AboÜbersicht KlimaprojekteLandwirtschaftliche Klimaprojekte: Das läuft aktuell in der SchweizMontag, 15. Januar 2024 2012 sprach kaum jemand über Ressourceneffizienz und CO2-Reduktion. Klimaneutralität war kein so grosses Thema wie heute, schon gar nicht in der Landwirtschaft. Das änderte sich mit «Agroco2nept» des gleichnamigen Vereins. «Agroco2ncept ist ein Projekt, das von bäuerlicher Seite angestossen wurde. Die Inputs kamen von uns Praktikern – das ist der grosse Unterschied zu anderen Projekten», sagt Urs Wegmann. Er ist seit 2014 dabei und Vorstandsmitglied des Vereins.

Wertschöpfung ist ein zentraler Pfeiler

Die Initianten waren ein Dutzend Bauern aus dem Flaachtal im Zürcher Weinland. Sie waren sich bewusst, dass die Landwirtschaft an der Klimapolitik nicht vorbeikommt. Anstatt auf politische Vorgaben zu warten, suchten sie selbst nach klimafreundlicheren Anbaumethoden. Von Anfang an ging es bei Agroco2ncept nicht nur darum, Ressourcen und CO2 einzusparen, sondern gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Betriebe zu verbessern. Der Verein schrieb sich drei Ziele auf die Fahne, umschrieben mit der Formel 20/20/20:

  • 20 % weniger Treibhausgasemissionen durch die Einsparung von Ressourcen, die Speicherung von CO2 sowie die Produktion erneuerbarer Energie.
  • 20 % weniger Ausgaben durch Kostenreduktion und Effizienzsteigerung in der Produktion.
  • 20 % mehr Wertschöpfung durch Wissenstransfer, den Verkauf von Produkten aus klimaschonender Produktion sowie durch den Imagegewinn für die Landwirte und die Region.

Bei den Bauernkollegen habe es anfangs schon etwas Überzeugungsarbeit gebraucht, erzählt Urs Wegmann. Beim ihm war es das persönliche Interesse, das ihn zu einer Teilnahme bewog.

«Ich sah eine Chance, dass wir Bauern in Zusammenarbeit mit den Bundesämtern auf Methoden Einfluss nehmen können, die sich in der Praxis bewähren.»

Urs Wegmann machte aus Interesse beim Projekt mit

Der Landwirt aus Hünikon fügt an: «Sonst kommen die nur mit ihren eigenen Ideen.» Auch versprach er sich einen Wissensvorsprung.

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Tiefere Kosten, aber wenig Einfluss auf die CO2-Bilanz

Es waren viele kleine und einige grös­sere Veränderungen, die Urs Wegmann auf seinem Betrieb im Rahmen von Agroco2ncept realisiert hat. «Einiges hatte ich ohnehin ins Auge gefasst. Das Projekt gab den Ausschlag, die Massnahmen endlich anzupacken und umzusetzen», sagt er rück­blickend.

  • Mehr Naturwiese in Fruchtfolge: Bis 2016 hatte Wegmann, der den Betrieb 2007 von seinen Eltern übernahm, wenig Naturwiesen. Das änderte sich mit Agroco2ncept. «Natur­wiesen speichern CO2 und halten es im Boden zurück», begründet er.
  • Raufutter: Anstatt alles Stroh zu pressen und den Überschuss zu verkaufen, bleibt der Teil, der nicht für den eigenen Betrieb benötigt wird, als Häckselstroh auf dem Feld.
  • Düngung: Seit 2018 arbeitet Wegmann mit der Excel-Tabelle «Düngungsplanung». Damit ist eine exakte, parzellengenaue  Düngungsplanung möglich. Berücksichtigt wird auch der N-Eintrag der Vorkulturen. Wegmann schätzt, dass er pro Jahr zwischen 600 und 900 kg Ammonsalpeter ohne Mindererträge einsparen kann. Das ist nicht nur gut für das Klima, sondern auch fürs Portemonnaie.
  • Hofdünger: Gegüllt wird nur noch dann und so viel, wie die Kulturen aufnehmen können, auch wenn gemäss Suisse Bilanz mehr erlaubt wäre. Um im Herbst weniger Gülle «entsorgen» zu müssen, wird nach Bedarf Güllelager zugemietet, um Gülle vom Herbst in den Frühling überlagern zu können. Überschüssige Gülle führt Wegmann auf zwei Partnerbetriebe.

Weit grössere Veränderungen als im Pflanzenbau nahm Wegmann in der Milchviehhaltung vor. Bei der Holstein-Zucht hat er Tabula Rasa gemacht. Dafür arbeitete er mit einem Zucht­berater zusammen.

  • Viehzucht: Der Betrieb hat 2016 ein Züchtungskonzept definiert mit den vier Kriterien (absteigende Gewichtung) Nutzungsdauer, Fitness-Index (IFF), Mastitisresistenz und Leistungsindex (IPL). Je weniger Auswahlkriterien, umso schneller komme man zum Erfolg, so Wegmann.
  • Fütterung: Die Kraftfuttermenge wurde optimiert. Wegmann folgt dem Ansatz, «lieber etwas zu wenig als zu viel». Früher war es genau umgekehrt. Zeitweise wurde frischer Malztreber von einer lokalen Brauerei gefüttert. «Aus arbeitstechnischen Gründen musste ich das wieder einstellen», sagt Wegmann. Langfristig will er das Kraftfutter wieder vermehrt durch andere Produkte wie etwa Malz ersetzen.

Einzeln hätten alle diese Massnahmen einen kleinen Einfluss auf die CO2-Bilanz des Betriebes, sagt Wegmann, wohl aber auf die Kosten. Ein grösseres Projekt war der Bau einer Photovoltaikanlage (30 kW) für die eigene Stromversorgung. Es gab aber auch Dinge, die nicht klappten, z. B. die Realisation einer Biogasanlage. «Mehr erhofft hatte ich mir zudem vom Hofdünger-Austausch unter den Betrieben», sagt Wegmann. Weil der Transport teuer und Kunstdünger immer noch relativ günstig sind, sei der Anreiz für viele Betriebe zu klein. Was hingegen gut funktioniere, sei der überbetriebliche Maschineneinsatz. Das hat er aber schon vor Agroco2ncept gemacht.

Betriebsspiegel
Name: Urs Wegmann
Ort: Hünikon ZH
LN: 46 ha
Kulturen: Kunst- und Naturwiese, Mais, Weizen, Raps, Zuckerrüben, Sonnenblumen, Sojabohnen
Viehbestand: 75 Milchkühe, 20 Kälber; Aufzucht ausgelagert
Milchmenge: 750'000 kg Silomilch für die Wyland Chäsi in Henggart
Angestellte: Betriebsleiter, 1 Angestellte, 1 Lehrling, Vater

Keine gesamtbetriebliche Entschädigung

AboKlimastrategie«Tiere spielen eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherheit»Freitag, 8. Dezember 2023 Die Klimabauern aus dem Flaachtal zogen Aufmerksamkeit auf sich. Zugute kam ihnen, dass das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) gerade an einer Klimastrategie für die Landwirtschaft arbeitete. Es dauerte dann aber vier Jahre, bis Agroco2ncept als vom Bund finanziertes Ressourcenprojekt starten konnte. 24 Betriebe nahmen daran teil. Auch der Kanton unterstützte das Projekt, insbesondere im Bereich Beratung und fachliche Begleitung. Urs Wegmann schaut mit gemischten Gefühlen auf den Start zurück. Nicht alles sei so gelaufen, wie es sich der Verein gewünscht hätte. «Wir verfolgten einen ganzheitlichen, gesamtbetrieblichen Ansatz. Das BLW wollte nur einzelne isolierte Massnahmen entschädigen.»

Von dem 38 Massnahmen umfassenden Katalog, den der Verein ausgearbeitet hatte, wurde nur ein kleiner Teil finanziell unterstützt. Dennoch konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden: Was funktioniert und was nicht? Wo sind die grössten Hebel? Wo bringen Massnahmen nichts? Der Austausch mit Forschern und Verantwortlichen der ETH und dem BLW waren dabei wertvoll. Wegmann ist überzeugt, dass künftige Programme der Agrarpolitik ohne Agroco2ncept praxisfremder wären und weniger zur Zielerreichung beitragen würden.

Vieles ist in die Agrarpolitik eingeflossen

Das Ressourcenprojekt ist seit Dezember 2022 abgeschlossen. Insgesamt flossen in den sechs Jahren 1,3 Mio Franken direkt und indirekt an die Bäuerinnen und Bauern. «Die meisten Betriebe werden die umgesetzten Ansätze weiterverfolgen», ist Urs Wegmann überzeugt. Nicht ohne Stolz verweist er darauf, dass einige Massnahmen in die Agrarpolitik eingeflossen sind. Zum Beispiel die Begrünung des Bodens nach der Ernte der Hauptkultur.

Einen Seitenhieb ans BLW kann sich Wegmann nicht verkneifen: «In einem trockenen Sommer vor der Gerste nach Weizen eine Zwischenkultur oder Gründüngung säen zu müssen, die doch nicht aufläuft, ist alles andere als ressourcenschonend.» Solche starren Vorschriften, bei denen man nicht auf umwelt-, standort- und betriebsspezifische Faktoren eingehen könne, würden mehr schaden, als sie nützten. Sinnvoller wäre es laut Wegmann, mit einem Anreizsystem zu arbeiten. «Erfolg soll belohnt werden, aber niemand soll Kürzungen wegen der Nichterfüllung einer situativ unsinnigen Auflage erhalten.»

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Verein steht vor einer ungewissen Zukunft

Agroco2ncept traf den Nerv der Zeit und hatte bald Nachahmerprojekte. Urs Wegmann sieht das als positiven Effekt: «Austausch und Wissenstransfer mit neuen Projekten waren wertvoll, auch wenn es uns Einzigartigkeit gekostet hat.» All die neu entstandenen Klimaprojekte direkt miteinander zu vergleichen, sei schwierig, findet der Landwirt und nennt ein Beispiel: «Das Projekt ‹Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden› hat eine ganz andere Dimension als Agroco2ncept, weil sie 50 Pilotbetriebe über den ganzen Kanton haben und der Kanton sich daran beteiligt.» Wichtig findet Wegmann, dass die Massnahmen den Betrieben einen direkten Nutzen bringen, sei es durch Kostensenkung, Ressourceneinsparung, Mehrertrag oder Mehrerlös für die Produkte. Der Verein Agroco2ncept indes steht an einem schwierigen Punkt.

«Das Ziel, über die Vermarktung mehr für die Betriebe rauszuholen, ist wegen der räumlichen Begrenzung schwierig zu erreichen.»

Urs Wegmann zum Wachstumspotenzial von Agroco2ncept

Agroco2ncept beschränkt sich auf das Zürcher Weinland. Eine Ausdehnung auf weitere Regionen innerhalb des Kantons Zürich oder auf die Nachbarkantone ist wenig realistisch. «Man merkt, dass die Bäuerinnen und Bauern programm- und labelmüde sind», sagt er. Dennoch sei es wichtig, aktiv dranzubleiben. «Der Wissensaustausch war, ist und bleibt enorm wichtig», betont er. «Wir haben ein grosses Know-how und teilen das gerne mit anderen interessierten Betriebsleitern – oder lernen dazu.» Zumal immer wieder neue Themen aufkommen würden. Wasserknappheit und Bodenaufbau sind da nur zwei Beispiele.

AboBauernverband lädt zur Medienkonferenz«Viele Bauernfamilien haben den Koller»Mittwoch, 3. Januar 2024 Ganz abgeschlossen ist das Ressourcenprojekt Agroco2ncept noch nicht. Im Frühjahr 2024 soll die CO2-Bilanzierung der Betriebe stattfinden. «Darauf bin ich sehr gespannt», sagt Wegmann. Doch er warnt vor allzu grossen Erwartungen. Die Resultate seien mit Vorsicht zu geniessen. «Die Witterung hat im Jahresverlauf einen wesentlich grösseren Einfluss als die einzelnen Massnahmen.» Daher werde es schwierig sein, ein Jahr mit dem anderen zu vergleichen. «Spannend wird sein, wo CO2 anfällt und weitere Stellschrauben auf meinem Betrieb zu optimieren.»

 

 

Druck kommt von Verarbeitern

Die Klimabauern aus dem Flaachtal waren Pioniere. Das erste Klimaprojekt hatte eine Vorreiterrolle und beeinflusste auch die Agrarpolitik. «Dass wir eine Bewegung angestossen haben, freut uns natürlich und macht uns stolz», hält Urs Wegmann fest. Was ihn stört, ist die Art und Weise, wie die Ideen der Basis agrarpolitisch umgesetzt wurden und immer noch werden. «Zu wenig zielorientiert, zu fest massnahmenorientiert», fasst es Wegmann zusammen. Er wünscht sich mehr Anreize sowie eine Entschädigung der Bauern für die Planung und die Beratung. «Dann wäre auch die Motivation grösser», glaubt er.

AboKlimaneutrale Landwirtschaft Graubünden«Wenn wir die klimaneutrale Landwirtschaft nicht jetzt anpacken, machen wir es wahrscheinlich nie»Freitag, 30. Dezember 2022 Natürlich könne man über die Notwendigkeit von Klimaprojekten diskutieren, aber die Landwirtschaft werde nicht darum herumkommen. Auf Produktseite flache der Hype allerdings wieder ab, so Wegmann. «Der Konsument fragt klimaneutral produzierte Produkte nicht nach. Der Druck kommt eher von den Verarbeitern und Grossverteilern.» Er hat grosse Zweifel, dass sich Klimaneutralität über das Produkt vermarkten lässt. Das Ziel müsse sein, Ressourcen einzusparen, die in finanzielle Einsparungen umgemünzt werden. «Dann ist es nicht nur fürs Klima, sondern auch für die Betriebe ein Gewinn.»