Psychische Erkrankungen sind weit verbreitet. Doch oft ist das Sprechen darüber ein Tabu, da das Thema mit viel Scham behaftet ist und als Schwäche gilt. Der neu gegründete Verein «emMENTAL – Netzwerk psychische Gesundheit» setzt sich dafür ein, dass psychische Gesundheit auch im ländlichen Raum sichtbar gemacht wird. Zudem sollen Tabus gebrochen werden: Betroffene sowie deren Angehörige sollen auf einfache Art konkrete Unterstützung erhalten – und das, ohne sofort zu einem Arzt, Psychologen oder Psychiater gehen zu müssen. Dies wurde an einer Medienveranstaltung im Anschluss an die Vereinsgründung am Freitag, 24. Oktober deutlich gemacht.
Der Verein ist breit abgestützt
«Man darf sich auch im Emmental Hilfe holen», brachte es Sarah Wyss auf den Punkt. Sie ist ehemals Betroffene einer psychischen Erkrankung und Vorstandsmitglied des neuen Vereins. Der Verein ist breit abgestützt. Nebst Sarah Wyss informierten Manuela Grossmann (Co-Präsidentin und Pfarrerin), Anita Schürch (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berner Fachhochschule Gesundheit), Dora Niederhauser (Dipl. Pflegefachfrau HF Psychiatrie), Iris Habegger (Dipl. Pflegefachfrau HF Psychiatrie, Spitex Region Emmental) sowie Co-Präsidentin Sarina Wälti (Expertin durch eigene Erfahrung) über die Ziele des neuen Vereins. Spürbar war bei allen gleichermassen die grosse Freude über die geglückte Vereinsgründung.
Betroffene helfen anderen Betroffenen
Ein wichtiger Teil beim Netzwerk «emMENTAL» ist der Einbezug von Menschen, die als Betroffene oder Angehörige Erfahrungen im Bereich psychischer Erkrankungen haben – sogenannte Peers. Sarah Wyss erklärte: «Betroffene können mit mir sprechen. Ich kann ihnen aufzeigen, dass es wieder besser wird. Denn ich weiss, wovon ich spreche.»
Sarina Wälti ergänzte: «Wir können mit unseren Erfahrungen abdecken, was andere nicht können.» Und weiter: «Ich will heraustragen, dass man über psychiatrische Probleme sprechen darf und auch soll.» Zudem gebe es zwar viele gute Angebote, die man jedoch oft nicht kenne.
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Nachbars Augen erkennen nichts
Sarina Wälti selbst hat beispielsweise erst während eines Klinikaufenthalts von der Psychiatrie-Spitex erfahren. Genauso wie bei den bekannten Spitex-Angeboten für körperliche Leiden besuchen Mitarbeitende der Psychiatrie-Spitex die Menschen ebenfalls zu Hause. Der grosse Unterschied: Die Autos sind nicht angeschrieben, die Pflegefachpersonen tragen keine Arbeitskleidung und kein Namensschild. So ist der Besuch für Nachbars neugierige Augen nicht als psychiatrische Fachperson erkennbar, betonte Iris Habegger.
Es gibt bereits Kurse
Auf der Website des Vereins sind zahlreiche regionale Angebote und Anlaufstellen im Bereich der psychischen Gesundheit sichtbar. Ziel ist es, dass im Verlaufe des kommenden Jahres eine Koordinationsstelle geschaffen werden kann. Nebst einem Walk-in-Angebot, das im Januar startet (siehe Kasten), bietet der Verein auch Kurse an – etwa solche, die praxisorientierte Methoden und Grundwissen vermitteln, um Betroffene im Alltag anzusprechen, zu begleiten und zur professionellen Hilfe zu motivieren.
Gemeinsam statt einsam – ein monatliches Treffen
Der Verein will auch präventiv tätig sein. Dazu wird jeweils am letzten Freitag im Monat von 17 bis 19 Uhr ein offenes Treffen nach dem Motto «Gemeinsam statt einsam» in der Café-Bar Käpt’n Holger in Langnau angeboten. «Ich, weiblich, trage einen auffälligen blauen Pullover und mein Kollege eine schwarze Kapuzenjacke. Komm, setz dich zu uns!», heisst es auf dem Flyer.
Die Rolle der Kirche
Der Verein «emMENTAL – Netzwerk psychische Gesundheit» zählt 27 Gründungsmitglieder als Privatpersonen sowie eine Organisation. Der Vereinsgründung war eine einjährige Planung vorausgegangen. Die Berner Fachhochschule begleitet das Projekt wissenschaftlich. Finanziell wird der Verein durch die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sowie weitere Stiftungen unterstützt. «Die Kirche muss raus zu den Menschen», erklärte Dora Niederhauser. Das Netzwerk sei dafür ein gutes Mittel.
Ursprung des Vereins
Wie Manuela Grossmann ausführte, geht der Impuls zur Gründung des Netzwerks auf eine Studie im Jahr 2022 zurück. Diese Studie der Universität Bern, an der auch Jugendliche aus Langnau teilnahmen, befasste sich mit der psychischen Gesundheit von jungen Erwachsenen – und die hatte sich deutlich verschlechtert. «Jesses Gott, da müssen wir etwas machen», sagte sich Manuela Grossmann. Mit Unterstützung der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn organisierte sie Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit, die grossen Anklang fanden. Die Rückmeldungen zeigten, dass mehr Austausch, mehr Wissen und mehr Engagement gewünscht waren. Rasch baute sie mit weiteren Personen ein entsprechendes Netzwerk auf. Die Gründung des Vereins gebe der Organisation nun ein offizielles Gesicht: «Es ermöglicht uns, gegen aussen aufzutreten», betonte Manuela Grossmann. Weitere Mitglieder und Mitgliedsorganisationen seien jederzeit willkommen.
Walk-in-Angebot ab Januar
Ab Januar wird es ein Walk-in-Angebot für Menschen geben, die kurzfristig Unterstützung oder Beratung suchen. Jeden zweiten Dienstag von 17 bis 19 Uhr sind im Kirchgemeindehaus in Langnau zwei Fachpersonen aus Medizin und Sozialem sowie eine selbst betroffene Person vor Ort. Jede und jeder kann einfach für ein Gespräch vorbeigehen – ohne Namen oder Wohnort angeben zu müssen. «Wir hören vorurteilsfrei zu und zeigen Verständnis. Das hilft oft schon», weiss Manuela Grossmann. «Zudem können wir bei Bedarf Kontakte zu Fachstellen, dem Spital oder zu Peers herstellen.» Auf der Webseite des Vereins sind zudem zahlreiche Anlaufstellen mit unterschiedlichen Hilfsangeboten aufgeführt.
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