Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich vor zwanzig Jahren meinen Mann kennenlernte. Schon immer war es mein Traum gewesen, einen Bauern zu heiraten. Als Kind fuhr ich jedes Wochenende aus der Stadt hinaus aufs Land zu meiner Grossmutter, welche einen Bauernhof hatte.
Knapp ein Jahr nachdem wir uns kennengelernt hatten, heirateten wir. Das erste Kind war unterwegs. Daraufhin folgten zwei weitere Töchter. Alle drei gesunde, hübsche und pflegeleichte Mädchen. Dazwischen hatte ich allerdings eine Fehlgeburt. Da fing die Abwärtsspirale an. Meine Schwiegereltern liessen verletzende Bemerkungen fallen. «Schon wieder ein Mädchen», sagten sie. «Wann folgt endlich ein Junge?», fragten sie.
Nach der Fehlgeburt fiel ich in ein seelisches Loch. Ich war unendlich traurig. Mein Mann meinte dazu nur, dass bei den Kühen auch nicht jedes Kalb lebend zur Welt kommt.
«Er schlug mich. Zweimal.»
Im siebten Ehejahr schlug mich mein Schwiegervater zum ersten Mal. Ich hatte seine Anweisungen nicht befolgt, da mir mein Mann andere gegeben hatte. Als mein Schwiegervater mit seinen Beschimpfungen nichts erreichte, schlug er mich mit der Faust in die Brust. Zweimal. Mein Mann stand daneben, drehte sich um und ging weg. Alle drei Mädchen waren zugegen. Die jüngste, dreijährig, ging dazwischen und trat den Grossvater ins Schienbein. «Lass Mami in Ruhe!» Am Abend stellte ich meinen Mann zur Rede. Ich fragte ihn, wieso er nicht eingeschritten sei. Ich wäre doch seine Frau und im Recht gewesen. Ich war aufgebracht und drohte mit den Kindern auszuziehen.
Damals fielen die Worte, welche mich weitere zwölf lange Jahre an meinen Mann fesselten. Er entgegnete kalt: «Dann geh doch! Die Kinder behalte ich! Du bekommst sie nie!» Sie würden ihm sonst nichts nützen, da sie ihm auf dem Betrieb nicht mithelfen könnten. Sowieso würde er mir keinen Rappen Unterhalt bezahlen. Er wisse schon, wie er es anstellen müsse. Ich hatte Angst, meine Mädchen zu verlieren. Darum zog ich den Kopf ein und blieb.
Mistgabel hinterher werfen
Morgens um fünf Uhr ging ich jeweils in den Stall und erledigte die Arbeiten so, wie es mir mein Mann gezeigt hatte. Um sechs Uhr folgte der Schwiegervater und machte die gleichen Arbeiten nochmals. Aber so, wie er es für richtig hielt. Um sieben Uhr kam dann mein Mann in den Stall und erledigte die Arbeiten wiederum so, wie er es mir gezeigt hatte. Die gleiche Arbeit wurde dreimal erledigt.
Nach einem Jahr hin und her warf ich den Bettel hin. Ich beschloss, erst wieder mitzuhelfen, wenn sich die zwei geeinigt haben, wie die Arbeiten ausgeführt werden müssen. Danach begann mein Schwiegervater, mir den Besen, die Mist- oder die Heugabel nachzuwerfen, wenn ich ihm im Stall begegnete. Die Kinder warnten mich, wenn er kam. «Mami lauf weg, Grossvater kommt!» Meinen Mann interessierte es nicht. Er tat nichts dagegen.
Weil meine Schwiegermutter auch im Garten ständig etwas an meiner Arbeit auszusetzen hatte, fing ich mit der Zeit an, abends im Schein der Taschenlampe weiter zu jäten. Bis ich vom Rufen meines Mannes unterbrochen wurde, weil die Windel bei einem der Mädchen gewechselt werden musste.
Das Bankcouvert bleibt zu
Die täglichen seelischen Belastungen hinterliessen Spuren. Die letzten fünf Jahre durfte ich nicht mehr mit an die Viehschau. «Eine kranke Kuh bleibt auch zu Hause», entschied mein Mann.
An mich adressierte Couverts der Bank musste ich ungeöffnet auf seinen Bürotisch legen. «Du machst sonst ein Durcheinander. Die Büroarbeit ist kompliziert und mühsam.» Also hielt ich mich daran. Meine Unterschrift auf Formularen forderte er diskussionslos ein. Nachfragen nützte nichts. Entweder eilte es oder er meinte «davon verstehst du nichts». Ich vertraute ihm. Wir waren schliesslich verheiratet. Später fand ich heraus, dass er viel Geld in dubiose Geschäfte investiert hatte und dass er von meinem früheren Konto laufende Rechnungen bezahlt hatte. Ohne mein Wissen. Auf dem Computer, auf welchen ich keinen Zugriff hatte.
Mutig bat ich ihn einmal, ob er mir nicht ein wenig Lohn bezahlen könnte. Seine Antwort: «Wozu? Du hast Kost und Logis und erst noch eine schöne Aussicht!»
Jahrelang rieten mir meine Ärzte, der Pfarrer und andere Personen, die informiert waren oder die ich um Rat gefragt hatte, dass ich mich unbedingt trennen müsse. Ich würde meine seelische Gesundheit ruinieren.
Lange im Vorfeld mit den Behörden geplant
Tatsächlich lebe ich heute getrennt von meinem Mann. Die Kinder und ich zogen heimlich aus, als mein Mann nicht zuhause war. Von langer Hand genau geplant und vorbereitet. Mithilfe der Behörden.
Wie sich später heraus stellte, war das kurz vor der Pandemie. Damit hatten wir vier neben dem neuen Wohnort, der finanziellen Unsicherheit auch noch eine lebensbedrohliche Situation. Als Risikopatientin durfte ich unmöglich an Corona erkranken. Anstatt dass ich zur Ruhe gekommen wäre, tauchten neue Probleme auf. Nun warte ich auch noch nach über zwei Jahren Trennung auf das Urteil und die Alimente. Gelegentlich begegne ich ehemaligen Berufskollegen und -kolleginnen, winke ihnen zu. Sehr selten winken sie zurück. Auch von ihnen werde ich wie Luft behandelt.
Die Lehren aus dem Krieg
Eine Frau, die den Betrieb verlässt, verliert nicht nur ihr Zuhause, den Hof, die Tiere, ihren Garten, ihre Blumen. Ich habe in mehrfacher Hinsicht verloren. Während der zwanzig Jahre, in denen ich gratis gearbeitet habe, konnte ich keine Altersvorsorge aufbauen. Ich war finanziell abhängig, wurde belogen und betrogen. Nie ein Wort der Wertschätzung.
Könnte ich die Zeit zurückspulen, würde ich mein eigenes Konto nicht aus der Hand geben, würde auf meinen Lohn bestehen und mir viel früher Hilfe suchen. Der Beratungsdienst des hiesigen Bauernverbandes hat mich zwar in vielerlei Hinsicht beraten und informiert, aber mein Leben habe ich mir definitiv anders vorgestellt.
Schicksalsgeschichten: Erzählen Sie uns von Ihrem Leben!
Im Rahmen unserer Schicksalsserie lassen wir Personen mit bäuerlichem Hintergrund über schwierige und emotionale Themen sprechen, die unsere Leserschaft und Personen ausserhalb der Landwirtschaft beschäftigen. Dabei diskutieren wir Themen wie Generationenkonflikte, Fehlgeburten oder Todesfälle in der Familie. Aber wir möchten auch erfreuliche Erlebnisse teilen, so wie aussergewöhnliche Liebesgeschichten, Überraschungen im Stall oder Glücksfälle. Wir haben dieses Gefäss eröffnet, weil wir es wichtig finden, auch tabuisierte Themen anzusprechen und den Dialog darüber zu erleichtern.
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Sind Sie in seelischer Not?
Wenn Sie seelische Unterstützung suchen, können Sie sich beim Bauernverband Ihres Kantons melden. Der St. Galler Bauernverband bietet beispielsweise den Beratungsdienst «Offni Tür» an. Auf der Website schreibt der St.Galler Bauernverband: «Das heutige wirtschaftliche Umfeld ist hektisch und anspruchsvoll. Dieses belastet viele Bauernfamilien in finanzieller und vermehrt auch in menschlicher Hinsicht. Befinden sich Bäuerinnen oder Bauern in schwierigen Situationen, beispielsweise bei Partnerschaftsproblemen, bei finanziellen Problemen, bei Generationsproblemen oder bei anderen familiären Problemen, kann das Landwirtschaftliche Zentrum St. Gallen Unterstützung bieten. Die Vertraulichkeit ist dabei gewährleistet.»
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