Angesichts der laufenden Krisen sind die Lebensmittelversorgung und -sicherheit wieder zu Modethemen geworden. Allerdings kann diese Sicherheit ohne die Versorgung mit Saatgut nicht gewährleistet werden. Bei Brotgetreide besteht die Palette der bei uns angebauten Sorten zum grössten Teil aus Schweizer Züchtungen, die auf den hiesigen Markt zugeschnitten sind. Tatsächlich stammen die Brotweizensorten bis auf einige wenige Ausnahmen alle aus der Züchtung von Agroscope-Delley Samen und Pflanzen AG. Die Schweiz ist somit in der Lage, eigenständig Sorten zu züchten, die an unsere Bedingungen angepasst sind. Und dank unserer Marktordnung kennen wir in der Schweiz keine Dominanz der grossen Saatgutkonzerne – bei den Ackerkulturen ist die Saatgutbranche vollständig in bäuerlichen Händen.

Die Karten werden neu gemischt

Aktuell werden die Karten in ebendiesen bäuerlichen Händen durch die Regeln der Agrarpolitik sowie durch das Verordnungspaket der Parlamentarischen Initiative 19.457 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» neu gemischt. Grund dafür ist die Bedrohung des Klimawandels für die Landwirtschaft sowie die geänderte Wahrnehmung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich gegenüber dem Naturschutz zugespitzt hat.

Die Landwirte reagieren darauf und planen ihre Fruchtfolge auf der Grundlage der erwarteten wirtschaftlichen Ergebnisse. Dies hat aber zur Folge, dass die Rentabilität der Saatgutproduktion im Vergleich zur extensiven und Labelproduktion von Brotweizen seit mehreren Jahren unzureichend ist.

Zuckerfabriken und die verarbeitende Industrie suchen Produzent(innen)

Die oben erwähnten neuen Regeln verschärfen diese Problematik. Dies führt schlussendlich zu einem Wettbewerb um die Anbauflächen: Abnehmer von Labelgetreide suchen nach Produzenten, aber auch die kartoffelverarbeitende Industrie oder die Zuckerfabriken, um nur einige bekannte Beispiele zu nennen. Die Produzenten sind von dieser Konkurrenz betroffen. Sie eröffnet ihnen aber auch Möglichkeiten, die bislang nicht existierten. So können sie zum Beispiel auf die Produk­tion von Pflanzgut verzichten und anstelle dessen Industriekartoffeln anbauen. Während der Handel und die Industrie bisher zögerten, neue Produzent(innen) anzu­werben, suchen sie nun aktiv nach ihnen: Die Vermehrungsorganisationen müssen feststellen, dass ihre Vermehrungsflächen langsam erodieren.

Die Rahmenbedingungen der Produktion werden sich weiterhin verändern. Die hohen Anforderungen an die Reinheit und Qualität des Saatguts bleiben aber bestehen. In diesem Sinne sind sie weniger gut mit einer extensiven Produktionsweise vereinbar. Zudem nimmt die Politik nicht allzu viel Rücksicht, wenn es darum geht, neue Kriterien durchzusetzen. Doch wenn man in der Landwirtschaft ein Puzzleteil verschiebt, gerät das ganze Bild in Bewegung.

Die staatlichen Eingriffe zur Förderung extensiverer Produktionsmethoden werden unweigerlich zu einer Verschlechterung der Anbaubereitschaft in der Saat- und Pflanzgutproduktion führen. Wie kann ein Gleichgewicht mit der Produktion von Brot- und Futtergetreide hergestellt und damit die Versorgung mit einheimischem Saatgut gewährleistet werden? Die Preiserhöhungen für Saatgut können nur zu einem gewissen Ausmass gerechtfertigt werden und richten sich gleichzeitig gegen unsere eigenen Kollegen. Ist sich der Staat dessen bewusst und bereit, den Preis für seine Eingriffe zu zahlen? Mit der Antwort darauf werden wir den wahren Wert der Ernährungssicherheit kennen.