«Es gibt in der konventionellen Kernobstproduktion derzeit zu viele Reputationsrisiken», sagt Stephan Blunschi (s.h. Interview unten). Er leitet den Einkauf von Früchten und Gemüse des Detailhändlers Migros.

Der orange Riese sieht grosses Potenzial, den konventionellen Kernobstbau in der Schweiz nachhaltiger zu machen. Deshalb hat die Migros per 2021 ein neues Nachhaltigkeitsprogramm für ihre Kernobstproduzenten in der Schweiz eingeführt.

Drei Rappen pro Kilogramm

«Sie machen bereits einen guten Job», sagt Blunschi im Gespräch mit der BauernZeitung. «Aber wir sind der Meinung, dass der konventionelle Bereich weiter Fortschritte machen muss, um den Anforderungen der Gesellschaft und der Natur gerecht zu werden», sagt er weiter. Den Hebel setzt die Migros in den Bereichen Pflanzenschutz, Bodenerosion und Biodiversität an. Konkret führt sie ein Punktesystem ein.

«Jede Produzentin kann die für ihren Betrieb geeignetsten Massnahmen umsetzen und so die geforderte Mindestpunktzahl sammeln», erklärt Blunschi. Im Gegenzug bezahlt der Detailhändler für alle an die Migros gelieferten Kernobst-Früchte einen Aufschlag von drei Rappen pro Kilogramm.

Ärger bei Produzenten

Bei der Ausarbeitung des Programms waren Produzentenverbände nicht miteinbezogen. Das stiess Jürg Hess, Präsident vom Schweizer Obstverband (SOV) sauer auf: «Wir hätten uns einen früheren Dialog und eine ver-tieftere Zusammenarbeit gewünscht.»

Man wollte aus Komplexitäts- und Zeitgründen das Nachhaltigkeits-Programm im kleinen Kreis ausarbeiten, antwortet Stephan Blunschi von der Migros. Der Detailändler drückt aufs Gas. Manchen Kernobst-Produzenten geht es aber doch etwas zu schnell.

Die Produzenten wurden erst drei Tage vor Jahreswechsel in einem Brief über das neue Nachhaltigkeitsprogramm informiert. «Einigen Produzenten hat es schier den Deckel gelüpft», erzählt Hess. Nicht wegen der Massnahmen.

«Weiteres Pilotjahr»

«Vielmehr wegen der kurzfristigen Kommunikation», so Hess weiter. Der SOV hat deshalb vorgeschlagen, die Pilotphase um ein Jahr zu verlängern und das Programm erst per 2022 einzuführen.

Die Migros winkt ab: «Die ersten Massnahmen in der Kernobstplantage finden erst in ein paar Wochen statt», sagt Blunschi. Überhaupt müssten sich die Produzenten nicht fürchten: «Dieses Jahr drohen noch keine Sanktionen, falls die Ziele nicht erreicht würden», beruhigt Blunschi.

Branchenlösung angepeilt

Der Aufschlag von drei Rappen pro Kilo Kernobst wird über die Grosshändler ausbezahlt. Weil im Vorhinein unklar ist, welcher Anteil des Obsts in den «lukrativeren» Kanal der Migros geht, wird es für Produzenten schwieriger zu kalkulieren.

«Es ist möglich, dass letztlich nur ein Teil des produzierten Kernobsts mit drei Rappen/kg mehr vergütet werden, obwohl der neue Nachhaltigkeitsstandard für die gesamte Produktionsmasse eingehalten wurde», ist sich Blunschi bewusst.

Der SOV möchte dem entgegenwirken und strebt eine Branchenlösung an. Diesbezüglich ist eine Startveranstaltung im Februar geplant. Die Migros zeigt sich gegenüber dieser Idee offen.

 

Interview mit Stephan Blunschi, Bereichsleiter Einkauf Früchte & Gemüse bei Migros

Die Migros lanciert ein Nachhaltigkeitsprogramm bei Schweizer Kernobst. Werden die M-Budget-Säcke neu mit Bio-Äpfeln abgefüllt 

M-Budget-Säcke werden nicht mit Bio-Äpfeln befüllt. Wir wollen den konventionellen Standard beim Anbau von Schweizer Kernobst in spezifischen Bereichen erhöhen. Konkret da, wo nachhaltigkeitstechnisch ein gewisser Nachholbedarf besteht und die Anforderungen der Konsumenten gestiegen sind.

Wo hat der konventionelle Kernobstbau in der Schweiz in Ihren Augen das grösste Verbesserungspotenzial bezüglich Nachhaltigkeit?

Die gesellschaftliche Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit hat zugenommen und wird weiter zunehmen. Dementsprechend ist die gesamte Branche gefordert, sich der Nachhaltigkeits-Problematik zu stellen. Wir wollen den Hebel vorwiegend in den Bereichen Pflanzenschutz, Bodenerosion und Biodiversität ansetzen. Die Kernobstbauern machen bereits einen guten Job. Aber wir sind der Meinung, dass der konventionelle Bereich weiter Fortschritte machen muss, um den Anforderungen der Gesellschaft und der Natur gerecht zu werden.

Wie haben die Produzenten auf die Ankündigung des Nachhaltigkeits-Programms reagiert?

Wir haben sehr wenig inhaltliche Kritik an den Massnahmen gekriegt. Wir schätzen dies als Bestätigung, dass solide Arbeit geleistet wurde. Den meisten Produzenten ist es bewusst, dass im konventionellen Kernobstbau ein weiterer Schritt bezüglich Nachhaltigkeit gemacht werden muss.

Wieso hat die Migros bei der Ausarbeitung dieses Programms den Schweizer Obstverband nicht miteinbezogen?

Wir haben immer klar deklariert, dass wir an einem entsprechenden Programm arbeiten und vorwärts machen wollen. Aus Komplexitäts- und Zeitgründen haben wir uns entschieden, das Programm im kleinen Kreis aufzugleisen. Wir hatten im März letzten Jahres einen Austausch mit dem SOV. Seither war der SOV über unser konkretes Vorhaben im Bilde. Ein weiterer Austausch über die finalisierten Weisungen hat dann im November stattgefunden.

Einige Obstbauern sind ziemlich verärgert, dass sie über das neue Programm erst drei Tage vor Jahreswechsel über das neue Programm informiert wurden. Was hat da nicht funktioniert?

Wir hätten auch lieber schon im September kommuniziert. Aber da hatten wir das Programm noch nicht finalisiert. Wir wollten letzte offene Fragen nochmals vertieft abklären. Die ersten Massnahmen in der Kernobstplantage finden erst in ein paar Wochen statt. Etwas Zeit für die Vorbereitung bleibt also noch. Auch Vorlaufzeiten in den Pflanzenschutzmittelbestellungen können berücksichtigt werden.

Wir können nachvollziehen, dass einige Produzenten überrascht sind, wie umfassend und konkret unsere Massnahmen sind. Aber genau das war unsere Absicht: Wir wollten unseren Partnern kein halbfertiges, sondern ein konkretes Konzept vorlegen. Was wir weniger nachvollziehen können ist, dass Kernobstproduzenten überrascht sind, dass eine solche Anforderung kommt und auf dieses Thema hinweist.

Der SOV hatte sie gebeten, die Pilotphase um ein Jahr zu verlängern und das Programm erst per 2022 einzuführen. Die Migros hat abgewinkt. Wieso?

Das erste Jahr ist eigentlich eine erweiterte Pilotphase, weil da keine Sanktionen drohen, falls die Ziele noch nicht erreicht würden. Wir finden es wichtig, dass sich jeder Produzent jetzt Gedanken macht, wie er die Nachhaltigkeits-Anforderungen in Zukunft erreichen kann. Die vorgeschlagenen Massnahmen sind umsetzbar und praxistauglich. Daher gibt es schlicht keinen Grund abzuwarten.

Die Migros bezahlt als Gegenzug pro Kilogramm Kernobst drei Rappen mehr als bis anhin. Wie werden diese ausbezahlt?

Wir beziehen das Obst grundsätzlich von unseren Dienstleistungsplattformen. Wir werden für jedes Kilo drei Rappen mehr bezahlen – auch auf zweitklassige Ware. Die Dienstleistungsplattformen werden den Zuschlag weitervergüten.

 Für den Produzenten wird die Kalkulierung so schwieriger. Er weiss nicht, welcher Anteil seiner Produkte in den Migros-Kanal gelangen wird.

Es ist im Vorhinein tatsächlich nicht vollständig geklärt, welcher Anteil des Obsts in den Kanal der Migros gehen. Es ist möglich, dass letztlich  ein Teildes produzierten Kernobsts mit drei Rappen/kg mehr vergütet werden, obwohl der neue Nachhaltigkeitsstandard für die gesamte Produktionsmasse eingehalten wurde. Der SOV möchte dem entgegenwirken, indem er eine Branchenlösung anpeilt. Die Migros ist gegenüber dieser Idee offen.

Die Migros zahlt den Aufpreis von drei Rappen/kg aus der eigenen Kasse. Wäre der Konsument nicht bereit, für «nachhaltigere ÖLN-Äpfel» mehr zu bezahlen?

Wir gehen nicht davon aus. Was wir mit unserem Programm zu bewirken versuchen, verlangt der Konsument vom Schweizer Kernobst ohnehin. Es gibt in der konventionellen Kernobstproduktion derzeit Reputationsrisiken. Wir haben diese Problempunkte identifiziert und wollen sie mit unserem Programm angehen.

Die Produzenten haben die Möglichkeit, ihren Massnahmenplan eigenständig zusammenzustellen. Jede Massnahme gibt eine gewisse Anzahl Punkte. Es muss eine Mindestpunktzahl gesammelt werden. Welchen Vorteil bringt dieses System?

Einen Gala-Apfel am Bodensee zu produzieren ist nicht dieselbe Herausforderung, wie einen Gala-Apfel am Genfersee produzieren. Jede Produzentin kann die für ihren Betrieb am besten geeigneten Massnahmen umsetzen und so die Mindestpunktzahl sammeln. Klar wäre es einfacher einen fixen Produktionsstandard einzuführen. Aber damit würden wir der geografischen Diversität der Schweiz nicht Rechnung tragen.