Es begann Mitte der 1980er-Jahre und war für mich wie ein Märchen. Ich war zu Besuch in Leibstadt AG bei einem Ehepaar, deren kleinen Sohn Michael ich schon öfter betreut hatte. Auf Michaels Wunsch gingen wir alle zur Samichlaus-Feier in die Gemeindehalle.

Prachtexemplar von Mann

Die Dorfkapelle spielte – und ehrlich, welcher Mann sieht in Uniform nicht umwerfend aus? Eines dieser Prachtexemplare kam zu uns an den Tisch und verwickelte den Vater von Michael in ein Gespräch. «Der kam nur wegen dir», meinte dieser anschliessend. «So ein Quatsch», winkte ich ab.

Der erste Kuss

Silvester verbrachten wir wieder in der Gemeindehalle. Ich fühlte mich einsam, falsch angezogen und fehl am Platz. Allein sass ich da, während alle tanzten. Doch als es Mitternacht schlug, wurde ich von hinten sanft berührt und auf die Wange geküsst: der Mann von der Dorfmusik. Er hiess Josef und später bat er um einen Tanz und dann um ein Wiedersehen.

Altersunterschied machte zu schaffen

Nicht jedes Märchen führt gleich zu einem Happy End. Wir kämpften lange Zeit gegen unsere Gefühle. Denn es gab einen Altersunterschied, der mir zu schaffen machte. Ich war 40 Jahre alt, nicht katholisch, geschieden und Mutter einer 18-jährigen Tochter. Er war 29 Jahre alt.

Schräg angesehen

Ich wurde in Leibstadt schräg angesehen und mir wurde gar unterstellt, ich sei nur auf Josefs Geld aus. Trotz allen Widerständen gefielen mir seine ruhige, reife Art und sein Beruf: Josef war Bauer. Sieben Jahre später haben wir schliesslich geheiratet.

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Ich bin im Tösstal aufgewachsen und war am liebsten bei den benachbarten Bauern. Als meine Familie in die Stadt Winterthur zog, bin ich fast «verrebelt». Mir fehlte das Landleben. Meine Eltern erlaubten es mir daher oft, die Ferien auf einem Bauernhof zu verbringen.

Studieren? Nur der Bruder

Nach der Schule wollte ich studieren, doch das durfte damals nur mein Bruder. Daher lernte ich Fremdsprachensekretärin. In der Schweiz hatte ich als Frau kaum Aufstiegschancen. Also ging ich nach Deutschland, wo berufstätige Frauen selbstverständlicher waren.

Dort lernte ich meinen ersten Mann kennen und bekam eine Tochter. Die Ehe zerbrach, aber beruflich lief es gut für mich. Ich blieb 20 Jahre im Nachbarland. In der Schweiz, wo all meine früheren Schulkolleginnen inzwischen Hausfrauen waren, fühlte ich mich hingegen als Exotin: Vollzeit berufstätig und erst noch geschieden.

Schwierige Familiensituation

Ich kam wegen Josef zurück in die Schweiz. Er führte in Leibstadt einen Milchwirtschafts- und Ackerbaubetrieb, den er von seinem Vater übernommen hatte. Doch gewohnt hat er im Dorf, da die Familiensituation schwierig war. Neben dem Betrieb übernahm er Lohnarbeiten und hat sich dabei auf Kartoffeln spezialisiert.

Aus der Not gründete Josef die erste Betriebsgemeinschaft in Leibstadt. Denn Pachtland bekam er in Leibstadt keines, er galt als «Fremder», obwohl er den Hof schon in der dritten Generation bewirtschaftete.

Liebe zur Landwirtschaft

Ich fand hier eine 80-Prozent-Stelle und half auf dem Hof überall mit, etwa beim Heuen und «Herdöpfeln». Ich ging jeden Abend nach der Büroarbeit in den Stall und übernahm auch den «Nachtdienst», wenn eine Kuh kalbte. Nur gemolken habe ich nie.

Zum Znachtkochen kam ich oft erst gegen 20 Uhr. Es waren lange Tage, doch mir gefiel es. Ich war früher 15-mal umgezogen und fühlte mich nun angekommen. Doch das war noch nicht das Happy End, ganz im Gegenteil.

Harte Diagnose

Einige Zeit vor unserer Heirat hatte ich einen schweren Autounfall. 1992, zwei Monate nach der Hochzeit, bekam ich bei einer Nachkontrolle die Diagnose Knochenkrebs. Die Ärzte gaben mir eine Überlebenschance von fünf Prozent.

Ich überlebte, doch mir musste rechts das Schultergelenk und der Oberarmknochen entfernt werden. Da es mit den Implantaten Komplikationen gab, lernte ich mühsam, ohne sie zu leben. Heute bin ich dankbar, dass ich immerhin die Finger wieder bewegen und sogar lismen kann.

IV-Rentnerin nach langem Kampf

Durch meine Krebserkrankung konnte ich nicht mehr arbeiten und war auf eine IV-Rente angewiesen. Ich bekam sie erst nach sieben Jahren Kampf und nachdem ich den «Beobachter» eingeschaltet hatte.

Zu den Lichtblicken in dieser schweren Zeit gehörten unsere Beagles. Wir begannen die Hunde hobbymässig zu züchten. Beagles wurden unsere grosse Leidenschaft. Über die Tiere entstanden viele schöne Kontakte und Freundschaften, bis nach Hamburg (D), Kassel (D) und Wien (A).

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«Beagles in Not» gegründet

Da Beagles damals in der Schweiz überzüchtet waren, gründeten wir 2005 die «Beagle-Gesellschaft Schweiz» und züchteten nach «Certodog»-Richtlinien. Zudem rief ich die Organisation «Beagles in Not» ins Leben.

Über 80 Beagles gingen durch unsere Hände. Wir prüften jeden neuen Hundebesitzer persönlich auf Herz und Nieren, bevor wir ein Tier weitergaben. Einen eigenen Hund haben wir seit letztem Jahr altersbedingt nicht mehr. Aber ich kann bis heute nicht an einem Beagle vorbei gehen, ohne das Gespräch mit dem Besitzer zu suchen.

Kampf mit der Krankheit

1996 kam der nächste Schicksalsschlag: Bei Josef wurde Hodenkrebs diagnostiziert. Er hatte bereits gestreut. Dabei wollten wir endlich wieder Pläne schmieden. Josef kämpfte sich durch die Krankheit, doch auch er konnte nicht mehr voll arbeiten. Wir wussten oft nicht, wie es weiter gehen sollte und ob wir den Hof bis zur Pensionierung halten konnten.

In dieser Zeit waren wir viel in einer kleinen Ferienwohnung im bernischen Faulensee. Hier konnten wir Kraft tanken. Oft war mein Vater dabei, auch er fühlte sich hier sehr wohl. Wir wurden in der Region von Anfang an freundlich aufgenommen und Josef knüpfte auf den Hundespaziergängen viele neue Kontakte. Wir fühlten uns im Berner Oberland mehr zu Hause als je in Leibstadt.

Endlich angekommen

Ein ortsansässiger Bauer erzählte uns von einer Bauparzelle in Faulensee – mit Seesicht. Traumhaft – doch wie sollten wir es uns leisten können, hier etwas zu bauen? Mein Vater sprang ein. Zu meiner Überraschung hatte er einen heimlichen «Sparstrumpf» und war bereit, bei der Finanzierung des Hauses zu helfen.

Seit 11 Jahren an diesem schönen Ort

Unser Happy End kam spät. Doch wir sind dankbar, dass wir soweit fit sind und seit elf Jahren gemeinsam an diesem schönen Ort leben dürfen. Im letzten August musste ich wegen einer Lungenerkrankung sechs Wochen ins Spital. Seither kommt die Spitex täglich zur Pflege und hilft alle zwei Wochen beim Haushalten.[IMG 2]

Engadin steht auf der Wunschliste

Seit Covid am Zurückgehen ist, versuchen wir trotzdem jeden Monat, zwei, drei Tage wegzufahren und neue Regionen zu entdecken. Kürzlich waren wir in Yverdon-les-Bains. Das Engadin steht noch auf unserer Wunsch-Reiseliste.

Neue Rezepte ausprobieren

Wir kochen viel zusammen, probieren gerne neue Rezepte aus. Aber Tomatenspaghetti mit Hackfleisch kommt fast jede Woche auf den Tisch.

Wir trauern Leibstadt und der Landwirtschaft nicht nach. Wir haben unser Daheim, unsere Wahlfamilie und ein kleines Gärtchen mit Beeren und Salat im Hochbeet.

Schicksalsgeschichten: Erzählen Sie uns von Ihrem Leben!

Im Rahmen unserer Schicksalsserie lassen wir Personen mit bäuerlichem Hintergrund über schwierige und emotionale Themen sprechen, die unsere Leserschaft und Personen ausserhalb der Landwirtschaft beschäftigen. Dabei diskutieren wir Themen wie Generationenkonflikte, Fehlgeburten oder Todesfälle in der Familie. Aber wir möchten auch erfreuliche Erlebnisse teilen, so wie aussergewöhnliche Liebesgeschichten, Überraschungen im Stall oder Glücksfälle. Wir haben dieses Gefäss eröffnet, weil wir es wichtig finden, auch tabuisierte Themen anzusprechen und den Dialog darüber zu erleichtern.

Möchten auch Sie Ihre Geschichte mit uns teilen? Über das untenstehende Formular können Sie uns kontaktieren. Wir werden uns so bald als möglich mit Ihnen in Verbindung setzen.[IMG 5]

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