Die Europäische Union erlaubt das Verfüttern bestimmter tierischer Proteine bereits seit 2021 wieder. Die Schweiz zieht aufgrund mehrer politischer Vorstösse nach – 22 Jahre nach Einführung des Verbots zur Bekämpfung der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE). Gleichzeitig ermöglichten die Änderungen in der «Verordnung über tierische Nebenprodukte» und jener über die Verwertung von tierischen Nebenprodukten für Futtermittel und als Dünger die Gleichwertigkeit mit dem EU-Recht, ergänzt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in einer Mitteilung. Diese Woche wurde die Vernehmlassung dazu eröffnet.
Abgegrenzte Betriebszweige
Es gehe dabei um «hochwertige Nebenprodukte der Schlachtung», die nicht als Lebensmittel verwendet werden. Sie sollen besser genutzt werden, und zwar in Form verarbeiteter Proteine für allesfressende Nutztiere. Konkret dürften Proteine von Geflügel an Schweine und Schweineproteine an Geflügel verfüttert werden. Das sei im Sinne der Förderung einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft, so das BLV.
«Werden nicht alle erfüllen können.»
Der Bund zu den Anforderungen an gemischte Betriebe.
Wie viele Landwirtschaftsbetriebe wirklich Tiermehl werden verfüttern können, ist allerdings noch fraglich. Insbesondere für gemischte Betriebe wird es aufwendig. «Die Anforderungen an die Trennung nach Betriebszweigen werden längst nicht alle Haltungen mit Tieren verschiedener Arten erfüllen können», heisst es dazu im erläuternden Bericht. Es ist die Rede von einer «kanalisierten Verwertung»: Die Betriebszweige müssen demnach physisch und organisatorisch vollständig voneinander getrennt sein, was neben separaten Ställen auch eine eigene Infrastruktur für die jeweilige Anlieferung, Lagerung, Zubereitung und Verabreichung von Futter umfasst. Wer also sowohl Schweine als auch Rindvieh hält, muss des Weiteren die getrennte Infrastruktur für den Transport, das Mischen und Verteilen der Futtermittel im Rahmen der regulären Kontrollen nachweisen können. «Für die Umsetzung in den Betrieben sind Branchenleitlinien geplant», heisst es beim BLV weiter.
Wartefrist fürs Grünfutter
Die Vermeidung von Kannibalismus und dass das Verfütterungsverbot tierischer Proteine weiterhin für Wiederkäuer gilt, haben zu einer neuen Vorschrift beim Grünfutter geführt: Neu dürfte nach dem Ausbringen von Dünger mit verarbeitetem tierischem Protein oder Fleisch- und Knochenmehl (ausgenommen Gülle) während mindestens 21 Tagen keine Beweidung erfolgen. Auch vor Ablauf dieser Frist geschnittenes Mähgut darf nicht an Nutztiere verfüttert werden. «Die Ausnahme von Gülle soll nicht signalisieren, dass eine solche Praxis sinnvoll wäre», so der erläuternde Bericht. Vielmehr liege die Regelung von Gülle nicht im Fokus dieser Bestimmung und sie unterliege nur in bestimmten Fällen dem Geltungsbereich der Verordnung über tierische Nebenprodukte.
Die Folgekette geht noch weiter: Um die Kontrolle dieser Vorschrift zu ermöglichen, müssten Landwirt(innen) die Art und Mengen der eingesetzten Dünger, Ort und Datum der Ausbringung und den Zeitpunkt der anschliessenden Futternutzung auf derselben Fläche aufzeichnen. Ausgenommen sind Dünger, die keine tierischen Nebenprodukte ausser Magen- und Darminhalt enthalten, sowie Gülle.
Da damit auch das Schweizer Recht an jenes der EU angeglichen wird, hält der Bund den erwarteten Mehraufwand für die Kantone für gerechtfertigt. Es sei wichtig, den ungehinderten Handel mit der EU weiterhin zu gewährleisten. Wie gross der Mehraufwand ausfällt, lasse sich aber bisher kaum abschätzen – er hängt davon ab, in welchem Ausmass die Praxis Gebrauch machen wird von den neuen Möglichkeiten.
Hygiene einhalten
Wie das BLV betont, müssen zur Sicherheit von tierischen Lebensmitteln und um Verunreinigungen zu verhindern, strenge Hygiene-Anforderungen eingehalten werden. Das betrifft die beteiligten Lebensmittel-, Verarbeitungs-, Futtermittel- und Lagerbetriebe.
Neben verarbeiteten Proteinen erlauben die angepassten Verordnungen auch Insekten zur Fütterung von Geflügel und Schweinen.
Die Vernehmlassung endet am 15. Dezember 2023.
«Unbedenkliche Nebenprodukte»
In einem Faktenblatt zur Wiedereinführung der Verfütterung von tierischem Eiweiss an Nutztiere zieht die Gesellschaft Nutztiergesundheit Schweiz (NTGS) ein positives Fazit. «Die Diskussion beschränkt sich auf unbedenkliche Nebenprodukte von Nichtwiederkäuern, die unter sichernden Auflagen in der Fütterung von Schweinen und Geflügel eingesetzt werden könnten», so die NTGS. Die Trennung der Warenflüsse sei aber strikt einzuhalten.
Importe durch Tiermehle ersetzen
Die NTGS rechnet mit einem Potenzial von rund 10'000 Tonnen Schweinemehl und 8'800 Tonnen Geflügelmehl. Damit sei eine Reduktion des Imports von Proteinen für die Nutztierfütterung möglich, die einer Anbaufläche von rund 11'000 ha Soja entspreche. Bei der Einfuhr von Futterphosphor betrage die mögliche Senkung 10 bis 30 Prozent.
Grosser Aufwand auf verschiedenen Ebenen
«Die strikte Trennung der Warenflüsse führt zu erheblichem Aufwand in der Logistik bei Verarbeitung, Futtermittelherstellung, Transport, Lagerung und Einsatz tierischer Eiweisse», hält die NTGS weiter fest. Über den rechtlichen Rahmen hinaus seien mit den Behörden abgestimmte Branchenkonzepte und Kontrollen notwendig, die eine sichere Verwertung garantieren.
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