Die Ursachen von Schwanzbeissen (Kannibalismus) sind vielfältig. Nicht immer lässt sich der auslösende Faktor für das Verhalten einfach finden. Durch rechtzeitiges Eingreifen lassen sich aber grössere Schäden verhindern. Urs Iseli vom Futtermittelhersteller Kunz Kunath erklärte den Teilnehmenden der Mästertagung die wichtigsten Ursachen für das Verhalten.
Schweine lieben Abwechslung
Der grösste Teil des Verhaltens unserer heutigen Hausschweine stammt noch von den wilden Artgenossen. «Die Hälfte des Tages beschäftigen sich die Wildschweine mit sich selbst. Sie liegen und spielen. Die restlichen zwölf Stunden sind sie mit der Nahrungssuche beschäftigt», erklärt Urs Iseli. Hausschweine hingegen können sich nicht den halben Tag mit der Nahrungssuche beschäftigen. Ist den Tieren langweilig, kann dies zu Schwanzbeissen führen. Umso wichtiger sei die Beschäftigung der Tiere, so Iseli.
«Schweine lieben Abwechslung», so Iseli. Er empfiehlt, das Beschäftigungsmaterial wöchentlich zu wechseln. Lasse man immer die gleichen Spielzeuge in der Bucht, würden die Tiere das Interesse verlieren. «Die grosse Kunst besteht darin, nicht immer alle Beschäftigungsgegenstände gleichzeitig zugänglich zu machen, damit die Materialien interessant bleiben», so der Experte. Am besten hänge man die Gegenstände statt an der Wand in der Mitte der Bucht auf. «Holzstücke, Sterne oder Pneus sind für die Tiere nicht lange interessant, da sie sehr schnell verschmutzen», erklärt er weiter.
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Gesunde Opfer, kranke Täter
Weitaus häufiger trete das Schwanzbeissen aufgrund von Stress auf. Dieser kann laut dem Experten durch mehrere Faktoren hervorgerufen werden.
- Krankheiten: Einen wichtigen Platz nehmen Krankheiten ein. «Fühlt sich ein Tier nicht wohl, verursacht dies Stress und das Tier wird letztlich aggressiv», erklärt Urs Iseli und sagt weiter: «Das Opfer ist gesund und der Täter krank.» Aus diesem Grund gelte es, kranke Tiere, wenn möglich, zu separieren. Nicht ausser Acht zu lassen seien dabei auch Ekto- und Endoparasiten, die Stress verursachen können.
- Licht: «Licht beeinflusst das Wohlbefinden der Schweine stark», erklärt Iseli. Die Augen der Schweine seien auf wenig Licht ausgerichtet. Zu viel Licht verursache Stress, was wiederum zu Schwanzbeissen führen könne. Zu Problemen komme es vor allem im Frühling und Herbst, wenn die Sonne tief steht und direkt durch die Scheiben in den Stall scheint. «Haben wir eine direkte Sonneneinstrahlung, sind das mehrere Tausend Lux. Vorgeschrieben sind 100 Lux», erklärt er und sagt weiter: «Die Tiere fühlen sich nicht wohl, liegen nicht, laufen unruhig umher und das kann der Auslöser für das Schwanzbeissen sein.» Versuche sollen wiederum gezeigt haben, dass Blau- und Rotlicht im Gegensatz zu weissem Licht beruhigend auf die Tiere wirken.
- Genetik: Auch in der Genetik zeigen sich laut Iseli Tendenzen. «Fleischigere Tiere gelten in der Regel als nervöser», erklärt er. Ob es zwischen den Rassen Unterschiede gibt, sei schwieriger zu sagen. Wie bei den Menschen gebe es auch bei den Schweinen anfälligere und weniger anfällige Tiere. «Die Genetik kann einen Einfluss haben, steht aber sicherlich nicht an erster Stelle», fasst der Experte zusammen.
- Temperatur: Auch ein extremer Temperaturabfall vom Zuchtbetrieb und der warmen Ferkelkiste (25 °C) in den kalten Maststall kann zu Stress bei den Jungtieren führen. Hier empfiehlt Iseli, die Temperatur im Liegebereich in den ersten beiden Mastwochen unbedingt auf mindestens 20 °C, noch besser 22 °C, zu stellen. «Die Einstallung der Tiere in einen warmen Stall ist bereits die halbe Miete», betont er.
- Temperaturdifferenz: «Schaut, wenn ihr eine künstliche Belüftung oder Ventilatoren einsetzt, dass ihr nicht mehr als 5 °C Temperaturdifferenz habt», erklärt Iseli. Herrschten im Sommer tagsüber im Stall 28 °C und liege die Solltemperatur bei 18 °C, so gelte es, diese auf 25 °C zu erhöhen. «Kühlt es in der Nacht ab, sinkt die Temperatur dann vielleicht um 8 °C. Dieser Abfall kann die Tiere stressen», erklärt Iseli.
- Fütterung: Neben einer unangepassten Futterkurve, einer zu tiefen Fütterungsfrequenz, einer falschen Futterzusammensetzung, Mineralstoff- und Spurenelementmangel oder tiefen Rohfasergehalten können auch zu wenig Fressplätze zu aggressivem Verhalten und Schwanzbeissen führen.
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- Mykotoxine: Auch Mykotoxine (Pilzgifte) können Schwanzbeissen verursachen. Dabei wird zwischen Feldpilzen (bereits auf dem Feld vorhanden) und Lagerpilzen (Entstehung bei Feuchtigkeit während der Lagerung) unterschieden. «Pressen oder Expandieren zerstört zwar die Pilze, aber nicht die bereits vorhandenen Gifte. Sind sie einmal vorhanden, bringt man sie nicht mehr weg», erklärt Urs Iseli. Heu und Stroh können auf Schimmelpilze untersucht werden. «Die Untersuchung kostet nicht viel und man erhält einen guten Überblick über die Qualität von Stroh und Dürrfutter», sagt er. Grenzwerte gebe es keine, sondern nur Richtwerte (Tabelle). Wolle man wissen, um welche Art von Pilz es sich handelt, sei eine teurere chemische Analyse erforderlich. Auch hier gibt es nur Richtwerte und keine Grenzwerte. «Neben der Höhe der Schimmelpilze ist auch die Dauer der Verabreichung von mykotoxinhaltigen Futtermitteln entscheidend», erklärt der Fütterungsexperte weiter. Sind Gifte im Futter enthalten, kann ein sogenannter Toxinbinder beigemischt werden. Dieser bindet die Toxine und nimmt sie so aus dem Futter. «Der Binder nimmt aber nie alle Toxine weg und muss je nach Toxinwert in entsprechender Menge beigemischt werden.»
- Wasser: Auch die freie Verfügung von einwandfreiem Trinkwasser sei nicht zu vernachlässigen. «Wenn ihr in nächster Zeit das Auswechseln der Tränke-Nippel plant, empfehle ich euch die Installation von Bügel-Nippeln», sagt er. Das Problem bei vielen anderen Nippeln sei, dass die Tiere diese nach innen stossen müssen, damit genügend Wasser herauskommt. «Das machen die Schweine aber nicht», so Iseli. Beim Bügel-Nippel hingegen sei dies nicht nötig und es fliesse Wasser wie ein Wasserfall. «Das System ist teurer, aber es rentiert sich», bestärkt der Experte. Weiter sei es praktisch, die Nippel auf verschiedenen Höhen anzubringen.
Notfallset immer griffbereit
«Kannibalismus gilt immer als Notfall. Tritt Schwanzbeissen auf und sind die dafür benötigten Behandlungsutensilien nicht griffbereit, werden die Tiere auch nicht direkt behandelt», erklärt Urs Iseli. Der Experte empfiehlt deshalb, ein Notfallset vorzubereiten. Hinein gehören für ihn: Salz, Mineralstoff und ein Schwanzspray zur Behandlung der verletzen Tiere.
Hat man den Eindruck von Schwanzbeissen, empfiehlt der Fütterungsexperte als Erstes, einmalig Salz auf den Boden der Bucht zu streuen. «Bei 20 Tieren kann man gut 1 kg Salz streuen. Das aber nur einmal, sonst bekommen die Tiere eine Salzvergiftung», erklärt er. Im Anschluss gelte es, auf einen Mineralstoff (Ca, P, Mg) zu wechseln. Im Sommer rät Iseli, zudem frische Brennnesseln zu geben. Diese werden von den Schweinen gerne gefressen und sind reich an Mineralstoffen. «Brennnesseln enthalten viel Silicium, das gut gegen Schwanzbeissen sein soll», erklärt er. Neben den oben aufgeführten Faktoren gebe es teilweise auch Einzeltäter in der Gruppe. «Oftmals handelt es sich dabei um weibliche Tiere», sagt er. Habe man den Übeltäter entdeckt, gelte es, diesen aus der Gruppe zu nehmen.