bioprodukte zu teuer verkaufe, wie dies unter anderem der Preisüberwacher moniert. Ott stand ihm zur Seite und gab ein flammendes Plädoyer für die Leistung von Coop in Sachen Bioprodukten und deren Preis. Als es zum Schluss noch um Food Waste ging, waren sich auch Mike Egger und Tiana Angelina Moser einig. Bevor etwas Abgelaufenes weggeworfen wird, riechen beide zuerst am Produkt.
Diese unerwartete Einigkeit zwischen den Polen war recht typisch für die Sendung: Man zeigte sich erstaunlich konziliant, man wollte einander nicht zu scharf an den Karren fahren, fast schaudernd erinnerte man sich an die harten Auseinandersetzungen im Vorfeld der Agrar-Initiativen 2021. Es wurde überraschend viel geschmunzelt und einander manchmal recht gegeben.
Auffällig war auch, dass von linksgrüner Kritiker(innen)-Seite her niemand die Bäuerinnen und Bauern kritisieren wollte, sondern nur die Agrarpolitik am Pranger stand. «Sie mögen sich ja eigentlich schampar gut», sagte Moderator Brotz zum Schluss leicht erstaunt in die Runde. Dieser Eindruck erhielt nicht nur er. Und das ist ja vielleicht nicht die schlechteste Ausgangslage für die Weiterarbeit auf der Grossbaustelle Agrarpolitik.