Als die BauernZeitung vor wenigen Wochen über den Fehlalarm auf dem Getreidemarkt berichtete, war die Verunsicherung gross: Hatte die Branche mit falschen Zahlen operiert? War die Anbaufläche von Getreide und Ölsaaten tatsächlich rückläufig – oder nicht? Unterschiedliche Meldungen sorgten für Verwirrung. Grund genug, die Abläufe hinter den Ernteschätzungen genauer zu beleuchten.
Wer erstellt die Schätzungen?
Eine erste Frage drängt sich auf: Wer ist eigentlich für die Ernteschätzungen zuständig? Die Antwort fällt klar aus. Sämtliche Schätzungen stammen von Agristat, dem statistischen Dienst des Schweizer Bauernverbands. Im Auftrag von Swissgranum erstellt Agristat jährlich die Zahlen zu Anbauflächen und Erntemengen von Getreide, Ölsaaten und Eiweisspflanzen. Swissgranum publiziert die Berichte und gibt sie per Medienmitteilung in die Branche. «Es gibt also nur eine einzige gemeinsame Ernteschätzung von Agristat und Swissgranum», betont Swissgranum-Direktor Stephan Scheuner. Alles andere sei eine Fehlinterpretation.
Auf welchen Daten beruhen die Zahlen?
Die nächste Frage lautet: Worauf stützen sich diese Prognosen? Grundlage sind Saatgutverkäufe, Stichprobenerhebungen bei rund 1000 Produzenten sowie die Ergebnisse der eidgenössischen Betriebsstrukturerhebung. Ergänzt werden diese Angaben durch klimatische Bedingungen bei der Aussaat, Restbestände an Saatgut oder die Flächen der Vorjahre.
Doch die verfügbaren Daten bestimmen, wie präzise eine Schätzung sein kann. Für die zweite Schätzung im Mai 2025 lagen lediglich die Strukturdaten des Bundesamts für Statistik von 2024 sowie die Saatgutverkäufe vor. Erst Ende Juli kamen die AGIS-Daten des Bundesamts für Landwirtschaft hinzu – basierend auf den Direktzahlungsanmeldungen der Landwirte. Auf dieser Grundlage überprüfte Agristat die Mai-Schätzung und stellte fest, dass die Flächenentwicklung nicht den Prognosen entsprach. «Hier war eine Fehlinterpretation passiert», erklärt Stephan Scheuner gegenüber der BauernZeitung.
Was würde die Genauigkeit verbessern?
Die entscheidende Frage lautet daher: Wie könnten die Schätzungen verlässlicher werden? Stephan Scheuner sieht den Schlüssel bei den Datenflüssen: «Für eine genauere Ernteschätzung wären früher vorliegende Daten des Bundes und der Kantone nötig», sagt er. Denkbar wären provisorische Hochrechnungen durch die Kantone. «Dies sollte nach unserem Ermessen möglich sein», ist Scheuner indes sicher.
Wann geschätzt, wann erhoben wird
Ein Blick auf den Kalender zeigt, wie eng getaktet die Arbeiten sind.
- Ernteschätzungen von Agristat:
- Ende Februar: erste Schätzung der Anbauflächen und Ernten
- Ende Mai: zweite Schätzung
- Mitte/Ende August: Schätzung der Körnermaisfläche und -ernte
- Ernteerhebungen von Swissgranum:
- Mitte August: Kurzerhebung zu Brotweizen, Gerste, Raps bei rund 30 Sammelstellen
- Juli: Gesamterhebung Raps, Getreide, Eiweisspflanzen
- Ende Oktober: Gesamterhebung Körnermais, Soja, Sonnenblumen
Darüber hinaus führt Agristat Erhebungen durch, um die Erträge der Ackerkulturen zu bestimmen. Dazu steht ein Netz von Berichterstattern (Landwirtinnen und Landwirte) bereit, die Ende August und Ende Oktober ihre Erträge melden.
Warum erscheinen die Zahlen gestaffelt?
Viele Landwirte fragen sich, warum Erntemengen nicht früher veröffentlicht werden. Die Antwort liegt im Erhebungsrhythmus:
- Ende August/Mitte September: Erntemengen Raps
- Mitte/Ende Oktober: Erntemengen Getreide und Eiweisspflanzen
- Mitte/Ende Dezember: Erntemengen Körnermais, Soja und Sonnenblumen
Parallel dazu erscheinen weitere Agristat-Daten in der Körnerfrüchtestatistik des Schweizer Bauernverbands.
Wie werden die Zahlen validiert?
Am Ende zählt nur eine Zahl. Die von Swissgranum registrierten Erstübernehmer – Sammelstellen, Mühlen und andere – melden ihre übernommenen Mengen. Diese Angaben sind nötig, um die effektiven Erntemengen zu berechnen, in Absprache mit Agristat sowie, für den Biobereich, mit Bio Suisse.
Nicht alle Kulturen können vollständig erhoben werden. In solchen Fällen berechnet Agristat die Erntemengen anhand von Flächen und Durchschnittserträgen. «Veröffentlicht werden schliesslich die offiziellen, zwischen Swissgranum und Agristat abgestimmten Erntemengen», betont Scheuner. Damit sei gewährleistet, dass nur eine einzige Zahl publiziert wird.