Im Melkstand steht Philipp Bär. Er wäscht die Euter der neuen fünf Kühe, die gerade hineingekommen sind. Rundherum stehen etwa zehn Leute mit Klemmbrettern und Handys. Sie zeichnen, notieren, filmen und stoppen die Zeit. Es sind Mitglieder des Vereins European Dairy Farmers (EDF, siehe Kasten).

Der Stall wird ständig erweitert

Philipp Bär ist der Angestellte und potenzielle Nachfolger von Rainer Scharrer. Scharrer führt in Hersbruck, in der Nähe von Nürnberg (D) einen Milchwirtschaftsbetrieb mit 206 Kühen. Der Betriebsleiter ist selber auch ein Mitglied des EDF. Und nun sind eben die Vereinsmitglieder des EDF Schweiz und Süddeutschland bei ihm zu Besuch.

Der Stall von Rainer Scharrer ist alt und günstig gebaut worden. Man sieht auch, dass der Stall ständig erweitert wurde. Denn bei der Übernahme im Jahr 1985 hatte der Betrieb nur 40 Kühe.

Die Melkzeit für die 205 Kühe ist drei Stunden

Aktuell besteht der Milchviehstall aus drei Abteilen für drei Gruppen. Eine Leistungsgruppe, eine Rindergruppe und eine Gruppe mit frischgekalbten Kühen. Zum Melken müssen die jeweiligen Gruppen zum 2×10-Side-by-Side-Melkstand gebracht werden. Aktuell beträgt die jeweilige Melkzeit für alle 205 Kühe drei Stunden. Und das ist Rainer Scharrer zu lang. Er möchte diese Zeit noch verbessern. Denn Scharrer ist ein typischer EDF-ler. Er ist bestrebt, seinen Betrieb ständig weiter zu entwickeln und Arbeitsabläufe noch effizienter zu gestalten. Denn er ist sich bewusst: Zeit ist Geld.

 

Betriebsspiegel

Name Rainer Scharrer

Ort Hersbruck (Deutschland)

LN 140 ha

Viehbestand 206 Kühe

Kulturen 40 ha Mais, 20 ha Getreide, 10 ha Kleegras, 70 ha Grünland, Rest Extensivierungsflächen

Angestellte Leitender Mitarbeiter 100%, Herdenmanagerin 50%, rumänisches Paar 150%, Melkerin 30%, acht freiwillige Kälber-Tränker.

 

Das ist Lean Management

Die European Dairy Farmers haben grosses Interesse am Management ihrer Betriebe. Denn es sind Rechner, die ihren Betrieb als Unternehmen anschauen, wie ein Elektriker seine Firma anschaut. Und sie schauen gerne mal über den Tellerrand hinaus. Aus diesem Grund sind sie auf das «Lean Management» gestossen. Eine Strategie, die ihren Ursprung in der Toyota-Autoindustrie hat. Das Prinzip ist wortwörtlich simpel. Es geht darum, «Waste», also unnötige Dinge und Arbeitsschritte, zu eliminieren. Lean bedeutet nämlich schlank.

Tipps aus Dänemark

In Dänemark wenden Landwirte diese Strategie schon länger an. Daher war zum EDF-Herbsttreffen in Hersbruck auch die Gründerin von «Lean Farming», Susanne Pejstrup aus Dänemark, eingeladen. Als Beraterin geht sie direkt auf Landwirtschaftsbetriebe und hilft ihnen effizienter zu arbeiten und mehr Wert mit weniger Ressourcen zu generieren. Müll ist alles, was keinen Wert generiert.

Wertströme erfassen

Susanne Pejstrup stellte den Teilnehmern das Lean Management vor und zeigte ihnen anschliessend, wie man eine Wertstromanalyse macht. Dabei muss man herausfinden, welche Arbeitsgänge wirklich wertschöpfend sind und welche nicht. In einer Gruppenarbeit führten dann die Teilnehmer eine Wertstromanalyse des Melkprozesses auf dem Betrieb von Rainer Scharrer durch. Sie analysierten die Arbeitsschritte während des Melkens, massen die Zeit und beobachteten, an welchen Stellen es haperte. Schnell sahen alle das Problem: Die grösste Schwierigkeit im Melkprozess auf dem Betrieb ist das Wechseln zwischen den drei Gruppen. Dabei geht am meisten Zeit verloren. Die EDF-Mitglieder besprachen die Probleme miteinander und präsentierten diese dem Betriebsleiter mit möglichen Lösungsvorschlägen.

«Bei jedem Unterbruch braucht es wieder Energie, um weiterzufahren.»

Susanne Pejstrup aus Dänemark ist Gründerin und Beraterin von Lean Farming.

 

Rainer Scharrer zeigt sich am Ende der Tagung zufrieden. «Zuerst war ich skeptisch, als der EDF vorschlug, das Treffen bei mir zu machen», gibt er offen zu. «Doch nun habe ich sehr viele gute Inputs erhalten und Tipps, wie ich die Arbeit auf meinem Betrieb noch schlanker machen kann.»

Acht Arten von «Müll»

Um wirtschaftlich arbeiten zu können, ist es wichtig, im Fluss bleiben zu können und möglichst wenig unterbrochen zu werden. Die «Lean Farming»-Expertin erklärte die acht Arten von «Waste», also Dingen die den Arbeitsablauf unterbrechen oder verlangsamen:

  1. Defekt: Unklare Routinen, kranke Tiere, tote Tiere, schlechtes Futter, schlechte Kommunikation, kaputtes Kabel am Anhänger.
  2. Überproduktion: Mehr Milch als zu einem guten Preis verkauft werden kann, mehr Rinder als für die Remontierung benötigt werden, mehr Futter als benötigt wird.
  3. Warten: Wasser auffüllen, Milch wärmen, eine Kuh im Melkroboter, warten auf eine Maschine, warten auf einen Mitarbeiter, warten auf den Fütterungsberater. Wenn ich auf etwas warten muss, werde ich nervös. Denn es ist Geld in meiner Tasche. Wenn Angestellte warten, haben sie kein Problem. Das hat auch mit Anstand zu tun. Niemals die Angestellten warten lassen. Selber mit gutem Beispiel voran. Niemals unpünktlich sein.
  4. Ungenutztes Talent: Personal wurde nicht gefragt, falscher Einsatzort. Wenn nur mit den Händen und nicht mit dem Kopf gearbeitet wird. Jeden Morgen ein Startmeeting machen, Fortschritte besprechen. Es kommt darauf an, ob ein Mitarbeiter mitdenkt oder nicht. Es braucht eine spezielle Prozedur, um alle Mitarbeiter, zum Mitdenken zu bewegen. Gute Leute anstellen und einen Job für sie finden.
  5. Transport: Zu grosse und zu kleine, zu lange Maschinen. Zu oft leeres Fahren. Futterlagerung im Feld. Tiere an mehreren Orten. Schlechte Logistik.
  6. Zu viel Inventar: Zu viele Ersatzteile in der Werkstatt. Und wenn man es mal sucht, findet man es nicht. Zu grosse Produktion nur für den Fall dass … Liquidität ist sehr wichtig.
  7. Unnötige Wege/Gänge: Füttern mit den falschen Schaufeln. Falsche Haltung. Nach Dingen und Wegen suchen. Falscher Ablauf.
  8. Zusätzliche Bearbeitung: Zu häufiges Putzen. Nutztiere wie Haustiere behandeln. Kolostrum von der eigenen Mutter des Kalbes. Viele Dinge tun wir, weil wir es einfach so machen. «Bei den EDF-Treffen profitiert jeder Teilnehmer enorm viel», sagt Lukas Rediger, ein Mitglied des Vereins, der einen Betrieb in Binningen BL führt. «Man muss einfach bereit sein, die Karten auf den Tisch zu legen und seinen Betrieb ständig weiter entwickeln wollen.»