Hat die Rindviehhaltung in der Schweiz eine Zukunft? Im Einstiegsreferat zur Tagung auf dem Col de la Croix stellte Fritz Schmitz-Hsu gleich zu Beginn klar, dass dem so sei. Dank der Rindviehhaltung könne Raufutter in hochwertige Milch- und Fleischprodukte umgewandelt werden, so der langjährige Swissgenetics-Mitarbeiter. «Da eignet sich die Schweiz mit ihrem hohen Anteil an Wiesen und Weiden besonders», so Schmitz-Hsu.

Und dank dem Rindvieh könne die Landschaft insbesondere auch in den Berggebieten genutzt werden. Gerade im Bereich der Treibhausgasemissionen ist die Rindviehhaltung immer wieder in Kritik geraten. Doch die Branche sei aktiv geworden und prüfe laufend das Optimierungspotenzial. Schmitz-Hsu wies aber auch daraufhin, dass der grösste Teil der Treibhausgasemissionen nicht aus der Landwirtschaft, sondern aus Verkehr, Industrie und Haushalten stammten. Erst auf Rang 4 kommt die Landwirtschaft ins Spiel.

Soziales nicht vergessen

«Nachhaltig» - ein Wort, ohne das heute kaum eine Firma, eine Organisation oder ein Medium auskommt. Fritz Schmitz-Hsu rief in Erinnerung, dass Nachhaltigkeit mehr sei als Ökologie. Damit etwas nachhaltig sein könne, müsse es ökologisch, sozial und ökonomisch sein. «Gerade die sozialen Aspekte dürfen in der Landwirtschaft nicht vergessen werden», forderte er mit Blick auf die Bauernfamilien.

Die Rindvieh-Halterinnen und -Halter könnten auch künftig erfolgreich sein, wenn sie langfristig dächten und agierten, tier- und umweltbewusst handelten, angepasst an ihre Situation produzierten und die sozialen Aspekte nicht vernachlässigten, so der Experte überzeugt.

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Das richtige Rindvieh am richtigen Ort

Viele der letztgenannten Punkte nahmen anschliessend die Tagungs-Posten auf dem Gutsbetrieb Sur-la-Croix detaillierter wieder auf.

Angepasst an die Situation, was bedeutet das? Die Schweiz kann grundsätzlich als standortgerecht für Rindvieh angeschaut werden, doch jede Region und jeder Betrieb sind anders. Darauf ging Anet Spengler Neff vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) ein. Sie machte klar, dass die Standortfaktoren vielfältig sind. Neben Fütterungsthemen, Klima, Topographie oder Absatzmärkten sind auch die Arbeitskräfte entscheidend dabei, welche Kuh zum Betrieb passt. Vorteile bei standortgerechter Milchviehzucht seien kürzere Zwischenkalbzeiten, eine längere Nutzungsdauer, weniger Behandlungen der Tiere und geringere BCS-Schwankungen. BCS steht für Body Condition Scoring, damit kann der Nährzustand des Tieres eingeschätzt werden.

Mit einer Vielzahl von Zuchtwerten und Anpaarungsinstrumenten stehen heute den Rindviehhaltenden Instrumente zur Verfügung, die passende Genetik für ihre Situation auszuwählen und zu verbessern. Deren Weiterentwicklung bedingt, dass neue Daten erhoben und den Zuchtorganisationen zugänglich gemacht werden, betonte Adrien Butty von der Qualitas AG.

Ressourcen möglichst effizient nutzen

Entscheidend für die Nachhaltigkeit ist die möglichst effiziente Nutzung der Ressourcen. Beat Reidy von der Hochschule HAFL untersuchte mit seinem Team mit Unterstützung der Fondation Sur-la-Croix, wie sich die Flächen- und Nahrungsmittelkonkurrenz zwischen Mensch und Tier darstellt. Bei den 25 untersuchten Betrieben zeigte sich eine grosse Variabilität. Wer wenig oder kein Kraftfutter einsetzt, wies kaum Nahrungsmittelkonkurrenz auf. Klar zeigte sich aber, dass keiner der untersuchten Schweizer Betriebe «Proteine» vernichtet, wie Reidy erklärte. Bei stark auf Kraftfutter ausgerichteten Betrieben im Ausland dürfte dies der Fall sein.

Wie Kühe Protein effizient nutzen, darauf ging Fredy Schori von Agroscope ein. Grundsätzlich gibt es laut Schori zwei Lösungsansätze. Einerseits könnte der Proteingehalt der Ration gesenkt werden. Das wirkt sich zwar negativ auf den Futterverzehr und die Milchleistung, aber positiv auf die Nutzung des Proteins aus. Der zweite Ansatz läuft über die Zucht proteineffizienterer Milchkühe.

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Gesündere Klauen, längere Nutzung

Bei standortangepasster Tierwahl kann die Nutzungsdauer erhöht werden. Wie lange Milchkühe genutzt werden, ist auch bezüglich Ressourceneffizienz, Klimaschutz und Tierwohl relevant. Im Jahr 2020 haben das FiBL, die HAFL sowie Agridea zusammen mit Partnern ein Forschungs- und Dialogprojekt gestartet. Mit diesem sollen die Einflussfaktoren auf die Nutzungsdauer erforscht und auf die Frage eingegangen werden, wo die optimale Nutzungsdauer liegt. Den es gebe diesbezüglich noch etliche offene Fragen, so Michael Walkenhorst vom FiBL. Angelegt ist das Projekt auf 5 Jahre.

Bereits gezeigt hat sich, dass gesunde Klauen zur längeren Nutzungsdauer beitragen, wie Adrian Steiner von der Universität Bern erklärte. Die Kühe leben nicht nur länger, auch das Tierwohl steigt, wenn die Klauen gesund bleiben. Ein Ressourcenprojekt des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) hat darum zum Ziel, gesunde Klauen zu fördern. Per Ende Juli dieses Jahres nahmen bereits über 1100 Rindvieh-Betriebe am Projekt teil.

Hitze stresst die Tiere

Nicht erst seit diesem trockenen Jahr (siehe auch den LID-Artikel «Millionenschäden durch Trockenheit») ist das Klima ein stark diskutiertes Thema. Das Rindvieh steht wie von Fritz Schmitz-Hsu im Eingangsreferat erwähnt deswegen oft am Pranger. Markus Spuhler von Agridea ging auf die baulichen Massnahmen ein, welche die Ammoniak-Emissionen reduzieren können. Agridea empfiehlt erhöhte Fressstände und Fressplatz-Abtrennungen. Damit kann die verschmutzbare Fläche reduziert werden. Ebenfalls von Bedeutung ist der rasche Harnabfluss und Kot-Harn-Trennung dank einem Quergefälle.

Das heissere Klima sorgt belastet die Rinder: Es kommt zu Hitzestress (siehe auch den LID-Artikel «So gehen Nutztiere mit der Hitze um»). Gemäss Mirjam Holinger vom FiBL ist eine Kuh umso anfälliger für Hitzestress, je höher ihre Milchleistung ist. Bezüglich Klima ist vor allem die Kombination zwischen hoher Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit für die Tiere belastend. Mögliche Massnahmen gegen den Stress sind laut Holinger Nachtweide, Schatten, Ventilation im Stall, aber auch eine dem Standort angepasste Milchleistung.

Die Stiftung Sur-la-Croix
Die Tagung wurde von der Fondation Sur-la-Croix organisiert und durchgeführt. Sie fand auf dem Gutsbetrieb der Stiftung auf dem Col de la Croix bei St. Ursanne statt. Die Pächterfamilie Kaufmann hält auf dem Betrieb die Zweinutzungsrasse Simmental. Die robusten Tiere sind gut auf den Standort angepasst.[IMG 4]

Die Stiftung Sur-la-Croix ist 2001 von Maia Saxer gegründet worden. Bereits 1933 hatte ihr Vater Ernst Saxer-Stauffacher das Hofgut Sur-la-Croix übernommen. Maia Saxer führte den Betrieb seit 1981 und führte auf dem Hof eine tierärztliche Praxis. Nach ihrem Tod im Jahr 2004 ging ihr Vermögen und der Gutsbetrieb Sur-la-Croix in die Stiftung über.

Die Stiftung unterstützt landwirtschaftliche Projekte und legt gemäss Leitbild Wert auf ein ausgewogenes Zusammenspiel von Produktion und Ökologie.

www.fondation-sur-la-croix.ch