Die Fenaco ist der grösste Abnehmer von inländischen Agrargütern und gleichzeitig grösster Importeur von Produktionsmitteln für die Landwirtschaft. CEO Martin Keller spricht anlässlich der Fachkonferenz Brennpunkt Nahrung, die am 7. November in Luzern stattfindet, über die Versorgungssicherheit in unsicheren Zeiten.

Wie steht es um die Versorgungssicherheit mit Agrargütern in der Schweiz, und welche Güter sind krisenresistenter, welche weniger?

Martin Keller: Die Versorgungssicherheit in der Schweiz ist generell gewährleistet, auch in Krisen wie der Corona-Pandemie oder aktuell während des Ukraine-Kriegs. Wesentliche Gründe dafür sind die verlässliche heimische Produktion, die schlagkräftige landwirtschaftliche Infrastruktur der Fenaco-Landi-Gruppe und anderen, die Rückversicherung durch Pflichtlager sowie etablierte internationale Handelsbeziehungen.

Welche Beschaffungsstrategien verfolgt die Fenaco?

Wir setzen uns für eine hohe Versorgung durch die Schweizer Landwirtschaft ein. So stammten letztes Jahr 90 Prozent der wichtigsten Lebensmittelrohstoffe, welche die Fenaco selber handelt und verarbeitet, aus der Schweiz. Gleichzeitig ist die Beschaffung von Rohstoffen im Ausland wichtig und nötig. Etwa wenn Agrarprodukte bei uns nicht wachsen oder nur in ungenügender Menge verfügbar sind. Hier kommen unsere langjährigen internationalen Handelsbeziehungen zum Tragen. Dank unserer Schwungmasse nehmen wir eine Verhandlungsposition auf Augenhöhe mit den Partnern ein. Mit solchen Ergänzungsimporten stellen wir die Warenverfügbarkeit in der Schweiz sicher – auch im Fall von Engpässen bei der einheimischen Produktion.

Welches sind die grössten Herausforderungen der Beschaffung, und wie geht die Beschaffung der Fenaco damit um?

Die Landwirtschaft in der Schweiz und global hat grosse Herausforderungen vor sich. Dazu gehören geopolitische Unsicherheiten, das Bevölkerungswachstum und neue Ernährungsgewohnheiten der Konsumentinnen und Konsumenten.

Die Schweizer Landwirtschaft ist insgesamt gut aufgestellt.

Martin Keller, CEO Fenaco zu den aktuellen Herausforderungen.

Aber auch der Klimawandel und der Verlust von fruchtbarem Boden spielen eine wichtige Rolle. Als Folge davon sinkt in der Tendenz die Ernährungssicherheit. Die Lebensmittelpreise steigen weltweit und schwanken massiv. Die Schweizer Landwirtschaft ist insgesamt gut aufgestellt. Gemeinsam mit Forschung, Ausbildung und Beratung entwickeln wir konkrete Lösungen dafür, auch in Zukunft gesunde, sichere und nachhaltige Lebensmittel in der Schweiz zu produzieren.

Welche Auswirkungen hat die weltpolitische Lage auf die inländische Produktion?

Der Fenaco-Stadt-Land-Monitor 2023 zeigt es klar: Die Schweizer Bevölkerung wünscht eine deutliche Steigerung des Selbstversorgungsgrads auf rund 70 Prozent. Die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen dürften dieses Bedürfnis noch verstärken. Persönlich halte ich eine Steigerung des Nettoselbstversorgungsgrads in der Schweiz auf deutlich über 50 Prozent nicht für realistisch, schon wegen der begrenzten Ackerfläche. Unsere internationalen Handelsbeziehungen bleiben deshalb wichtig, etwa um punktuell tiefere Ernten zu überbrücken und Engpässe auszugleichen, wie dies aktuell aufgrund einer schwachen Kartoffelernte leider der Fall ist.

Wo sehen Sie die Verantwortung der Fenaco, wenn es um die Wirkung auf Umwelt, Tiere und Menschen geht, und wo liegen die Grenzen?

Um es mit einem Bild aus dem Fussball zu sagen: Die Schweizer Landwirtschaft spielt in allen Aspekten der Nachhaltigkeit in der «Champions League» ganz vorne mit. Diese Position wollen wir auch in Zukunft halten. Zum Beispiel fördern wir mit dem Innovationsprogramm Innovagri zusammen mit der Landi neue Technologien auf den Schweizer Feldern und Äckern. Damit leisten wir unter anderem einen Beitrag zum Absenkpfad für die Pflanzenschutzmittel.

Wie beurteilen Sie die Wettbewerbsfähigkeit und die Einkommenssituation der Schweizer Landwirtschaft?

Die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte konnten ihr Einkommen in den letzten Jahren in kleinen Schritten kontinuierlich steigern. Auf diese langfristig positive Entwicklung folgte wegen massiv gestiegener Rohstoff- und Energiepreise, ausgelöst durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg, in den letzten beiden Jahren eine negative Tendenz. Diese spüren auch wir bei der Fenaco-Landi-Gruppe mit deutlich tieferen Ergebnissen. Die langfristigen Aussichten beurteile ich nach wie vor positiv. Wichtig ist dabei, dass die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte konsequent auf ihre Trümpfe setzen. Dazu gehören die hohe Qualität und Sicherheit der Produkte sowie die Regionalität und Nähe zu den Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch die hohen Standards beim Tierwohl und bei der Rückverfolgbarkeit der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten haben ein hohes Vertrauen in die heimische Landwirtschaft.

Welche (agrar-)politischen Massnahmen sind für die Beschaffung der Fenaco relevant?

Die wichtigsten agrarpolitischen Instrumente sind erstens der Grenzschutz für die Sicherung der Landesversorgung mit inländisch produzierten Lebensmitteln. Und zweitens die Direktzahlungen an die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte. Diese sollten klar an den Bedürfnissen der Konsumentinnen und Konsumenten ausgerichtet sein.

511 Produkten wurde die Bewilligung entzogen.

Martin Keller, CEO Fenaco zur Herausforderung im Pflanzenschutz.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf bei politischen Rahmenbedingungen?

Handlungsbedarf sehe ich hingegen bei der heute umständlichen Zulassung von modernen Pflanzenschutzmitteln für die konventionelle und die biologische Produktion in der Schweiz. Gemäss dem Bundesrat wurden zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 1. Juli 2021 67 Wirkstoffe aus der Pflanzenschutzmittelverordnung gestrichen, und 511 Produkten wurde die Bewilligung entzogen.

Im selben Zeitraum wurden 28 neue Stoffe oder Organismen aufgenommen und 252 neue Produkte zugelassen. Damit verlieren die Schweizer Landwirtinnen und Landwirten wichtige Instrumente zur Sicherung ihrer Ernten und damit zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung. Wir spüren dies zum Beispiel durch fehlende Mengen von Kartoffeln und Raps. Zudem stellen wir häufiger Qualitätsprobleme bei Gemüse und Obst fest, was zu Ausschuss und Food Waste führt. Entweder orientieren wir uns nicht nur bei den Streichungen, sondern auch bei den Neuzulassungen an der EU, oder wir beschleunigen unsere eigenen Zulassungsverfahren deutlich, damit die Schweizer Landwirtschaft wettbewerbsfähig bleibt.

Wie nimmt die Fenaco Einfluss auf politische Rahmenbedingungen?

Die Fenaco konzentriert sich auf ihre Tätigkeit am Markt. Die politische Vertretung der Schweizer Landwirtinnen und Landwirte ist Sache des Bauernverbands, der dies seit Jahren erfolgreich macht. Eine Ausnahme von dieser Regel bildeten die zwei extremen Agrarinitiativen im Jahr 2021, die wir Seite an Seite mit der Schweizer Landwirtschaft erfolgreich bekämpft haben. Daraus haben wir gelernt, dass wir uns stärker für den Dialog zwischen Stadt und Land einsetzen müssen. Dazu haben wir den Fenaco-Stadt-Land-Monitor lanciert und der Stiftung für eine nachhaltige Ernährung durch die schweizerische Landwirtschaft 10 Mio Franken zukommen lassen. Sie fördert damit Projekte, die zwischen ländlichen und städtischen Bevölkerungsgruppen vermitteln und damit zum besseren Verständnis zwischen Produzentinnen und Konsumenten beitragen.