Stress wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Diese Unterschiede zeigen sich beispielsweise bei den verfügbaren Arbeitsmitteln: lebensfähige oder renovierungsbedürftige Struktur, leistungsfähiger oder alternder Maschinenpark, erträgliche oder unzumutbare Übernahmebedingungen. Das weiss Jérémie Forney, Professor am Institut für Ethnologie der Universität Neuchâtel. Auch die Familiensituation und das Verständnis zwischen den Generationen haben einen starken Einfluss. «Wenn es gut läuft, ist das Umfeld eine Stütze. Wenn es nicht gut läuft, kann es eine weitere Schwierigkeit auf dem Hof sein.»
Wenn die ältere Generation die Nachfolger verunsichert
Die Bräuche, die die Landwirtschaft umgeben, verstärken dieses Gefühl. «Wenn man von der älteren Generation verunsichert wird, verstärkt dies die Zweifel, die man in sich hat», erzählt ein Landwirt. Karin Wörthwein stimmt ihm zu: «Die Landwirtschaft ist immer noch sehr traditionell und viele Landwirte denken immer noch, dass sie keine Ferien machen können oder dass das Aufstehen um 5.30 Uhr ein Zeichen dafür ist, dass man arbeitet.» Die Psychologin und Psychotherapeutin stellt glücklicherweise fest, dass die neue Generation eher bereit ist, Urlaub zu nehmen.
Den Sinn der Arbeit sehen
In ihrer Praxis empfängt Karin Wörthwein auch Patienten und Patientinnen aus der Landwirtschaft. Die Beschwerden, die am häufigsten auftauchen, sind finanzielle Sorgen und Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Übernahme des Betriebes, aber oft handelt es sich um eine Kombination von Faktoren, sowohl aus der Landwirtschaft als auch aus anderen Bereichen. «Sich immer mehr zu stressen, um immer weniger zu verdienen. Die Erwartungen von aussen sind eine der grössten Unsicherheitsquellen, ebenso wie das Gefühl, dass bestimmte Aufgaben sinnlos werden», weiss Wörthwein. «Der Bauer muss sich an viele Vorgaben halten. Niemand kümmert sich darum, ob er darin einen Sinn sieht oder ob er die Vorgehensweise versteht. Und die Kontrollen erfolgen eher anhand von Dokumenten als anhand der Ausführung der Arbeit, das ist nicht aufwertend», stellt Jérémie Forney fest.
Um ihr Selbstvertrauen zu stärken und an Lebensqualität zu gewinnen, müssen die Landwirte auf Ressourcen zurückgreifen können. Sei es Urlaub, Freizeit, Austausch mit Kollegen oder Menschen ausserhalb der Landwirtschaft. «Es ist wichtig, aus dem Alltag auszubrechen. Es ist nicht möglich, allein zu arbeiten, alles auf den Schultern zu tragen, ohne die Möglichkeit zu haben, ab und zu seine Sorgen zu teilen», sagt Ethnologin Karin Wörthwein.
Das Tabu brechen
Karin Wörthwein möchte ihrerseits das Tabu um die Sprechstunde brechen. «Meine Patienten wollen oft nicht preisgeben, dass sie zu mir kommen, aber jeder hat das Recht, irgendwann zerbrechlich zu sein, man muss sich nur trauen, um Hilfe zu bitten.» Jérémie Forney ist der Überzeugung, dass Stress nicht als Schwäche des Selbst angesehen werden sollte. Er erinnert daran, dass sich die Landwirtschaft weiterentwickelt hat und dass strukturelle Veränderungen und Orientierungslosigkeit ebenfalls für das Gefühl der Überforderung verantwortlich sind.
Sorge tragen zur eigenen Gesundheit
Das Risiko, an einem Burnout zu erkranken, verstärkt sich durch Freizeitmangel, Zeitdruck, eine enge Verflechtung von Arbeit und Familie sowie immer öfter die finanzielle Situation der Betriebe. Das schreibt der Schweizerische Bäuerinnen und Landfrauenverband in einer Mitteilung. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache hat der Verband eine Zusammenstellung von Erfahrungsberichten erstellt, in denen Betroffene erzählen. Schauen Sie sich das Dossier «Überlastung und Burnout-Prävention» auf der Webseite des SBLV an.