Am zweiten Tag der Insekten traten in Aarau verschiedene Referenten auf, die über ihr besonderes Engagement für Insekten sprachen. Die Landwirtschaft war zwar ein grosses Thema, im Publikum aber eher untervertreten.

 «Viele haben sowas von keiner Ahnung»

Unter den Rednern waren mehrere, die sich im Prinzip selbst das Geschäft schädigen. So etwa der Gartencenter-Besitzer Erwin Meier-Honegger. Er sei der Überzeugung, dass sich Biodiversität lohnen müsse und daher rate er auch vom Kauf von Bekämpfungsmitteln ab und schicke nicht selten einen Kunden unzufrieden nach Hause.

Viele hätten «sowas von keiner Ahnung» und müssten im Gartencenter erst z.B. von ihrer Angst vor Insekten kuriert werden.

Das Pendel könnte zurückschlagen

Als Gartenspezialist ist Erwin Meier-Honegger aber auch realistisch. «Das Pendel der ‘Insekteneuphorie’ könnte zurückschlagen», gibt er zu Bedenken. Schliesslich sind längst nicht alle Sechsbeiner erwünscht, es gebe Interessenskonflikte. «Es braucht eine alltagsverträgliche Biodiversität und ausserdem Beratungs- und Anlaufstellen sowie eine funktionierende Wertschöfpungskette», folgerte er.

Eine biologische Insel auf Volkswillen

Mals im Südtirol umfasst 24'711 Hektaren Gemeindefläche. Diese wird seit 2018 rein biologisch bewirtschaftet, nachdem eine entsprechende Volksinitiative mit 76 Prozent Ja-Stimmenanteil (bei einer Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent) angenommen worden war. Heute werden nur kleinräumige Parzellen (durchschnittlich 300 m2) bewirtschaftet und die Sicherheit vor abdriftenden Pflanzenschutzmitteln hat Kräuterbauern nach Mals gelockt.

 

Deutschlands Maiswüsten

Laut dem Insektenforscher Josef Reichholf wird in Deutschland grossflächig Mais für die Energiegewinnung angebaut. Diese Felder seien ökologische Wüsten und nach der Ernte liege der Boden brach, erklärte Reichholf. Der Forscher stellte die Frage in den Raum ob das der richtige Weg sein könne, um vom Öl wegzukommen. Er hoffe sehr, dass die Schweiz weiser sei.

 

Nicht auf die grosse Politik warten

Ulrich Veith, der Gemeindepräsident von Mals erklärte, man habe nicht auf die grosse Politik warten wollen und daher die Sache selbst in die Hand genommen.

Das Ganze habe vor 10 Jahren begonnen, als sich eine kleinere Gruppe in der Gemeinde wegen Pflanzenschutzmitteln (PSM) zu sorgen begann. Im Malser Gebiet weht häufig ein starker Wind und es gibt sehr viele Obstanlagen, auf denen intensiver Pflanzenschutz betrieben wird.

Veith schilderte den Weg zur pestizidfreien Gemeinde in vier Schritten:

  1. Zuerst setze man auf die Sensibilisierung der Landwirte, druckte Broschüren und verteilte Infomaterial. Die Vorschläge wurden aber nicht umgesetzt.  
  2. Es wurde beschlossen, eine Volksabstimmung zu starten. Die entsprechenden Bürgerinfo-Anlässe waren gut besucht, man lud Experten ein und Lehrer bauten mit Schulkindern Hecken auf, um auf breiter Front ein Verständnis für die Bedeutung von Insekten und Biodiversität zu fördern.
  3. Einige Bürgergruppen starteten eigene Aktionen, so malten und verteilten die Frauen des Ortes Transparente.
  4. Die Volksabstimmung fiel deutlich aus. Somit sind nun nach einer 2-jährigen Umstellungsphase alle nicht-bio gelisteten PSM in der Landwirtschaft, auf öffentlichen Plätzen und in privaten Gärten der Malser Gemeinde verboten.

Bauern werden unterstützt

Mals lässt seine Landwirte nicht alleine. So hat die Gemeinde etwa eine Maschine zur mechanischen Unkrautbekämpfung angeschafft, die sich die Bauern teilen können. Bio-Landwirte werden auch gezielt finanziell unterstützt.

«Ich frage lieber den kleinen Peter»

Wegen dieses radikalen Schritts laufen laut Ulrich Veith mehrere Gerichtsverfahren. Auch habe er viele Anfeindungen erfahren – trotzdem würde er denselben Weg noch einmal gehen. «Die Politik alleine kann sowas nicht schaffen, es braucht den Rückhalt und die Unterstützung der Bevölkerung», erklärte er.

Man solle sich nicht von gewissen Beratern täuschen lassen, so Veith. Er zeigte das Bild seines kleinen Sohns und kommentierte dazu: «Ich frage lieber mal den kleinen Peter ob er glaubt, dass Substanzen, die Pflanzen und Tiere töten, unbedenklich sind».

Die Kunden vom Kauf abhalten

Die Fliegenfallen von Dr. Reckhaus machen ein schlechtes Gewissen, sobald man sie in Händen hält. Ähnlich wie die Gesundheitswarnungen auf Zigaretten-Packungen prangt ein schwarzer Kasten mit dem Hinweis «tötet wertvolle Insekten» auf jedem Produkt der Firma. Zudem stehen zehn Gründe für die Wichtigkeit von Insekten und mögliche Alternativen zu Bioziden daruf.

Als sich zwei Künstler wegen Umwelt-Bedenken weigerten, eine Werbekampagne für sein neues Produkt zu kreieren, sei er ins Grübeln gekommen, erklärte Hans-Dietrich Reckhaus, der Chef von Dr. Reckhaus. Zuerst habe er die Reaktion überhaupt nicht verstanden, später kam er zum Schluss: «Wenn ich töte, muss ich auch retten».

Tote Insekten kompensieren

Zusammen mit Biologen rechnete Reckhaus aus, wie viele Insekten durch seine Produkte getötet werden. Dann begann er, rund um den Firmensitz Lebensräume für Sechsbeiner anzulegen, um die Verluste zu kompensieren. Seine Produkte bezeichnet er heute als «insektenneutral», sie tragen das Siegel «Insect Respect». Mit demselben Gedanken kann man auch Autovignietten kaufen. Damit soll man 10'000 Km mit einem mittleren Auto kompensieren können.

«Ich hatte alle Mitarbeiter gegen mich»

Das Kader sei als erstes ausgestiegen und habe ihn für verrückt gehalten, als er mit seien Warnhinweisen begann. Auch die anderen Mitarbeiter seien nicht leicht zu überzeugen gewesen, schilderte Hans-Dietrich Reckhaus. «Ich hatte alle Mitarbeiter gegen mich», stellte er klar. Auch mit der Aktion, die Parkplätze vor der Firma in Wiesen zu verwandeln, machte er sich keine Freunde.

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Umbau zur Landschaftsgärtnerei läuft

Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Die Firma Reckhaus richtet nun für andere Firmen «Insektenparadise» auf Flachdächern oder kleineren Grünflächen ein und in naher Zukunft soll das ganze Unternehmen zu einer Landschaftsgärtnerei werden.