Es muss irgendwann im Jahr 1960 oder 1961 gewesen sein. Ich war damals sieben oder acht Jahre alt. Meine vier Schwestern und ich sind im luzernischen Rippertschwand aufgewachsen. Wir waren eine fröhliche Kinderschar, die sich auf unserem schönen Hof tummelte – immer wieder gab es Neues zu entdecken und zu bestaunen. An jenem milden Frühlingstag nahmen wir uns die Erkundung der neuen imposanten Betonsilos unseres Nachbarn vor.

Die Neugier führte ins Silo

Voller Neugierde rannten wir die Einfahrt empor und streckten unsere Köpfe in das leere Silo. Acht Meter hoch, drei Meter Durchmesser. Ich weiss noch genau, wie fasziniert ich von diesem immensen Hohlraum war.[IMG 2]

Hoch über unseren Köpfen war der Silodeckel durch eine Eisenstange fixiert. Und auf dem massiven Eisenring war ein grosses Blechdach aufgeschweisst. Unvorsichtig, wie wir waren, stiess meine Schwester plötzlich an die Eisenstange und so fiel der grosse Deckel mit einem heftigen Knall in die Tiefe.

Wie eine aufgescheuchte Hühnerschar rannten meine Mitentdeckerinnen in alle Richtungen davon – nur ich blieb zurück, mit dem Kopf, im wahrsten Sinne des Wortes, noch im Silo.

Jemand fehlte

Die ältere Frau in Nachbars Garten schaute dem ganzen Geschehen aus einiger Entfernung zu. Sie rief die Kinder zurück und bemerkte schnell, dass noch jemand aus der Kinderschar fehlte.

Da kam auch schon meine Schwester daher geeilt, hob den schweren Deckel hoch und befreite mich aus der misslichen Lage. Ohne ein Wort rannte ich nach Hause und direkt unter die Bettdecke. Obwohl mir nichts zugestossen ist, stand ich unter Schock.

«Ich bin knapp davongekommen»

Mit nur einer kleinen Schwellung im Genick bin ich damals davongekommen. Meine Schwester, die die Hände noch auf dem Silorand hatte, als der Deckel zufiel, kam zum Glück auch nur mit leichten Schürfungen davon. Rückblickend war es ein Wunder, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Bemerkenswert ist, dass auf dem Nachbarhof in den Jahren 1756-1832 der fromme Diener Gottes Niklaus Wolf von Rippertschwand lebte. Eigentlich glaube ich nicht an Wunder. Oder doch?

Früher lebte dort ein Heiler

Niklaus Wolf von Rippertschwand war gemäss Wikipedia ein römisch-katholischer Landwirt, Politiker und frommer Heiler aus dem Kanton Luzern. Als Bauer studierte und erprobte er neue Methoden der Landwirtschaft und unterrichtete seine Kinder selbst. Von 1803 bis 1805 war Wolf Mitglied des Grossen Rates in Luzern, zog sich jedoch zurück, da er sich gegenüber dem dort herrschenden antireligiösen Geist machtlos fühlte. Von 1809 bis 1811 war Niklaus Wolf Gemeindevorsteher von Neuenkirch. Um 1805 entdeckte er bei sich die Gabe der Krankenheilung und konnte in der Folge auffällig vielen Kranken helfen. Mit 50 Jahren übergab er daher den Hof seinem Sohn Johann, um sich ganz diesem Dienst zu widmen. Seine Neider erwirkten, dass ihm 1815 von staatlicher und kirchlicher Seite verboten wurde, Kranke zu heilen. Auf Drängen des Volkes wurde dieses Verbot allerdings im folgenden Jahr aufgehoben. So erhielt Wolf von seiner Kirche die Erlaubnis zur Krankenheilung und Unterweisung des Volkes.

Schicksalsgeschichten: Erzählen Sie uns von Ihrem Leben!
Im Rahmen unserer Schicksalsserie lassen wir Personen mit bäuerlichem Hintergrund über schwierige und emotionale Themen sprechen, die unsere Leserschaft und Personen ausserhalb der Landwirtschaft beschäftigen. Dabei diskutieren wir Themen wie Generationenkonflikte, Fehlgeburten oder Todesfälle in der Familie. Aber wir möchten auch erfreuliche Erlebnisse teilen, so wie aussergewöhnliche Liebesgeschichten, Überraschungen im Stall oder Glücksfälle. Wir haben dieses Gefäss eröffnet, weil wir es wichtig finden, auch tabuisierte Themen anzusprechen und den Dialog darüber zu erleichtern.

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Bisher erschienene Teile der Serie: 

Teil 1, Christian Siegenthaler: «50 Jahre mit der Krankheit leben»
Teil 2, Doris Zwischenbrugger: «Ich bin allmählich angekommen»
Teil 3, Andrea Joss: Eine Bäuerin geht – und kehrt zurück
Teil 4, Gertrud Zumsteg: Spätes Happy-End im Oberland