Nur wenn sowohl Arbeit als auch Entlöhnung stimmen, wird auf einem Betrieb langfristig Milch produziert. Der deutliche Rückgang der Anzahl Schweizer Milchbetriebe in den letzten Jahren zeigt, dass diese «Schlüsselbranche der Schweizer Landwirtschaft» ein Problem hat. Dieses gehen die Schweizer Milchproduzenten (SMP) derzeit von verschiedenen Seiten an. Einerseits mit der Publikation des «Selbstchecks Lebensqualität» und andererseits mit einem Appell an Detailhandel und Konsument(innen), faire Label ins Sortiment aufzunehmen bzw. vermehrt Milch im Hofladen zu kaufen. Beides soll die Wertschöpfung der Produzenten verbessern und dem Trend zum Ausstieg aus der Milchproduktion einen Riegel schieben.
Nach wie vor aktuell
Der Milchpreis sei massgeblich für die Zufriedenheit der Landwirt(innen) mit Abnahmebedingungen und Marktentwicklung, stellt eine neue Studie der Uni Bern fest. Und dies, obwohl die zugehörige Umfrage 2022 durchgeführt wurde, als die Produzentenpreise für Milch auf dem höchsten Stand seit 2019 waren. Die Ergebnisse hätten angesichts der jüngsten Bauernproteste indes nicht an Aktualität eingebüsst, sind sich die Autorinnen Bettina Scharrer, Chiara Hess und Fabia Lüthi vom Zentrum für Entwicklung und Umwelt (CDE) der Uni Bern sicher.
Weniger häufig im Fokus scheint der zweite grosse Kritikpunkt, den die Umfrage unter 17 000 Milchproduzent(innen) zutage gefördert hat: Die Einteilung in A- und B-Milch. «Sie erhalten für Milch derselben Qualität zwei unterschiedliche Preise», stellen die Studienautorinnen fest. «Das stösst bei vielen Produzierenden auf Unverständnis, und entsprechend negativ beurteilen sie die Segmentierung.»
Im Vergleich zu anderen Teilfragen seien die Antworten zur Segmentierung mit Abstand am deutlichsten ausgefallen. Rund 60 Prozent der Befragten gaben an, die Milchsegmentierung eher oder ganz abzulehnen. Dies, weil sie die Einteilung als intransparent und ungerecht empfinden würden. In den Kommentarfeldern fielen laut der Uni Bern Ausdrücke wie «Betrug», «Preisverfälschung» und «Geldmacherei». Mehrfach kritisierten die Landwirt(innen), keine Kontrolle über die Einteilung ihrer Milch zu haben und dem System ausgeliefert zu sein. «Alle Milch ist weiss», zitiert die Studie einen Kommentar. Ganze dreissig Mal zählten die Autorinnen die wortgleiche Aussage «Milch ist Milch» oder «Milch ist weiss». De facto gebe es also keine A- und B-Milch, so der Eindruck der Befragten. Es sei «sehr schwierig zu kontrollieren, in welche Kanäle die Verarbeiter oder der Handel die Milch lenken», schrieb ein Landwirt, «jemand verdient auch an dieser Milch!».
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Die eigentlichen Ziele
Tatsächlich wurde die Segmentierung 2011 mit dem Ziel eingeführt, Transparenz zu schaffen und die Milchpreise zu regulieren. Sie sollte laut der Branchenorganisation Milch (BOM) den Produzenten als wichtige Entscheidungsgrundlage für die Mengenplanung dienen und so verhindern, dass Überschüsse wertschöpfungsstarke Märkte – und damit letztlich die Produzentenpreise – bedrohen. «Die Segmentierung ist ein Instrument, das bei zu grosser Milchmenge eingeführt worden ist», so ein Teilnehmer in der Umfrage der Uni Bern, und weiter: «Mittlerweile ist es ein Instrument dafür, den Milchpreis zu drücken.» Es wurde auch explizit kritisiert, die Segmentierung sei bei der aktuellen Marktsituation der Milchknappheit weder gerechtfertigt noch nötig.
«Die SMP steht zur Segmentierung», stellt Kommunikationsleiterin Christa Brügger auf Anfrage klar. Ohne Segmentierung müsste der Grenzschutz massiv erhöht werden, um den Milchpreis in der Schweiz zu erhalten, fährt sie fort. Die Vorteile seien grösser als die Nachteile, und auch angesichts der Hauptaussage der Studie – dass der Milchpreis heute für die Produzenten zu tief sei – habe das Instrument der Segmentierung seine Berechtigung nicht verloren, solange es einen Grenzschutz auf der weissen Linie gegenüber der EU gebe. «Der Schweizer Milchpreis ist bekanntlich deutlich höher als der EU-Milchpreis.»
Aus Sicht der einzelnen Milchproduzenten seien die Rückmeldungen in der Berner Studie nicht überraschend, sagt Christa Brügger, fährt Brügger fort. Das sei auch nichts Neues, denn «alle wollen nur A-Milch.» Die relevante Frage sei aber, was auf dem Markt passieren würde, wenn man das System kippte. «Unter Fachleuten besteht da Einigkeit, dass der aktuelle Milchpreis in diesem Fall sicher nicht steigen würde», so die Kommunikationsleiterin. Vielmehr müsste man vom Gegenteil ausgehen.
Besser extensiv produzieren
Es gibt aber auch Produzenten, welche die Meinung ihrer Verbandsspitze teilen. Immerhin neunzig Mal gaben von der Uni Bern Befragte an, die Segmentierung sei eine gute Lösung, die den teilliberalisierten Markt stabilisiere. Die Westschweizer(innen) zeigten sich deutlich kritischer, nur zwei der positiven Äusserungen zur Segmentierungslösung kamen aus diesem Landesteil – obwohl Westschweizer Betriebe gemäss Studie eher höhere Milchpreise erzielen.
Hingegen erwies sich der Grad der Zustimmung zur Segmentierung als unabhängig von Jahresmilchmenge und Produktionsintensität. Beides beeinflusste jedoch die Zufriedenheit mit der aktuellen Milchmarktentwicklung (Milchpreis) signifikant negativ. Bei hoher Intensität und grosser Produktionsmenge scheinen Skaleneffekte demnach nicht in Form von tieferen Kosten durchzuschlagen bzw. sich durch bessere Zufriedenheit mit dem Milchmarkt zu zeigen. Die Produktion müsste so stark ausgeweitet werden, dass sich fixe Strukturkosten senken lassen – was für Schweizer Betriebe nicht generell umsetzbar sei. Eine extensivere Produktionsweise mit weniger Fremdkosten schnitt besser ab. «Dieses Resultat deckt sich mit Studien, die belegen, dass sich die konsequente Reduktion der Vorleistungskosten günstiger auf die Einkommenssituation auswirkt, als auf höhere Milcherlöse durch mehr Milchleistung und intensivere Stallfütterung zu setzen», ergänzen die Autorinnen der Uni Bern.
Die Studie bestätigte zwar die Unzufriedenheit der Produzent(innen) mit dem aktuellen Milchpreis. Die Statistik zeigte aber keinen bedeutsamen Einfluss des Milchpreises auf die Absicht zur vollständigen Betriebsaufgabe. Vielmehr machte ein tieferer Milchpreis die Umstellung auf einen anderen Betriebszweig wahrscheinlicher. Mit Blick auf die Zukunft gab gut ein Drittel der Befragten an, in den nächsten sechs Jahren die Milchmenge steigern zu wollen – entweder über eine höhere Leistung pro Kuh (18 Prozent) oder eine Vergrösserung der Herde (16 Prozent). Knapp die Hälfte der teilnehmenden Betriebe plane in nächster Zeit keine Anpassungen ihrer Produktionsstrategie, gut 6 Prozent wollen extensivieren und knapp 9 Prozent diversifizieren.
Für mehr Vertrauen sorgen
Bettina Scharrer, Chiara Hess und Fabia Lüthi beurteilen die Repräsentativität ihrer Studie als gut. Die Daten böten eine solide Grundlage dafür, verlässliche Aussagen über den Schweizer Milchmarkt zu machen. Basierend auf ihren Erkenntnissen empfehlen die Autorinnen, die Kommunikation mit den Produzent(innen) zu verbessern. «Einheitliche Abrechnungsstandards bei den monatlichen Milchabrechnungen könnten dazu beitragen, die Transparenz zu steigern und das Vertrauensverhältnis zwischen den Milchproduzenten und den Erstmilchkäufern sowie mit den Abnahmebedingungen zu verbessern.»
Sinn und Funktion der Segmentierung sollten verständlicher gemacht werden, heisst es weiter. Die Diskussionen zur Umsetzung der Motion Nicolet (Kopplung der Verkäsungszulage an die Auszahlung von Richtpreisen) biete eine gute Gelegenheit, die Bedürfnisse der Produzenten stärker in Überlegungen zur Weiterentwicklung des Schweizer Milchmarktes einzubeziehen. Eine Möglichkeit zum Einbezug der Anliegen von Produzentenseite ergibt sich nach Meinung der Studienautorinnen ausserdem dadurch, dass die Allgemeinverbindlichkeit des Standardvertrags in diesem Jahr ausläuft. Die BOM sei eine gute Voraussetzung für Dialoge innerhalb der Branche.
Passend zur Branchenvision
Die Schweizer Milchwirtschaft soll nachhaltig und standortgerecht in der Schweiz produzieren und verarbeiten, heisst es in der Branchenvision der BOM. Und «Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, haben eine gute Lebensqualität». Um sowohl eine höhere Zufriedenheit als auch Nachhaltigkeit zu erreichen, plädieren die Berner Forscherinnen für den Abbau von Anreizen zur Intensivierung der Milchwirtschaft. Es sei im Weiteren darauf zu achten, dass bereits nachhaltig produzierende Betriebe nicht benachteiligt würden. Auch ökonomisch könne ein Fokus auf extensivere Produktionsansätze interessant sein «und zu einer nachhaltigeren Einkommenssituation beitragen.»
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