Bundesrat ist Markus Ritter nicht geworden. Enttäuscht zeigt er sich deswegen nicht. Im Gespräch mit der BauernZeitung erklärt er, wie es zur Kandidatur kam und warum es sich bei Argumenten wie «noch ein Bauer» oder «noch ein St. Galler» nur um Futter für die Medien handle. Zusammen mit SBV-Direktor Martin Rufer erläutert der Bauernpräsident, was die nächsten Schritte für Verbesserungen zugunsten der Bauernfamilie sein werden. Ritter bekräftigt sein Image als ein Mann mit Mission und hat nichts von seiner Energie eingebüsst.

Herr Ritter, warum wollten Sie überhaupt Bundesrat werden, wo sie doch als SBV-Präsident und Nationalrat erfolgreich sind?

Markus Ritter: Es war ein Chef für das Verteidigungsdepartement (VBS) gesucht, wo es viele Baustellen gibt – namentlich sieben Projekte im Umfang von 19 Milliarden Franken, die nicht optimal laufen. Hinzukommen die angekündigten diversen personellen Abgänge aus der obersten Führungsriege. Diese Herkulesaufgabe wollte sonst niemand aus der Mitte-Fraktion übernehmen. Wir – meine Familie und der SBV – haben das diskutiert und waren uns einig: Das können wir so nicht stehenlassen. Die Landwirtschaft ist immer eingestanden für die Schweiz, für unsere Bedürfnisse und auch die Landesverteidigung, wenn es nötig war.

Wie haben Sie die Nichtwahl durch das Parlament verdaut?

Markus Ritter: Ich habe mir diese Aufgabe zugetraut und hätte sie gerne übernommen. Aber all die Steine, die dem neuen VBS-Chef am 1. April auf die Füsse fallen werden – das sind jetzt nicht meine Füsse. Diese Steine wird Martin Pfister aufheben müssen. So darf ich das Leben, an dem ich sehr Freude habe, in einer top aufgestellten Organisation weiterführen. Daher kann ich mit diesem Entscheid des Parlaments sehr differenziert umgehen.[IMG 2]

Wie sah der SBV die Kandidatur, Herr Rufer?

Martin Rufer: Nach Markus Ritters Rücktrittsankündigung per 2028 hatten wir uns bereits mit der Nachfolgesuche befasst und es war schnell klar, dass wir bei einer allfälligen Wahl in den Bundesrat bereit wären. Intern haben wir gesehen, dass die Landesverteidigung wichtig ist und haben gehofft, dass Markus gewählt wird, um das VBS in Ordnung zu bringen. Bei Bundesratswahlen spielen immer sehr viele persönliche, strategische Überlegungen mit. Am Ende sind es geheime Wahlen, bei denen alle mit Hintergedanken stimmen.

Markus Ritter: Es war ein Abwägen, ob wir es wagen können, in dieser für die Landwirtschaft entscheidenden Zeit den Kopf des SBV auf strategischer Ebene auszutauschen. Aber wir können nicht die Landwirtschaft über die Nation stellen. Daher erfolgte mit meiner Kandidatur das Angebot ans Parlament, die Herausforderungen im VBS anzugehen.

«Niemand sonst wollte sie übernehmen.»

Markus Ritter über die anstehende «Herkulesaufgabe» im VBS.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer Nichtwahl, Herr Ritter?

Markus Ritter: Die Medien werden mit Erklärungen angefüttert, die plausibel erscheinen, die strategischen Überlegungen aus den Fraktions- und Parteiführungen aber nicht abbilden. Sie müssen sich vorstellen: Im Parlament schlägt eine Fraktion jeweils zwei bis drei mögliche Kandidaturen für eine Nachfolge im Bundesrat vor, die dann aber grossmehrheitlich von den anderen Fraktionen gewählt werden. Im Unterschied zu anderen Wahlen stimmt man also darüber ab, wer von der anderen Partei in den Bundesrat kommt. Das ist, als würde man sich an einem Schwingfest den Gegner für den nächsten Gang als Schwinger selber aussuchen können. Natürlich fällt der Wahlentscheid entsprechend aus. Diesen Mechanismus habe ich jetzt schon bei neun Bundesratswahlen spielen sehen.

Was heisst das konkret?

Markus Ritter: Die Linken haben wenig Interesse, dass das VBS sehr kraftvoll auftritt, weil dieses Departement mit ihren Anliegen in Konkurrenz steht. Es herrscht ein intensiver Verteilkampf um die Mittel. Eine weitere strategische Überlegung war: Wie sind die Voraussetzungen auch für die Wahlen 2027 zu optimieren? Wer wird im Bundesrat und im Departement welche Rolle spielen können und welche Ausstrahlung haben? Wie würde sich das Machtgefüge mit wem wie verändern? Was würde dies für die Wahlen 2027 bedeuten?

Sie bleiben noch bis 2028 SBV-Präsident. Diese Zeit bezeichnen Sie als die wichtigsten Jahre in der Geschichte des Verbandes. Weshalb?

Markus Ritter: Die Agrarpolitik 2030 wird matchentscheidend, denn sie wird die Landwirtschaft bis 2042 prägen. Damit befasst sich nicht nur das jetzige Parlament, sondern auch das nächste. Daher sind die Parlamentswahlen 2027 so wichtig. Sie entscheiden, wie die Rahmenbedingungen für die nächste Generation und ihre Betriebe aussehen werden.

Martin Rufer: Es ist eine wichtige Phase, aber auch eine Chance. Über 20 Jahre hatten wir eine Agrarpolitik, die vor allem Direktzahlungen umverteilt und immer mehr Vorschriften gemacht hat. Jetzt können wir die Agrarpolitik neu ausrichten und dabei die Märkte sowie die Wertschöpfung ins Zentrum stellen.

Was versprechen Sie sich davon?

Martin Rufer: Es ist unser grosses Ziel, dank besserer Rahmenbedingungen 1–2 Milliarden Franken mehr von den Märkten zu holen. Zu diesem Zweck haben wir ein «Marktpaket» lanciert. Das wird die wirtschaftliche Situation der Betriebe verbessern, die Produktion wieder attraktiver machen und sich positiv auf den Selbstversorgungsgrad (SVG) auswirken. Der Zeitpunkt ist günstig, denn das Thema Versorgung hat an Bedeutung gewonnen – es herrscht eine grosse Einigkeit, dass der SVG bei mindestens 50 Prozent liegen sollte.[IMG 3]

Sind 1–2 Milliarden mehr Einnahmen vom Markt für die Landwirtschaft realistisch?

Martin Rufer: Die letzten 15 Jahren haben wir mit guten Rahmenbedingungen insbesondere im tierischen Bereich fast eine Milliarde zusätzlich geholt. Dazu beigetragen haben gute Grenzschutzsysteme und die Inlandleistung bei der Vergabe von Zollkontingenten. Aus diesen gut funktionierenden Märkten müssen wir für andere Bereiche lernen und so ist diese Zielgrösse absolut realistisch.

Was beschäftigt Sie ausser der AP 2030?

Martin Rufer: In der zweiten Hälfte 2026 kommt die «Vegi-Initiative» zur Abstimmung. Da brauchen wir ein starkes Signal, ein klareres Nein noch als bei der Biodiversitäts-Initiative. Das gibt Rückenwind für unsere Anliegen in der AP 2030.

Wie gut ist der SBV für diese entscheidende Phase aufgestellt?

Martin Rufer: Wir haben sehr gut besetzte Gremien und eine gut eingespielte Geschäftsstelle. Diese wird nach der Pension von Francis Egger durch eine neue Person mit sehr guter Kenntnis der Agrarpolitik ergänzt. Wir sind personell auf allen Stufen gut aufgestellt, in unseren Mitgliederorganisationen und in der Politik stark verankert. Damit können wir aus einer Position der Stärke – jetzt in fast gleichbleibender Besetzung – mit viel Energie und Erfahrung das Kommende an die Hand nehmen. Wenn aber das Parlament zu unseren Ungunsten zusammengesetzt ist, wird es trotz guter Verbandsarbeit ganz schwierig. Daher sind die nächsten Wahlen im Jahr 2027 ein wichtiges Projekt, um die Mehrheiten zu schaffen, die wir brauchen.

Warum haben Sie an diesem Punkt frühzeitig Ihren Rücktritt angekündigt, Herr Ritter?

Markus Ritter: Personalplaner sagen mir, kein Mensch gebe seinen Rücktritt vier Jahre vorher bekannt – man rate dazu, das im letzten Moment zu machen. Aber wir Bauern und Bäuerinnen denken eben in Generationen und wollen optimale Bedingungen für die Nachfolger schaffen. Nicht einfach «nach mir die Sintflut.» Für Erfolg sind langfristige Planung und Perspektiven wichtig, statt davon auszugehen, dass die anderen sich das schon selbst denken. So habe ich auch die Übergabe meines Betriebs an meine Söhne minutiös geplant und umgesetzt. Auch hier war eine frühzeitige Transparenz über die Perspektiven wichtig.

In Europa und in der Schweiz gibt es Bauernproteste. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen solcher Aktionen ein?

Martin Rufer: Wir hatten immer Kontakt zu diesen Gruppierungen in der Schweiz, auch wenn ihre Auftritte eigenständig waren. Es handelt sich um gut und professionell organisierte Aktionen. Sie haben gezeigt, dass der Schuh drückt im Bereich der Wirtschaftlichkeit und des bürokratischen Aufwandes. Wenn das auch von der Basis mit guten, sympathischen Aktionen aufgezeigt wird, hilft das, um Gesellschaft und Politik zu sensibilisieren. Hierzulande hat das funktioniert und die landwirtschaftliche Interessensvertretung gestärkt.

Warum organisiert dann der SBV selbst keine solchen Aktionen?

Markus Ritter: Ich sehe bei den Massnahmen zur politischen Einflussnahme eine Kaskade von 1–10. Stufe 10 sind Kundgebungen mit Traktoren wie in Frankreich, wo es Feuer und Blockaden gab. Das ist der Weg, wenn man politisch gar nichts zu sagen hat. Stufe 1 sind Diskussionen auf fachlicher Ebene mit der Bundesverwaltung, die Suche nach fachlichen Lösungen. Gespräche mit dem Bundesrat sind Stufe 2. In der Schweiz sind wir auf Stufe 1–2, dank der Durchschlagskraft des SBV in der Politik, aber auch, weil wir mit den Marktpartnern reden können. Man muss gehört und ernstgenommen werden. Sowohl in der Verwaltung als auch auf den Märkten müssen die Akteure wissen, wo der Hammer hängt. Der SBV ist heute dort, wo ich ihn haben will.

Weshalb funktioniert der SBV heute so gut?

Markus Ritter: Wir haben 85 Mitgliedorganisationen und zwei Grundstossrichtungen, hinter denen sich die ganze Landwirtschaft versammeln kann: Für Markt und Nachfrage zu produzieren und die Ausgeglichenheit zwischen Berg und Tal. Es braucht eine Verbandspolitik, die allen nützt.

Ein weiterer Grundsatz ist, lernfähig zu bleiben und bei Rückschlägen nicht zu fluchen, sondern sich selbst zu verbessern. Ausserdem haben wir nach dem Nein zum Jagdgesetz 2020 eine unwahrscheinliche Kampagnen-Maschinerie hochgefahren und seitdem erfolgreich eingesetzt und laufend weiter verbessert.

Martin Rufer: Unsere Erfolgsfaktoren sind Handwerk – z. B. Schnelligkeit – und Einigkeit. Es gibt Diskussionen, dann wird abgestimmt und diese Position tragen alle mit. Wichtig ist ausserdem das Herzblut. Um 17 Uhr quittieren unsere Leute nicht einfach den Dienst, sondern bleiben immer dran.

Warum erreicht der SBV trotzdem nicht immer, was er möchte?

Martin Rufer: Im Bereich der Überregulierung sind wir noch nicht dort, wo wir hinwollen. Da müssen wir auch gegenüber der Verwaltung noch mehr Druck aufbauen. Politik und Verwaltung müssen mehr Vertrauen in die Bauernfamilien haben. Es ist nicht nötig, alles bis ins letzte Detail mit einer Weisung zu regeln und nachzumessen. Wir müssen mit unserer Arbeit und unserem Lobbying erreichen, dass man den Bauern mehr vertraut. Damit beschäftigen wir uns tagtäglich.

Markus Ritter: Unser Motto lautet, jeden Tag besser zu werden, um gut zu bleiben. Unter diesem Leitsatz stand auch die Bundesratskandidatur: Zuerst die Bereitschaft zeigen, dann eine gute Kandidatur und jetzt der richtige Umgang mit der Nichtwahl. Ich habe mehrere Hundert Rückmeldungen bekommen – der Briefkasten war voll. Es waren etwa 350, davon fünf negative und ich habe alle beantwortet. Ich gehe mit Blick auf die jetzige Grundstimmung davon aus, dass wir im Parlament gestärkt aus dieser Bundesratswahl hervorgegangen sind.

«Damit geben wir uns nicht zufrieden.»

Martin Rufer über die Aussage, beim Grenzschutz sei nichts mehr möglich.

Die Macht des SBV zeigt sich etwa damit, dass Entscheide wie die Pflicht zu 3,5 Prozent Acker-BFF wieder rückgängig gemacht werden. Aktuell läuft es ähnlich mit Digiflux. Warum dieses Hin und Her?

Martin Rufer: Das Parlament hat viele Beschlüsse gefasst, die an sich kein grosses Problem wären. Wir scheitern jeweils an der Umsetzung. Die 3,5 Prozent wurden nie vom Parlament sondern nur vom Bundesrat beschlossen. Das Parlament hat diese dann gekippt, weil bei deren Ausgestaltung zu wenig auf die Praxis und die Kantone gehört wurde. Es ging z.B. um die Anrechnung bereits bestehender Flächen. Bei Digiflux ist es ähnlich. Nach eigentlich einfachen Vorgaben aus dem Parlament wurde ein Rolls-Royce gebaut. In der Verwaltung geht in der Umsetzung oft weit ins Detail, was wir im Parlament wieder korrigieren müssen. Es wäre wünschenswert, das mit fachlichen Gesprächen einfacher zu machen.

Markus Ritter: Es gibt aber einen einfachen Grund, weshalb wir in diese Situation geraten sind.

Wie ist das passiert?

Markus Ritter: Wir haben die Parlamentswahlen 2019 verloren. Die ganze politische Diskussion ging in der Folge in die ökologische Richtung. Es folgten schwierige Abstimmungen zur Trinkwasser- und Pestzidverbots-, sowie der Massentierhaltungs-Initiative. Es ist immer etwas hängen geblieben.

Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Markus Ritter: Seit seiner Gründung 1897 hatte sich der SBV nie bei Wahlen engagiert, sondern das den Kantonen als Wahlkreisen überlassen. Wir haben festgestellt, dass es so nicht mehr geht – es braucht eine starke Grundkampagne. Das wurde aufs Jahr 2023 umgesetzt, zusammen mit den anderen Wirtschaftsdachverbänden und auch im ländlichen Raum. 2027 wird das in nochmals ausgebauter Form wieder nötig sein.

Wird die Stärke der Landwirtschaft im Parlament ausreichen, um weitere Sparmassnahmen im Agrarsektor abzuwehren?

Martin Rufer: Es sind rund 255 Millionen Franken, welche die Landwirtschaft zum Entlastungspaket 27 beitragen soll. Etwa hälftig via Kürzungen bzw. ertragsseitig via Versteigerung der Zollkontingente. Das sind etwa 10 Prozent des ganzen Entlastungspakets, also überproportional viel angesichts des Anteils der Bundesausgaben für die Landwirtschaft. Die Auswirkungen wären sehr gross und würden das landwirtschaftliche Einkommen direkt treffen. Wir gehen davon aus, dass dieses Paket unverändert ins Parlament kommt – dort wird es entscheidend, dass wir die nötigen Mehrheiten haben.

Der SBV stellt fest, dass die Diskrepanz zwischen politischen Ansprüchen und Marktrealitäten immer grösser wird. Wie ist dem entgegenzuwirken?

Markus Ritter: Die Diskussionen in der Politik sind sehr ideologisch geprägt. Das zeigen die Medienhypes zu vegan, Vegetarier oder Lebensmittel aus Insekten. Aus keinem ist viel geworden – man muss sich darauf konzentrieren, was man verkaufen kann. Das gilt auch bei Bio: Wir haben selbst einen Bio-Betrieb zuhause und das funktioniert sehr gut. Aber wir sind bei 12 Prozent Marktanteil und die Präferenzen der Konsument(innen) sind sehr unterschiedlich. Hinzu kommt vor allem auch in der Gastronomie das Kostenbewusstsein. Daher müssen wir uns vehement gegen alles wehren, was nicht den Markt abbildet und im Endeffekt nur zu tieferer Produktion, höheren Kosten und mehr zeitlichem Aufwand führt. In den letzten Jahren musste man in dieser Hinsicht so viel in Kauf nehmen, dass wir heute bei einem Netto-Selbstversorgungsgrad von 46 Prozent sind.

Wie sieht es mit Labels aus?

Martin Rufer: Ich möchte betonen, dass wir uns von den Marktrealitäten leiten lassen müssen – nicht von Sonntagspredigten. Wir leben davon, eine ausreichende Menge produzieren und zu anständigen Preisen verkaufen zu können. Das sind die 80 Prozent des Einkommens, die wir am Markt lösen. Wir freuen uns für jeden Betrieb, der genügend Absatz hat mit Bio oder IP-Suisse, aber es braucht eine marktgerechte Produktion und etwa 70 Prozent des Markts liegen im Suisse-Garantie-Bereich. Hohe Preise alleine nützen nichts, wenn es keine Produktion mehr gibt – daher ist es wichtig, dass gute Rahmenbedingungen eben noch eine Produktion zulassen.

Sie haben Ihr Marktpaket in der AP 2030 erwähnt. Was ist da drin?

Martin Rufer: Wir haben verschiedene Pisten mit konkreten Massnahmen, um eine bessere Wertschöpfung und bessere Preise zu generieren. Ein Thema ist der Grenzschutz, bei dem wir aktuell bestehende Lücken suchen und beleuchten, wie Zollkontingente verteilt werden. Weiter geht es um generelle Marktordnungen wie die Verkäsungszulage, die erhöht werden müsste oder saisonale Stützungsmassnahmen. Verbesserungen bei der Deklaration von Herkunft und Produktionsweisen sollen zu einer besseren Positionierung der Schweizer Landwirt(innen) am Markt beitragen. Die letzte Piste ist die Position in der Wertschöpfungskette. Dort bilden Zahlengrundlagen wie Vollkostenrechnungen eine bessere Basis für Verhandlungen.

«Wir wollen 1–2 Milliarden mehr holen.»

Martin Rufer über angepeilte Mehrerlöse am Markt. Das sei realisitisch.

Was ist für die Bauernfamilien am Ende wichtiger: Anpassungen im Markt oder in der Politik?

Markus Ritter: Es braucht beides. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, kann man kein Unternehmen führen. Weil wir sehr viele Berührungspunkte zu diversen Diskussionen haben, ist die Landwirtschaft stark von der Politik beeinflusst. Es geht nicht nur um Agrarpolitik, sondern z. B. auch den Naturschutz, die Raumplanung, das Bodenrecht und vieles mehr. Daher hat die Politik – die nationale, aber auch kantonale oder kommunale – für uns eine grosse Bedeutung und es ist wichtig, dass sich Bäuerinnen und Bauern auf allen Staatsebenen engagieren.

Als ich als Bauernpräsident angefangen habe, spielten die Märkte im SBV viel weniger eine Rolle. Das sei Sache der Branchen. Heute ist der Markt ein zentrales Thema für den Verband und wir haben auf den obersten Führungsebenen von Verarbeitung und Handel mehr Verhandlungskraft als einzelne Branchenverbände. Unser Ziel ist es, auf der obersten Stufe ein Grundbekenntnis zu schaffen mit den Geschäftsleitungen.

Musste sich der SBV in den letzten Jahren zu sehr mit der Politik und Abstimmungskämpfen befassen, sodass anderes – z. B. der Markt – vernachlässigt wurden?

Markus Ritter: Nein, wir haben die Kompetenz im Bereich Markt ausgeweitet. Das sind aber Gespräche im Hintergrund und nichts, was man alle Tage in der Zeitung schreiben kann. Die Abstimmungskämpfe werden medial stärker wahrgenommen, aber Märkte haben beim SBV intern eine grosse Bedeutung. Der Verband steht auf den drei Beinen Politik, Märkte und Kommunikation – alle drei Bereiche sind gleichermassen wichtig, um das Ziel von Wertschöpfung, Erfolg und Lebensqualität für die Bauernfamilien zu erreichen.

Martin Rufer: Ich möchte unterstreichen, dass wir bei den Marktthemen ein paar Scheite nachgelegt haben. Der grosse Unterscheid zu den politischen Aktivitäten ist die Sichtbarkeit in Öffentlichkeit und Medien.

Welche Ziele haben Sie im Bereich Markt erreicht?

Martin Rufer: Bei der Kostenentwicklung wurden Grundlagen geschaffen. Wir können genau aufzeigen, was wir gedeckt haben müssen. Das ist von den Detailhändlern sowie den wichtigen Verarbeitern anerkannt. Basierend darauf verhandeln die Fachorganisationen ihre Preise. Da sind wir nicht dabei. Wir bereiten das Feld vor und diese Aktivitäten sollen in Richtung saubere Vollkostenrechnungen für alle Produkte ausgebaut werden. Das wird der Landwirtschaft in Verhandlungen noch bessere Karten in die Hand geben. Wenn man Fakten auf den Tisch legen kann, ist das eine gute Ausgangslage.

Schlägt sich das in Zahlen nieder?

Martin Rufer: Es gibt durchaus Preissteigerungen, bei Zucker, Kartoffeln, Getreide und in anderen Bereichen. Wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen. Wir müssen aber diesen Weg weitergehen. Im Pflanzenbau wurden die besseren Preise leider vollständig durch die schlechten Ernten aufgefressen. Aus diesem Grund müssen wir eben auch für gute Rahmenbedingungen sorgen, um noch anständige Erträge zu haben.

Es gibt die Forderung nach einer Gegenmacht zum Handel. Wie stark ist der SBV im Markt?

Markus Ritter: Lange waren die effektiven Zahlen nicht bekannt. Das hatte Folgen, die Einkommen sind heute auf vielen Betrieben ungenügend und auch die Investitionsfähigkeit fehlt. Bezüglich Position im Markt sind wir stärker, aber bei der Wertschöpfung haben wir noch einen Weg zu gehen. Bleiben die Kosten der Betriebe ungedeckt, dann hat keine Branche eine Zukunft.

Martin Rufer: Wir konnten uns in den letzten Jahren am Markt eine Position erarbeiten, in der man uns ernst nimmt. Aber wir sind noch nicht am Ziel.

Aus Verwaltung und Politik heisst es, am Grenzschutz könne nicht geschraubt werden. Verfolgen Sie diese Piste trotzdem?

Martin Rufer: Demnächst wird eine Studie erscheinen, die mögliche Ansatzpunkte aufzeigt. Bei der Vergabe der Zollkontingente haben wir viel Spielraum und wir haben da bei Fleisch oder Kartoffeln gute Erfahrungen gemacht. Das läuft innerhalb des bestehenden Grenzschutzes und geltender Abkommen. Mit der Aussage, dass da nichts möglich sei, geben wir uns nicht zufrieden.

Markus Ritter: Einen Teil gibt die WTO vor, mit weiteren Zugeständnissen in Freihandelsabkommen. Daneben gibt es aber Spielraum, den wir nutzen wollen.

Herr Rufer, Sie sind FDP-Politiker. Ihre Partei setzt sich für Marktöffnung ein. Wie passt zu Bestrebungen beim Grenzschutz?

Martin Rufer: Wir müssen aufzeigen, dass die Landwirtschaft Teil der Wirtschaft ist und mit der Lebensmittelproduktion eine wichtige Aufgabe erfüllt. Grenzschutz ist ein anerkanntes und wichtiges agrarpolitisches Instrument, das wird verstanden. Wir haben kaum dahingehende Diskussionen, dass der Grenzschutz abgebaut oder die Landwirtschaft in Freihandelsabkommen vorgeschoben werden sollte. Wir wollen unsere Marktanteile ausbauen. Das ist gleichbedeutend mit höherem SVG, wird in Wirtschaftskreisen aber besser verstanden.

Markus Ritter: Heute geht es besser, weil die Koalition des SBV mit der Wirtschaft ein anderes Verständnis in den bürgerlichen Parteien geschaffen hat. Es gibt einen fachlichen Austausch, was sehr wertvoll ist und ich als Meilenstein sehe.

Neben Markt und Politik beschäftigt der administrative Aufwand. Digiflux soll ihn reduzieren, heisst es. Könnte man dieses Ziel mit den nötigen Anpassungen erreichen?

Martin Rufer: Jetzt ist die Stossrichtung, Digiflux mit der Motion aus dem Ständerat deutlich zu vereinfachen. Es ist unser Plan, diesen Vorstoss zu nutzen, um Digiflux auf ein praxistaugliches Niveau zu bringen. Wenn das nicht gelingt, liegen bereits andere Vorstösse auf den Tisch, um das Ganze zu stoppen. Der schnellste Weg zur Vereinfachung der Meldepflicht wäre eine bundesrätliche Verordnung, daran arbeiten wir jetzt.

Könnte Digiflux auch Vorteile haben?

Martin Rufer: Die Offenlegung bei Pflanzenschutzmitteln würde zeigen, welcher Teil der 2000 t jährlichen Verkaufsmenge in Gartenbau oder Baubranche zum Einsatz kommen. Diese Transparenz wäre ein Vorteil, denn ich bin mir sicher, dass ein guter Teil dieser 2000 t, die man uns immer in die Schuhe schiebt, ausserhalb der Landwirtschaft eingesetzt wird.

Markus Ritter: Ich habe da vor allem auch Golfplätze und die SBB im Visier.

Die Proteste haben Unzufriedenheiten gezeigt. Wenn eine Bauernfamilie Missstände oder Probleme feststellt – an wen soll sie sich wenden?

Markus Ritter: Mir kann jeder schreiben, aber meistens hilft es, stufengerecht vorzugehen und beim kantonalen Verband anzufragen. Eine Beratung kann sinnvoll sein. Der nähere Weg hat Vorteile gegenüber dem Weg, sich an den nationalen Verband zu wenden, da andere näher am Einzelfall dran sind.

Sie haben Ihren Rücktritt angekündigt. Was möchten Sie bis 2028 noch erreichen?

Markus Ritter: In Absprache mit der Kantonalpartei werde ich das SBV-Präsidium als amtierender Nationalrat weitergeben, also 2027 nochmals fürs Parlament kandidieren. Inhaltlich wird die AP 2030 ein politisches Erbe für unsere Kinder. Darauf arbeiten wir hin – neben allen anderen Projekten.

Im Moment haben wir die Kraft, um das im Sinne der Bauernfamilien umzusetzen. Daher ist es so wichtig, die Parlamentswahlen 2027 zu gewinnen. Es ist alles darauf ausgerichtet, dass ich die Zügel im Parlament so halten kann, dass in der Gesetzgebung zur AP 2030 unsere Argumente mit Nachdruck eingebracht werden können.