Pestizidfrei – für viele Landwirtinnen und Landwirte klingt das nach zusätzlichem Risiko. Konkret: weniger Ertrag, mehr Aufwand und am Ende womöglich ein volles Lager, falls die Abnehmer abspringen. Gleichzeitig wächst aber die Nachfrage, allen voran bei Migros. Rund 30 000 Tonnen PSM-freier Brotweizen wurden dieses Jahr geerntet – doch das Ziel liegt deutlich höher. Wie realistisch ist das? Und welche Chancen ergeben sich für Produzentinnen und Produzenten? Manche fürchten schwankende Qualität, andere kritisieren die Abhängigkeit von Migros oder sprechen gar von «Billig-Bio». Über all das haben wir mit Reto Ryser von IP-Suisse gesprochen.

Wie viele Tonnen pestizidfreies Getreide werden aktuell produziert?

Reto Ryser: Seit der Einführung des Programms streben wir ein stetiges Wachstum an. Für die diesjährige Ernte rechnen wir mit rund 30 000 Tonnen PSM-frei produziertem Brotweizen.

Viele Bauern und Landwirtinnen sagen, der Ertrag sei deutlich tiefer und die Qualität schwankender – stimmt das, und wie sichern Sie wirtschaftliche Stabilität?

Entscheidend ist der finanzielle Ertrag. Dank der PSM-frei-Prämie und der IP-Suisse-Prämie können wir die Produktionsmethode am Markt in Wert setzen und damit Wertschöpfung für die Betriebe schaffen. Bei der Qualität sehen wir keine Nachteile. Versuche wie jene des Forums Ackerbau zeigen, dass Ertragsunterschiede im tiefen einstelligen Prozentbereich liegen – unsere eigenen Daten bestätigen das.[IMG 2]

Migros möchte mehr pestizidfreies Getreide, die Rede ist von jährlich 85 000 Tonnen – wo stehen Sie auf diesem Weg?

Aktuell liegen wir bei etwa 30 000 Tonnen. Das Potenzial ist also deutlich grösser, und neue Produzenten und Produzentinnen sind willkommen.

Was passiert, wenn Migros ihre Strategie ändert oder weniger abnimmt? Sitzen die Bauern dann auf der Ware?

Wie in jedem Markt sind verlässliche Partnerschaften entscheidend. IP-Suisse kann seit vielen Jahren auf starke Abnehmer zählen. Sollte sich etwas ändern, müssten Lösungen geprüft werden. Entscheidend ist, dass wir als Produzentenorganisation mit konstanter Qualität Kundenbindung sichern.

«Es braucht Absatz, damit das Programm Bestand hat.»

Reto Ryser, Spezialist Bereich Pflanzenbau bei IP-Suisse.

Neben Migros: Wer kauft sonst noch und zu welchen Preisen?

Neben Migros kauft auch Fredy’s PSM-freies IPS-Getreide, weitere Interessenten stehen bereit. Der Preis ist für alle gleich: Branchenrichtpreis plus IPS-Prämie von durchschnittlich CHF 5 Fr./100 kg sowie die PSM-frei-Prämie von 10 Fr./100 kg.

Einige Produzenten befürchten, dass der Markt zu stark von wenigen Abnehmern abhängt – wie sehen Sie das Risiko?

Es stimmt, der Markt konzentriert sich auf einige grosse Kunden. Darum legen wir Wert auf stabile Partnerschaften und zufriedene Abnehmer.

Man hört: «Das ist faktisch Bio, aber wir kriegen viel weniger Prämie.» Wie reagieren Sie?

IPS-Produzenten leisten viel für Umwelt und Gesellschaft. Unterschiede zum Bio bleiben bestehen – etwa die Möglichkeit, Kunstdünger einzusetzen oder den Verzicht auf eine Gesamtbetriebsumstellung. Schlussendlich bestimmt der Markt den Preis, wir bewegen uns da in einem Balanceakt zwischen Menge und Wertschöpfung.

Ist die aktuelle Prämie ausreichend, wenn die Produktionskosten steigen und der Ertrag sinkt?

Die Wirtschaftlichkeit ist betriebsspezifisch. Wer möchte, kann jederzeit in ein anderes Programm wechseln. Aktuell sehen wir im PSM-frei-Programm aber eine attraktive Möglichkeit, zusätzliche Wertschöpfung zu erzielen.

Und mal provokativ: Ist PSM-frei nicht einfach ein günstigeres Bio-Image?

Die Unterschiede sind klar, wie eben erläutert. Wichtig ist, dass sich Betriebsleiter mit der Methode auseinandersetzen und ihre Rentabilität prüfen. Preise, die der Markt nicht tragen kann, würden niemandem nützen – weder Produzenten, noch Konsumenten, noch der Umwelt.

Wie können neue Produzenten einsteigen? Stimmt es, dass man teils jahrelang warten muss?

Nein, aktuell können wir alle aufnehmen, die PSM-freien IPS-Brotweizen produzieren möchten. Wer sich meldet, kann bereits diesen Herbst aussäen.

Welche Flächenziele haben Sie, und wie verhindern Sie Überproduktion?

Wir arbeiten im Vertragsanbau. So lassen sich Flächen und Nachfrage abstimmen. Für 2025 erwarten wir rund 30 000 Tonnen – der Bedarf dürfte etwa dreimal so hoch sein. Es besteht also noch Potenzial.

Welche messbaren Vorteile bringt PSM-freier Anbau für Boden, Biodiversität und Wasser?

Der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel reduziert Umwelteinflüsse, Biodiversität und Gewässerschutz profitieren, ebenso die Bodenfruchtbarkeit – vorausgesetzt guter landwirtschaftlicher Praxis.

Zum Beispiel?

Kein Befahren nasser Böden.

Gibt es dazu belastbare Langzeitdaten?

Dass Pflanzenschutzmittel die Umwelt belasten, ist belegt. Deshalb kann man davon ausgehen, dass deren Verzicht die negativen Effekte verringert – auch wenn Langzeitdaten speziell zum PSM-frei-Programm noch im Aufbau sind.

Der Bund fördert pestizidfreien Anbau, aber mit strengen Auflagen. Was ist Ihr Ziel bei der Einflussnahme?

Wir setzen uns für eine parzellenweise Anmeldung im Herbizidlos-Programm ein. Das würde Einstiegshürden senken und langfristig mehr PSM-Reduktion ermöglichen. Ob und wann die Politik nachzieht, ist offen.

Wie stark profitieren Produzenten heute von der Bundesunterstützung?

Ohne Direktzahlungen wäre die Produktion für viele kaum rentabel. Umgekehrt bietet das IPS-Programm den Absatzkanal. Beides ergänzt sich.

Sollten Fördergelder nicht stärker auf Bodenfruchtbarkeit anstatt auf Pestizid-Einsparung ausgerichtet werden?

Die Landwirtschaft hat vielfältige Herausforderungen. Welche Unterstützung sinnvoll ist, ist letztlich eine politische Frage. Wir halten es aber nicht für zielführend, Beiträge für den Herbizidverzicht zu streichen.

Wie streng sind die Kontrollen – und wird auch sanktioniert?

Kontrollen erfolgen regelmässig und sind wichtig, um faire Bedingungen zu sichern. Wer sich an die Regeln hält, muss nichts befürchten.

Warum sollte ein Betrieb PSM-frei produzieren, wenn der Ertrag zwischen Bio und konventionell liegt, die Prämie aber näher bei konventionell?

Der Markt sucht PSM-freies IPS-Getreide. Für viele ist es eine Chance, zusätzliche Wertschöpfung zu erzielen, ohne auf Bio umstellen zu müssen.

Wie verhindern Sie, dass PSM-frei als Marketing-Label wirkt, wenn Produzenten unzufrieden sind?

Unsere Aufgabe ist, Produzenten zufriedenzustellen und deren Rückmeldungen ernst zu nehmen. Gleichzeitig braucht es Absatz, damit das Programm Bestand hat. Wir sehen PSM-frei nicht als Marketing, sondern als echten Mehrwert für Umwelt, Konsumenten und Produzenten.