Die Schlagzeilen waren eindeutig: Schweine ohne Hoden, genetische Manipulation, Ebergeruch adieu – und schon sah sich die gesamte Branche mit Vorwürfen konfrontiert, man wolle «Frankensteinzucht» über die Hintertür einführen. Proviande-Präsident Markus Zemp bringt es auf den Punkt: Das darf nicht akzeptiert werden. Die übrige Landwirtschaft muss hier klar einfordern, dass die roten Linien eingehalten werden. Denn der Artikel hat mehr als nur Emotionen geweckt; er hat Vertrauen untergraben – in Verbänden, in Politik, in der Öffentlichkeit. Eine klassische Kommunikationskatastrophe.
Die Verantwortlichen selbst, Suisag und Suisseporcs, versuchen Schadensbegrenzung: «Wir haben weder ‹Lobby-Pläne› noch wollen wir die Anwendung im Hintergrund einführen», heisst es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Suisseporcs und Suisag. Sie erklären, Genediting bei Tieren sei in der Schweiz «weder für den Bauernverband noch für Suisag oder Suisseporcs ein Thema». Doch zwischen den Zeilen liest man: Man kennt die Technik, man verfolgt die Forschung, man informiert sich über Entwicklungen im Ausland. Und hier liegt das Problem: Informieren ist das eine, Öffentlichkeit ist das andere – und das eine kann schnell als stiller Vorstoss missverstanden werden, insbesondere dann, wenn man das Ganze noch auf das politische Parkett hieven will.
Diskussionen über Tiergenetik schaden jetzt auf allen Ebenen
Die Lektion ist für alle deutlich. Eine unklare Kommunikation kann das Ansehen der gesamten Landwirtschaft gefährden. Es ist nicht die Technik, die das Problem ist, sondern das Timing und die Art, wie sie präsentiert wird. Aktuell hofft die Branche auf Fortschritte bei der Pflanzenzüchtung – eine politische Öffnung, die gerade vorbereitet wird. Jede Diskussion über Tiergenetik wirkt jetzt wie ein Schuss ins eigene Bein: Sie lenkt die Debatte vom Pflanzenbau ab, beschädigt das Vertrauen in Verbände und Politiker und lässt die Branche in der öffentlichen Wahrnehmung in einem falschen Licht erscheinen.
Für die Bauern bedeutet das: Sie müssen deutlich einfordern, dass die Schweinebranche klare rote Linien zieht und kommuniziert. Schweigen ist keine Option. Jede Unklarheit wird sofort politisch und medial aufgegriffen. Wer die Debatte nicht steuert, überlässt die Deutungshoheit anderen – und verliert die Glaubwürdigkeit.
Erinnerungen an die 2000er-Jahre werden geweckt
Die Schweizer Landwirtschaft kennt solche Kommunikations-Super-GAUs bereits. Erinnern wir uns an die Biotech-Debatten um genmanipulierte Kartoffeln Anfang der 2000er-Jahre. Damals wollte die Branche informieren, die Öffentlichkeit fühlte sich übergangen. Das Ergebnis: Misstrauen, Proteste, jahrelanger Vertrauensverlust. Die Parallelen zum aktuellen Fall sind offensichtlich. Wer nur informiert, ohne die Öffentlichkeit einzubinden und Grenzen zu setzen, gefährdet die eigene Glaubwürdigkeit.
Die klare Botschaft für die Branche lautet: Kommunikation ist ein zentrales Handwerkszeug. Wer die Forschung beobachtet, muss von Anfang an kontrolliert, transparent und strategisch vorgehen. Wer jetzt nicht klare Grenzen zieht und die Debatte eindeutig einordnet, riskiert, dass die Öffentlichkeit, Politiker und Medien die Agenda bestimmen. Und da es der Schweinebranche offensichtlich nicht gelingt, muss Proviande nachfassen, auch wenn sie die Misere nicht angerichtet hat. Die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft muss die Verantwortung übernehmen, klare Botschaften formulieren und die Interessen der Bauern schützen.
Rote Linien klar kommunizieren – und verteidigen
Es ist an der Zeit, dass die Branche lernt, dass Glaubwürdigkeit keine Selbstverständlichkeit ist. Jede noch so kleine Andeutung über Tiergenetik wird sofort politisch ausgeschlachtet. Wer das unterschätzt, spielt mit dem Vertrauen von Politik, Öffentlichkeit und Landwirten – und setzt die Akzeptanz für die gesamte Landwirtschaft aufs Spiel.
Die Lehre daraus ist klar. Rote Linien müssen nicht nur existieren – sie müssen auch klar kommuniziert und verteidigt werden. Alles andere ist riskant, alles andere untergräbt Glaubwürdigkeit und die politische Handlungsfähigkeit. Die Schweizer Landwirtschaft kann es sich nicht leisten, dass sich Kommunikationskatastrophen wie diese wiederholen.