«Rückblickend ist mir klar: Die ersten Anzeichen gab es schon einige Jahre vorher», weiss Jeanette Kuster heute. Doch mit knapp 47 fing es richtig an. Die Journalistin und Yogalehrerin hatte keine Energie mehr, war niedergeschlagen, ihr war ständig schwindlig, im linken Ohr pfiff es gelegentlich und dazu kamen heftige Schlafstörungen.
«Ich war einfach nicht mehr ich selbst», sagt sie rückblickend. Sie begann zu googeln und stiess auf einen Begriff, den sie noch nie zuvor gehört hatte: Perimenopause. Ihr war nicht bewusst, dass die Spiegel verschiedener Hormone bereits in den Jahren vor der Menopause deutlich sinken und dabei starken Schwankungen ausgesetzt sind, was vielfältige Beschwerden auslösen kann. Kuster hat darüber ein Buch geschrieben und für «Mittendrin – die Perimenopause meistern» mit betroffenen Frauen, Ärztinnen, Psychiaterinnen und anderen Expertinnen gesprochen.
Frau Kuster, war für Sie von Beginn an klar, dass Sie Ihre eigene Geschichte erzählen würden?
Ja, absolut. Meine persönlichen Erfahrungen waren der Auslöser, das Buch zu schreiben. Natürlich habe ich mich das eine oder andere Mal gefragt, ob ich nicht zu viel von mir preisgebe. Aber ich will ja, dass wir offener über die Perimenopause und all ihre Begleiterscheinungen reden, deshalb wollte ich auch mit gutem Beispiel vorangehen.
Warum ist die Perimenopause immer noch ein Tabuthema?
Die Gründe sind vielschichtig. Es ist wohl ein Mix aus Unwissen, Scham, wegen Symptomen wie Inkontinenz oder depressiver Verstimmung, und dem Tabu des Älterwerdens. Ärztinnen und Ärzte wissen oft zu wenig, weil die Wechseljahre im Medizinstudium kaum vorkommen. Auch in der Gesellschaft herrscht Unkenntnis: Viele denken bei den Wechseljahren nur an Hitzewallungen und das Ende der Menstruation, was nicht der ganzen Wahrheit entspricht. Wir haben im ganzen Körper und im Gehirn Rezeptoren für Östrogen & Co.: Ein Absinken dieser Hormone kann deshalb unterschiedlichste Beschwerden verursachen – von Reizbarkeit über Tinnitus und Gelenkschmerzen bis zu Schlafstörungen. Die Menopause markiert zudem das Ende der Fruchtbarkeit und erinnert ans Älterwerden – zwei Themen, über die man nicht gern spricht. Dabei bedeutet älter werden auch, weiser zu werden, und für viele ist das Ende des Zyklus eine Erleichterung. Es braucht deshalb Aufklärung und offene Gespräche. [IMG 2]
Hilft Social Media beim Enttabuisieren?
Ja, definitiv. Vor allem im englischsprachigen Raum gibt es Ärztinnen und Prominente, die wertvolle Aufklärung leisten. Aber man muss kritisch bleiben – es werden auf Social Media auch viele Unwahrheiten verbreitet, und manche nutzen das Thema, um mit Frauen in dieser Lebensphase Geld zu machen und ihnen fragwürdige Produkte zu verkaufen.
Wie reagieren die Leserinnen auf Ihr Buch?
Ich bekomme viel positives Feedback, manchmal auch emotionales. Eine Leserin schrieb, sie habe beim Lesen geweint, weil sie sich so verstanden gefühlt habe. Auch Männer melden sich – ein ehemaliger Schulkollege meinte, hätte er das Buch zwei Jahre früher gelesen, wäre seine Ehe vielleicht nicht in die Brüche gegangen. Das zeigt, wie wichtig es ist, auch Männer miteinzubeziehen und zu informieren.
Buch «Mittendrin»
In «Mittendrin – Die Perimenopause meistern. Gespräche und Erfahrungsberichte» von Jeanette Kuster (Arisverlag) erzählen unterschiedliche Frauen ihre ganz persönliche Wechseljahr-Geschichte, während acht Expertinnen erklären, was während der Perimenopause genau im Körper und im Hirn passiert und wie neben Hormonpräparaten auch Bewegung, Ernährung und alternative Heilmethoden in dieser Umbruchphase unterstützen können. Ein Buch, das Hoffnung macht – für Frauen ab Mitte 30.
Was müsste jede Frau über die Perimenopause wissen?
Dass hormonelle Veränderungen oft psychische Symptome auslösen – von Stimmungsschwankungen und Angststörungen bis hin zu Depressionen. Das wird häufig nicht erkannt; Frauen bekommen Antidepressiva, die nicht wirken, weil die Ursache hormonell ist. Eine Expertin aus meinem Buch plädiert deshalb für eine engere Zusammenarbeit zwischen Gynäkologie und Psychiatrie. Ein fächerübergreifender Ansatz wäre generell erstrebenswert und würde vielen Frauen helfen.
Welche Erkenntnis aus der Recherche hat Sie besonders beeindruckt?
Dass sich das weibliche Gehirn in Übergangsphasen wie Schwangerschaft oder Menopause verändert – und dass Hitzewallungen vom Gehirn gesteuert werden. Die Wechseljahre betreffen eben nicht nur den Körper, sondern den ganzen Menschen.
Welche Missverständnisse begegnen Ihnen am häufigsten?
Dass die Wechseljahre erst nach 50 beginnen und nur Hitzewallungen verursachen. Die Perimenopause kann bis zu zehn Jahre dauern – meist beginnt sie Anfang oder Mitte vierzig, manchmal sogar mit Mitte dreissig. Ein ebenfalls immer noch häufiges Missverständnis ist, dass die Hormonersatztherapie gefährlich sei. Die modernen bioidentischen Hormone erhöhen das Brustkrebsrisiko allerdings nur minimal, und dies auch nur bei längerer Anwendung. Wer täglich ein Glas Wein trinkt oder an Übergewicht leidet, hat laut Studien ungefähr dasselbe Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Hormone auf der anderen Seite nachweislich vor Erkrankungen schützen – etwa vor Osteoporose, Herzkrankheiten und möglicherweise auch Demenz.
Was hat Ihnen persönlich geholfen?
Mir hat ein Mix aus verschiedenen Massnahmen geholfen – so wie das bei vielen Frauen der Fall ist. Zum einen nehme ich bioidentische Hormone: Progesteron, Östrogen und Testosteron. Ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass es mein Buch gäbe ohne diese Hormonersatztherapie. Sie war für mich die Basis, um wieder ich selbst zu werden und wieder «zu funktionieren». Zum Schlafen nehme ich jeden Abend Magnesiumglycinat und Passionsblumentröpfchen – beides entspannt. Zudem versuche ich, immer ungefähr zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen und aufzustehen. Je gleichmässiger mein Rhythmus, desto besser mein Schlaf. Ausserdem mache ich Yoga und Krafttraining mit Hanteln. Auch bade ich im Winter im Zürichsee – das Eisbaden gibt mir Energie, einen klaren Kopf und ein gutes Körpergefühl. Kleine Veränderungen wie weniger Koffein oder mehr Eiweiss haben ebenfalls viel bewirkt.
Wie finden Frauen heraus, was ihnen guttut?
Am besten informiert man sich eingehend über die Möglichkeiten, etwa mit Büchern, überlegt sich dann, was einen am meisten anspricht, und probiert das einmal aus. Und dann gilt es, etwas Geduld zu haben, da vieles nicht von einem Tag auf den anderen wirkt – weder die Hormone noch Therapien wie Akupunktur oder Veränderungen des Lebensstils. Ideal wäre natürlich, wenn man sich das Ganze gemeinsam mit einer Expertin anschauen könnte – mit der Gynäkologin, dem Hausarzt oder einem spezialisierten Therapeuten oder Coach. Es lohnt sich, nicht aufzugeben, weil man wirklich nicht leiden sollte und so viel machen kann, damit es einem besser geht.
Sie arbeiten auch als Menopause-Coach. Was erwartet Frauen bei Ihnen?
Bei meinen Beratungen geht es darum, gemeinsam mit der Frau herauszufinden, was sie am meisten belastet, was gewisse Symptome vielleicht noch verstärkt und welcher Ansatz für sie passend ist, um ihre Beschwerden zu lindern – möchte sie eine Hormonersatztherapie, verweise ich sie natürlich an einen Arzt oder eine Ärztin und gebe allenfalls Tipps für den Arztbesuch. Ausserdem schälen wir heraus, was sie sich als oberstes Ziel wünscht: mehr Energie, besseren Schlaf? Wir schauen uns Themen wie Ernährung, Bewegung oder Grenzen setzen an. Frau muss ihr Leben allerdings keineswegs komplett umkrempeln, sondern die Idee ist, kleine hilfreiche Anpassungen vorzunehmen, die sich gut in den Alltag integrieren lassen.
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Mögliche Symptome der Perimenopause
- Energielosigkeit
- Herzklopfen
- Schwindel
- Sehstörungen
- Migräne (mit und ohne Aura)
- Tinnitus
- Trockener Mund
- Zahnfleischprobleme
- Schmerzempfindliche Zähne
- Trockene Augen
- Frozen Shoulder
- Atembeschwerden
- Inkontinenz
- Ständiger Toilettendrang
- Wiederkehrende Blasenentzündngen
- Vaginale(r) Juckreiz / Trockenheit
- Juckende Haut
- Hitze- und Kältewallungen
- Nächtliche Schweissausbrüche
- Histaminintoleranz
- Neue oder stärkere Allergien
- Dünneres Haar
- Panikattacken
- Niedergeschlagenheit
- Ängstlichkeit
- Reizbarkeit
- Nervosität
- Stimmungsschwankungen
- Gehirnnebel
- Kein Interesse mehr an Dingen
- Verlust des Selbstbewusstseins
- Libidoverlust
- Veränderter Körpergeruch.