Der Zeitpunkt der Studie war wahrscheinlich nicht ohne Absicht gewählt. Einen Tag vor der ersten Beratung der Ernährungs-Initiative im Nationalrat veröffentlichen FiBL, ETH Zürich und die Ö+L GmbH ihre Forschungsarbeit zum Selbstversorgungsgrad. Dieser liesse sich in der Schweiz markant steigern, schreiben die Autoren. Und weiter: «Viele der Massnahmen wären relativ einfach und ohne grössere Investitionen oder finanzielle Einbussen für die Betriebe umsetzbar.»

Ziele der Ernährungs-Initiative als unrealistisch beurteilt

Die Ernährungs-Initiative verlangt einen Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 Prozent in der Schweiz. Im Nationalrat war der Tenor von Links bis Rechts klar, dass dieses Ziel unrealistisch sei, zumal in der gesetzten Umsetzungsfrist von 10 Jahren. Die Autoren besagter Studie hingegen halten sogar bis zu 100 Prozent «mittelfristig» für machbar. Sie haben mit Modellen verschiedene Szenarien berechnet.

Wo die wichtigsten Hebel wären

Die wichtigsten Hebel lägen demnach in der Reduktion von Food Waste und einer Feed-no-Food-Strategie, bei der Wiederkäuer nur Raufutter, Schweine und Geflügel Abfälle aus der Lebensmittelindustrie erhalten. «Auch viele kleinere Hebel wie die Erhöhung der Anzahl Laktationen bei Milchkühen, eine effizientere Grünland-Bestandslenkung oder vermehrte Hochstammobst-Produktion auf Grasland haben insgesamt eine wesentliche Wirkung.»

Genau die derzeit überschüssige Menge Milch

Den Kraftfuttereinsatz in der Rinderhaltung bezeichnen die Studienautoren als besonders ineffizient. Ein weitgehender Verzicht darauf in der Milchproduktion bei einer konsequenten Nutzung des Graslands würde laut den Forschenden die hierzulande produzierte Milchmenge um etwa 15 Prozent senken. Das entspräche gerade den aktuellen Überkapazitäten im Milchmarkt, halten sie fest. Futtermais wird hier nicht zum Kraftfutter gezählt. Allerdings ergänzen die Autoren, dass «gewisse Kraftfutter- und Futtermaisgaben» an Rindvieh sinnvoll sein könnten, sofern sie teils eine bessere Nutzung von Protein und Energie im Gras erlauben.

Nur mit einheimischen Nebenströmen als Futter liessen sich in der Schweiz deutlich weniger Geflügel und Schweine halten. Im Gegensatz zu pflanzlichen Produkten und Milch müsste in diesem Szenario mehr Fleisch importiert werden. Dies unter der Annahme, dass der Fleischkonsum gleichbleibt. «Sofern bei den Importen von Fleisch und Eiern ähnliche Standards eingehalten werden wie in der Schweiz, würde dies die Umwelt insgesamt entlasten», so de Forschenden. Denn im Vergleich zu heute würden die Tiere dort gehalten, wo ihr Futter wächst, statt dass Futtermittel importiert werden. Das ermögliche geschlossene Nährstoffkreisläufe.

Umwelt- und Reduktionsziele erreicht

Wenig überraschend laufen die von den Forschenden skizzierten Massnahmen auf eine Reduktion der inländischen Tierproduktion zugunsten der Pflanzenproduktion hinaus. Je nachdem, was auf den freigewordenen Ackerflächen angebaut wird, liesse sich der Studie zufolge der Wegfall tierischer Proteine ausgleichen. Das gelänge durch Hülsenfrüchte. Kritisch könne hingegen die Fettversorgung werden.

Zu den Gewinnern gehöre die Umwelt, Klima- und Ammoniakreduktionsziele liessen sich erreichen. Ganz anders bei der mancherorts geforderten Alternative der Intensivierung der Produktion. «Selbst unter der kaum realistischen Annahme von einem im Schnitt über alle Kulturen um 25 Prozent höheren Ertrag würde dies nur zu einem Anstieg des Netto-Selbstversorgungsgrad um 5 Prozent führen», heisst es in der Studie.

Um die «relativ einfachen» Massnahmen zur Umsetzung zu bringen, müssten sie in der Aus- und Weiterbildung sowie in der Beratung thematisiert werden. Das geschehe derzeit aber kaum.

Anreize ändern und Handel sowie Konsum reagieren

Durch ein Umkrempeln der Produktion liesse sich die Schweiz also zusammenfassend mit genügend Kalorien und auch ziemlich ausgewogen ernähren. Es folgt das Aber: «Viele Massnahmen werden durch ungünstige staatliche Rahmenbedingungen und Fehlanreize erschwert oder verhindert», schreiben die Forschenden. So unterstütze das gegenwärtige agrarpolitische System mittels Grenzschutzes und Direktzahlungen die tierische Produktion um ein Vielfaches stärker als die pflanzliche. «Dadurch ist der Anbau von Nahrungsmitteln für die direkte menschliche Ernährung gegenüber dem Futterbau heute oft nicht konkurrenzfähig.»

Die Autoren geben sich indes zuversichtlich, dass mit einem besseren Anreizsystem automatisch auch auf Handels- und Konsumseite entsprechende Anpassungen im Sinne einer gesünderen Ernährung und eines resilienteren, effizienteren Ernährungssystems erfolgen würden. «Inwieweit dieser Wandel gelingt und politisch mitgetragen wird, wird wesentlich davon abhängen, inwieweit die Tierindustrie mit auf den Weg genommen und beim Wandel unterstützt wird.»

Seit einigen Jahren stark abnehmender Trend in der Pflanzenproduktion

Bisher konzentrieren sich die politischen Bemühungen eher auf den Pflanzenbau und die Förderung des pflanzlichen Konsums, etwa mit der Veröffentlichung der angepassten Lebensmittelpyramide. Agristat stellt dem ein schlechtes Zeugnis aus. Der statistische Dienst des Schweizer Bauernverbands wundert sich in seiner Nahrungsmittelbilanz 2024 laut über den aktuellen Konsum. «Angesichts der zunehmenden Anzahl Vegetarier und Veganer könnte man erwarten, dass der Pro-Kopf-Verbrauch tierischer Produkte im Lauf der Jahre deutlicher abnehmen würde.» Stattdessen gehe der Fleischverbrauch zwar leicht zurück, während aber immer mehr Eier nachgefragt werden.

Es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: «Durch die erschwerten Anbaubedingungen in den letzten Jahren hat der Pflanzenbau abgenommen, wodurch der Anteil der tierischen Produktion zunehmend an Gewicht gewonnen hat», so Agristat. Man beobachte schon seit einigen Jahren einen stark abnehmenden Trend in der pflanzlichen Produktion. Herausforderungen stellten sich in den Auswirkungen des Klimawandels und dem Schutz der Kulturen.

Bundesrat will «berechtigte Anliegen» aufnehmen

Mit den schlechten Ernten erreichte der Selbstversorgungsgrad nach Berechnungen von Agristat 2024 einen neuen Tiefststand. 2025 dürfte er wieder steigen. Die AP 30+ verfolgt das Ziel, das heutige Niveau von ungefähr 50 Prozent mindestens zu halten. «Berechtigte Anliegen» aus der Ernährungs-Initiative will der Bund ebenfalls im Rahmen der AP 30+ angehen. Er nennt namentlich die Stärkung der Ernährungssicherheit und die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks der Land- und Ernährungswirtschaft. Welche Massnahmen das Reformpaket beinhalten wird, ist noch in Arbeit.  

Zur vollständigen Studie

[IMG 2]«Die Autoren lassen Markt und Bedürfnisse der Konsumenten aus»

Biolandwirt Stefan Krähenbühl gibt den Studienautoren in gewissen Punkten Recht, sieht aber einige Probleme in deren Argumentation. Im Folgenden seine Gedanken zur Studie:

Mit Interesse habe ich die Studie zum Selbstversorgungsgrad gelesen.

Ich gebe den Autoren Recht. Mit Food Safe statt Food Waste kann der Selbstversorgungsgrad erhöht werden. Die Verwertung der Abfälle ist eine weitere Massnahme. In beiden Massnahmen sind die Politik und die Konsumenten gefordert.

Und hier ist der Haken der Studie. Die Autoren lassen Markt und Bedürfnisse des Konsumenten aus.

So nennen die Autoren zum Beispiel, dass «geringe Kraftfutter- und Futtermaisgaben auch bei der Rinderfütterung Sinn machen können». Was heisst der Ausdruck «gering»? In einem System mit Vollweide, wie ich es seit meiner Studienzeit vor 27 Jahren mit Weidegenetik praktiziere, läuft die Kuh, resp. ihre Verdauung, in den Sommer- und Herbstmonaten sehr unausgewogen. Die Folge sind hohe Harnstoffwerte in der Milch. Sinkende Fruchtbarkeit, Klauenprobleme, Ammoniakverluste und sinkende Fettgehalte in der Milch folgen. Die «geringe» Menge an Energiefutter in Form von Grünmais oder Futterkartoffeln betragen zur Korrektur der zu hohen Harnstoffwerte rund 3-5 kg TS oder 20-35% der Gesamtration. «Gering» ist somit ein falscher Begriff und widerspricht der Fütterungslehre.

Beim Lesen des Abschnitts über die Fleischproduktion zeigt sich ein Eigengoal. Mit sinkendem Kuhbestand sinken die Anzahl Kälbergeburten und folglich die Zahl an Mastrinder, die in einem extensiven Fütterungssystem zusätzlich weniger Fleisch am Knochen haben und die geforderte Fleischqualität nicht erreichen. Der Markt und der Konsument verlangen beste Taxationen. Ansonsten werden die geforderten Fleischstücke importiert.

Weiter stellt sich die Frage, wie der Zusammenhang der Treibhausgasemissionen der Kuh angelastet wird. Importiertes Fleisch, das durch die Studie gefördert wird, würde zunehmen. Fleischimporte kommen aus Haltung in Feedlots zu Tausenden von Mastrindern. Die Ration besteht aus 96% Getreide und Sojaschrot. Nur 4% sind Heu.

Weiter wird vergessen: Geld und Markt! Eine Landwirtschaft, wie sie die Studie beschreibt, kann oder will sich der Konsument nicht leisten. Oder wie erklären sich die zunehmenden Importe von EU-Billig-Bio und eine Stagnation des Anteils von Schweizer Bioprodukten?

Als Biobauer stelle ich fest: Die Studie zielt auf die produzierende Landwirtschaft und heizt letztendlich die Importe an. In der Studie wird bewusst ein Mehrimport an Fleisch angestrebt.

Wenn die Kuh ein Klimawunder ist, was neuste Studien untermauern, so ist die Kuh ein Geschenk fürs Grasland Schweiz. In der Studie wird eine effizientere Grünlandnutzung angestrebt. Die Schweizer Bauernfamilien sind bereits Weltmeister und absolute Profis in der Grundlandbewirtschaftung und im Kunstwiesenanbau.

Schliesslich zu den geforderten Hülsenfrüchten. Sojaanbau zu Speisezwecken lässt CO2-ausstossen. Wird eine Kunstwiese gepflügt, um Soja anzubauen, entweicht durch Sojaanbau eine Menge an CO2 in die Luft.

Mit der genannten Studie wird einzig die Spaltung zwischen Bauernfamilien und Konsumenten gefördert. Es ist ein Schwarzpeterspiel.

Die griffigste Massnahme zu mehr Nachhaltigkeit besteht in der sauberen Deklaration von Lebensmitteln an der Verkaufsfront und von verarbeiteten Lebensmitteln. So lange Lebensmittel aus Kriegsgebieten in die Schweiz importiert werden, müssen die Importeure und die Endverbraucher in die Pflicht genommen werden. Die Landwirtschaft hat ihre Hausaufgaben längst gemacht und verdient höchsten Respekt.

Schreiben Sie Ihre Meinung zur Studie als Kommentar.