"Coop erhöht ab August 2018 die Mindestanforderungen für die Produktion von konventioneller Milch", verspricht der Grossverteiler den Konsumenten. "Auch die Schweizer Bauern profitieren von dieser Umstellung, denn das Milchprogramm garantiert ihnen ein substantiell höheres Einkommen." Das ist natürlich nicht gratis: Coop erhebt seither auf jedem Kilo verkaufter Pastmilch seiner Eigenmarken einen Nachhaltigkeitszuschlag von 5 Rappen. Dieser Zuschlag wird vollumfänglich an die Bauern weitergereicht.

Allerdings, und das ist die Crux, zählen nur 130 Bauern zu den Glücklichen, die diesen Zuschlag ausbezahlt bekommen. Sie gehören alle zu den Direktlieferanten der Mittelland Milch MPM Suhr und wurden nach dem Windhundprinzip ausgewählt. "Die Anmeldungen werden nach Eingang berücksichtigt. Sobald die benötigte Milchmenge beisammen ist, landen die nachfolgenden Betriebe auf der Warteliste" hiess es im entsprechenden Mail der MPM Suhr. Wer sofort reagierte und die Bedingungen erfüllte, kam in den Genuss eines Zuschlags, alle anderen müssen warten.

Die Mindestanforderungen sind überschaubar: Alle Kühe müssen am Bundesprogramm Regelmässiger Auslauf ins Freie (Raus) teilnehmen, das Grundfutter muss zu 100 Prozent aus der Schweiz stammen und wenn Soja verfüttert wird, muss dieses die Richtlinien des Sojanetzwerkes Schweiz für verantwortungsvollen Anbau erfüllen. Zudem muss noch eine der beiden Zusatzanforderungen - Teilnahme am Bundesprogramm für Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF) oder Besonders tierfreundliche Stallhaltung (BTS) erfüllt werden. Der Zuschlag beträgt 4 Rappen pro Kilo Milch und erhöht sich auf 6 Rappen, wenn beide Zusatzanforderungen erfüllt werden. Teilnehmende Betriebe bestätigten auf Anfrage, dass der Coop-Zuschlag auf ihrer Milchgeldabrechnung separat ausgewiesen wird.

 

 

Konsumententäuschung oder nicht?

Die Bedingungen von Coop werden gesamtschweizerisch von rund 17'000 Milchproduzenten erfüllt, aber natürlich liefern nicht all diese Bauern Milch für Coop-Produkte. Trotzdem: "Wenn sich Coop mit einem Nachhaltigkeitsprogramm zu konventioneller Milch rühmt, gehe ich davon aus, dass meine Milch, die ich in der ganzen Schweiz einkaufe, nachhaltig produziert ist und der Milchproduzent profitiert," sagt Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz Schweiz. "Falls nur ein Bruchteil der Coop-Milchbauern so produzieren, beziehungsweise davon profitieren, erachte ich dies als Täuschung und Irreführung gemäss dem Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb."

Das will Roland Frefel, der Leiter Frischbereich Coop, nicht auf sich sitzen lassen: "Wir mussten irgendwo anfangen. Das Ganze ist recht kompliziert und darum nahmen wir erst einmal das, was am einfachsten umsetzbar ist." Frefel sagt, Coop habe stets transparent informiert. "Jetzt kommt eine Warengruppe nach der anderen dran, irgendwann wird das gesamte Milchsortiment umgestellt sein."

Vorerst gilt das Programm nur für Pastmilch der Eigenmarken. Pastmilch ist per se ein Nischenprodukt, sie macht am gesamten Milchmarkt rund 5 Prozent aus. Diese Menge verteilt sich zudem auf diverse Labels: Auch bei Coop stehen von Heumilch über Biomilch bis hin zu regionalen Labeln nicht nur Eigenmarken im Kühlregal. Die Menge an "nachhaltig produzierter Milch" bei Coop ist folglich eine Nische in der Nische. Wie viele Tonnen davon verkauft, Aufpreise abgerechnet und Prämien ausbezahlt werden, will Coop nicht sagen.

Zuschläge ohne Abzüge

Würde man das Geld auf alle Bauern verteilen, welche die Bedingungen erfüllen, wäre der Zuschlag für den einzelnen Betrieb kaum spürbar. Da Coop aber nur so viele Bauern berücksichtigt, wie Milch für das entsprechende Programm benötigt wird, werden wenigstens ein paar Einzelpersonen glücklich.

Wie zum Beispiel Sabrina Schlegel vom Grundhof in Bözberg: "Für uns ist der Zuschlag besonders relevant, weil wir keine Direktzahlungen erhalten und die Milchproduktion defizitär ist." Der Zuschlag von 4 Rappen ergibt bei einem Milchpreis von 55 Rappen aufs Jahr gesehen quasi einen 13. Monatszahltag. Und der Grundhof produziert immerhin 950'000 kg Milch im Jahr. Auch Daniel Britschgi vom Guetsmatthof in Bellikon bestätigt: "Bei meinen 400'000 Kilo Milch macht ein Aufpreis von 4 Rappen schon was aus." Britschgi freut vor allem, dass die Prämie tel quel ausbezahlt wird und nicht durch andere Auflagen oder Abzüge zunichte gemacht wird.

Das dürfte sich allerdings bald ändern. Sobald Coop den Branchenstandard des "Grünen Teppichs" (siehe Textbox) umsetzt, werden die Teilnehmer am Coop-Programm statt 4 bzw. 6 Rappen nur noch 1 (bzw. 3) Rappen mehr als ihre Kollegen bekommen.

Für Frefel ist das logisch: "Wir bezahlen natürlich nicht zweimal für die Teilnahme am Programm Raus." Im Gegenzug sollen die Konsumenten laut Coop für die nachhaltige Pastmilch ab September nicht mehr bezahlen müssen als heute, während die anderen Preise für Milchprodukte voraussichtlich steigen. Frefel: "Es ist natürlich schon der Plan, dass der Aufpreis für den grünen Teppich an die Konsumenten weitergereicht wird."

Mehr zum Coop Milchprogramm: www.coop.ch/de/einkaufen/supermarkt/sortiment/milch-programm.html

 

 

"Wir sitzen im Moment auf Nadeln"

Nicht nur Coop oder Mitbewerber Migros, sondern die gesamte Milchbranche will künftig verstärkt mit Nachhaltigkeit werben. Die Branchenorganisation Milch hat deshalb beschlossen per 1. September 2019 einen Branchenstandard für Nachhaltige Schweizer Milch, den sogenannten "Grünen Teppich" einzuführen. Die Vorschriften ähneln in einigen Bereichen dem Coop-Milchprogramm, es gibt allerdings ein Punktesystem. Die Erarbeitung erfolgte mehr oder weniger zeitgleich. Dass Coop letzen Endes vorgeprescht ist, begründet Roland Frefel damit, dass es "uns in der Branche zu wenig schnell ging."

Für die nachhaltige Schweizer Milch sollen sämtliche Schweizer Milchproduzenten, welche die Anforderungen des grünen Teppichs erfüllen, ab 1. September 3 Rappen Zuschlag auf Molkereimilch im A-Segment erhalten. Dieser Branchenstandard wird bereits heute von einem Grossteil der Bauern erfüllt. Entsprechend wichtig ist die Umsetzung.

Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Zuschlag zur Farce verkommt. Bereits haben nämlich erste Milchverarbeiter wie Elsa und Emmi den Milch-Grundpreis gesenkt. Die Argumente, um neue Abzüge zu rechtfertigen, oder den A-Milchanteil zu senken wirken vorgeschoben. Es besteht das Risiko, dass an der Verkaufsfront bei den Preisen für Milchprodukte gar nichts passiert und der Milchpreis der Milchproduzenten trotz ausgewiesenem Mehrwert nicht steigt. Das würde nicht den Abmachungen in der Branche entsprechen. Stefan Kohler, der Geschäftsführer der BO-Milch: "Deshalb sitzen wir im Moment hier wie auf Nadeln."

Mehr zum Branchenstandard: www.ip-lait.ch/branchenstandard/