Am Mittwoch, 8. Dezember 2021, wird der legendäre Alois Wyss nach über 60-jähriger Tätigkeit als Gant­rufer in Thun verabschiedet. Auch wird er dort seine letzte Auktion abhalten. «Ich freue mich auf diese neue Herausforderung», sagt Oehrli. Er kenne Alois Wyss schon lange und dieser sei persönlich auf ihn zugekommen, um ihm den «Gantrufer-Posten» schmackhaft zu machen. Ob er für Auktionen oder Versteigerungen gebucht werde, könne er nicht sagen. «Angebot und Nachfrage regeln hier den Markt», hält er fest. Die Viehversteigerungen in Thun werde er aber schon jetzt durchführen.

[IMG 5]

Eigener Betrieb im Berner Oberland

Leicht ist er nicht zu finden, der Betrieb von Familie Ferdinand und Barbara Oehrli in Reust. Eingebettet zwischen Wäldern und sanften Hügeln liegt er am Fusse des Sigriswilergrats in der Gemeinde Sigriswil im Berner Oberland. Oehrlis bewirtschaften diesen Bergbauernbetrieb erst in der dritten Generation. «1939 haben meine Grosseltern hier mit 1,5 Hektaren Land, einer Kuh, einem kranken Rind und einem Kalb angefangen», erzählt Ferdinand Oehrli. Heute bewirtschaftet die Familie 32 Hektaren LN; sie sind beteiligt an der Berggenossenschaft Tüelboden und melken zwischen 25 und 35 Kühe. Neben dem Betriebsleiterehepaar packen auch die drei Kinder sowie Elisabeth Oehrli, die Mutter von Ferdinand, im 3-Generationen-Familienbetrieb mit an.

[IMG 3]

Es wird lauter am Tisch

Die ganze Familie sitzt an diesem Samstagmorgen als die BauernZeitung zu Besuch ist, am Frühstückstisch. Neben Ferdinand und Barbara Oehrli sind auch ihre Kinder Florian, Linda und Severin dabei. Es wird gelacht und diskutiert, vor allem bei einem Thema sind die Meinungen gemacht, denn alle in der Bergbauernfamilie sind begeisterte Viehzüchter. Im Stall stehen sage und schreibe vier Rassen: Red Holstein, Holstein, Swiss Fleckvieh und Simmentaler. «Mein Herz schlägt halt für die rote und die schwarze Kuh», lacht Barbara Oehrli. Auch die Kinder begeistern sich für diese Rassen. Am Frühstückstisch wird es dann aber lauter, als Ferdinand Oehrli gesteht, dass er doch eher für die Simmentaler und das Swiss Fleckvieh schwärme. «Diese zwei Rassen wären eigentlich ideal für unseren Betrieb», sagt der Meisterlandwirt. Um dann noch schnell anzufügen, dass es doch bei allen Rassen problemlose Kühe gebe.

Die Kälbermast ist vorbei

Nicht nur, dass der erfolgreiche Zuchtbetrieb vier Rassen beherbergt, sondern, dass das Ökonomiegebäude auch zwei Kilometer vom Wohnhaus entfernt liegt, macht den Betrieb speziell. Spezieller ist noch, dass man mit der Milch drei Generationen lang Kälber gemästet hat. Mit diesem Betriebszweig ist nun Schluss: Seit dem 1. September wird die Milch alle zwei Tage via Sammelstelle an die Aaremilch geliefert. «Die Kälbermast ist eine grosse Herausforderung», begründet Ferdinand Oehrli den Wechsel. «Hast du viel Milch, brauchst du viele Kälber», doppelt seine Frau Barbara nach.

[IMG 4]

Viel Geld ist im Umlauf

Es gab Zeiten, wo man für den Kälberkauf Zehntausende Franken im Umlauf hatte. Dieses Geld musste man zuerst verdienen und ob man es später wieder reinholte, hing von vielen Faktoren ab. Kälber aus verschiedenen Betrieben, Kälber mit verschiedenen Immunsystemen – beim Einstallen sei der Infektionsdruck enorm hoch. «Bis zur Schlachtung war es immer eine grosse Herausforderung, die Kälber ohne grosse Verluste oder ohne Tierarztbesuche über die Runden zu bringen», so Oehrlis. Starb nur ein Kalb pro Umtrieb, war das Geschäft gemacht. Das Fass zum Überlaufen brachte aber, als Oehrli den Milchpreis genau unter die Lupe nahm. «In den letzten drei Jahren realisierten wir in der Kälbermast einen Milchpreis zwischen 32 und 38 Rappen», sagt der Landwirt enttäuscht. Er stelle immer wieder fest, dass Landwirte in der Kälbermast viel mit geschätzten und nicht mit effektiven Zahlen rechnen würden. Auch müsse man entsprechende Informationen der Kraftfutterfirmen genau analysieren.

Warum weiter melken?

Warum habe man mit der Milchproduktion dann nicht gleich aufgehört? «Auf keinen Fall», tönt es prompt aus jeder Ecke. «Mutterkühe? Nein, das ist nichts für uns», doppeln Florian und Severin nach. Man liebe die Kühe zu sehr, sei Viehzüchter durch und durch: Vom Kalb bis zur Kuh, von der Viehschau bis zur regionalen Ausstellung – Zucht sei emotional und spannend, das könne man nicht einfach von Heute auf Morgen aufgeben. Beim Betriebsrundgang wird klar, warum Oehrlis bei der Zucht ins Schwärmen kommen: Die 30 Kühe auf der Weide befinden sich im «Sonntagskleid». Hier eine Augenweide von Talent, dort eine super aufgeeuterte Kuh von Spezi und da eine Bombe von Odyssey – die jahrelange Zuchtarbeit kann sich wirklich sehen lassen. Vor allem mit ihren hervorragenden Typ- und Eutereigenschaften stechen einem die Kühe ins Auge. «Wir wollen eine marktgängige Kuh, mit tiefen Zellzahlen, gutem Exterieur und hohen Inhaltsstoffen züchten», sagt Ferdinand Oehrli.

[IMG 2]

Ein wichtiges Standbein

Da der Betrieb jährlich gegen 15 Zucht- und Nutzkühe verkauft, weiss der Landwirt was der Handel verlangt. «Eigentlich strebe ich eine hochgekreuzte SF-Kuh an», hält er fest. Immer noch genug Substanz, mit einer guten Fruchtbarkeit und viel Milch. «Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig war, das Herdebuch der SF-Rasse zu schliessen und keine RH-Stiere mehr einzusetzen», so der Züchter. Daher wird auf dem Betrieb Oehrli auch nicht unbedingt rassentreu besamt. Power, Jordy, Bad, Swat, Orlando, Amur sowie ein SF-Stier im Natursprung seien zurzeit die meisteingesetzten Stiere. Mit dieser Zuchtstrategie scheint die Züchterfamilie auf jeden Fall Erfolg zu haben, ein Erfolg, von dem auch die nächste Generation profitieren wird.

Betriebsspiegel Familie Oehrli

Name: Ferdinand und Barbara Oehrli mit den Kindern Linda, Florian und Severin. Sowie Elisabeth Oehrli, die Mutter von Ferdinand
Ort: Reust
LN: 32 ha
Viehbestand: 25 bis 35 Kühe, plus Nachzucht