Kürzlich in einer Facebook-Gruppe für Bäuerinnen. «Haben die das Gefühl, das ist ein Streichelzoo?», machte eine Älplerin ihrem Ärger Luft. Vorgestern konnte sie eine Familie gerade noch davon abhalten, ihre Kinder in den Tiefstrohbereich des Stalls zu den Mutterkühen zu lassen, die Tür hätten sie schon geöffnet.
Eine andere Bäuerin liess diesen Sommer ihr Auge über das sich prächtig entwickelnde Weizenfeld schweifen. Das dichte saftige Grün liess sie für einen Moment die Anspannung vergessen, sich selbst, ihre Arbeit und ihre Umwelt. Doch dann sah sie im Feld immer wieder die Ohren eines Hundes, der gerade das gleiche Feld zu geniessen schien. Der Besitzer stand am Rand und liess das Tier gewähren. Was jetzt?
Ohne zu fragen
Solche Szenen sind auf Landwirtschaftsbetrieben leider keine Seltenheit. «Ich weiss, aber …», «nur schnell…», «nur es Bitzeli ...». Mit solchen oder ähnlichen Formulierungen versuchen Passantinnen und Passanten immer mal wieder, sich zu rechtfertigen, dass sie sich ohne zu fragen etwas aneignen oder Grenzen überschreiten. Die Abgrenzung zwischen «mein» und «dein» scheint vielen in der «offenen Landschaft» der Natur nicht immer klar zu sein. Die Besitzansprüche werden dabei oft individuell interpretiert und nur durch den eigenen Blickhorizont begrenzt.
Wie geht man mit solchen Situationen um? Zwei Bäuerinnen erzählen, was entsprechende Erlebnisse bei ihnen auslösen und wie sie bei ihren landwirtschaftlichen und nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten mit Grenzüberschreitungen umgehen. Die eine, nennen wir sie Sonja Müller, möchte lieber anonym bleiben. Sie ist neben dem Betrieb zudem als Logistikerin mit Kundenkontakt tätig.
Sonja Müller, sind Ihnen solche Situationen auch bekannt?
Sonja Müller: Oh ja! Je älter ich werde, desto ruhiger reagiere ich darauf. Früher reagierte ich oft mit Konfrontation und forderte mein Vis-à-vis damit richtig heraus. In meinem Beruf stelle ich das Problem in den Fokus und nicht den Fehler des anderen. Daraus ergeben sich ruhigere und fruchtbarere Gespräche. Manchmal ergibt sich sogar die Möglichkeit, Vorurteile meines Gegenübers abzuschwächen oder im besten Fall zu revidieren. Dies ist eigentlich oft auch bei landwirtschaftlichen Themen möglich.
Was, wenn Grenzen durch Kunden überschritten werden?
«In meinem Job gilt: Kunden werden immer freundlich behandelt. Wird jemand gegenüber mir ausfallend oder bei Beleidigungen, wird mein Tonfall klarer. Und dann gibt es noch solche, bei denen nützt alles nichts und die Auseinandersetzung kann auch mal unfreundlicher werden. Das wird dann beim Chef deponiert, damit er bei einer allfälligen Reklamation bereits über den Vorfall informiert ist. Zum Glück sind nicht alle Kunden gleich, und ich muss sie auch nicht mit nach Hause nehmen. Während der Corona-Zeit bekamen wir viel mehr positive Zuwendungen und Anerkennung für unsere Arbeit. Leider ist dies wieder verloren gegangen, teilweise ist sogar noch mehr Unverständnis da als vorher.
Hatten Sie eine Schulung für Konfliktsituationen?
Nein, nein, das ist jedem selber überlassen. Aber ein Kaffee – mit oder ohne Zigarette – hilft mir, um mein Gemüt zu beruhigen.»
Und in der Landwirtschaft?
Man kann sich ja selten auf eine Situation vorbereiten und das möchte ich auch nicht. Es ist mir nicht egal, wenn die Leute einfach über meine Wiesen und Äcker schlendern, ein Picknick darin veranstalten oder mit dem Velo hindurch kurven. Wenn es mich stört, unternehme ich immer etwas. Viele Menschen wissen nichts von Landwirtschaft, sind aber gefüllt mit Vorurteilen im Kopf. Ich suche meist das Gespräch mit ihnen. Für mich ist es wichtig, dass ich meinen Kropf leeren kann, sonst nehme ich das Erlebte mit in den Schlaf. Vielleicht sind es ja gar nicht so viele herausfordernde Begegnungen, aber die negativen bleiben hartnäckiger haften als die positiven.
Auch mal zittrige Beine
Die zweite Bäuerin, Regula Leutert, arbeitet neben dem Betrieb als Pflegefachfrau auf der Intensivstation.
Regula Leutert, was, wenn jemand Ihnen gegenüber als Pflegefachfrau Grenzen überschreitet?
Regula Leutert: In meinem Beruf arbeite ich in einer klaren Funktion. Die Richtlinien werden durch das Spital vorgegeben und sind den meisten Patienten wie auch den Angehörigen bekannt. Bei hohem Stresslevel kann es schon vorkommen, dass der Umgangston etwas knapper ausfällt. Dies kann später jedoch angesprochen werden und hilft, solche Situationen künftig zu minimieren.
Und in der Landwirtschaft?
Die Regeln und das Wissen rund um landwirtschaftliches Sein und Arbeiten sind leider weitestgehend in der Bevölkerung unbekannt. Die Aufgaben in der Landwirtschaft sind weniger klar definiert für mein Gegenüber und oft geprägt durch diffuse Informationen. Bevor ich wieder ‹die Polizistin› spielen muss, frage ich mich jeweils: Wie stark bin ich heute? Eigentlich möchte ich doch einfach nur arbeiten und nicht den Hund, der in meinem Gemüsebeet spielt, verstehen müssen.[IMG 2]
Was lösen solche Begegnungen in Ihnen aus?
Die Ohnmacht nach solchen Konflikten macht zittrige Beine. Ich möchte doch das Land, für das ich zuständig bin, einer nächsten Generation weitergeben. Es ist mein Land. Wenn Leute durch meine Wiese gehen, ist es mir nicht egal. Deshalb gehe ich auf sie zu und spreche mit ihnen. Seit Corona hat sich die Anzahl Hunde in meiner Umgebung massiv erhöht. Für die Halter sind die Regeln durch die Gemeinde bekannt, aber wenn niemand kontrolliert ...
Hatten Sie in Ihrem Beruf eine Schulung in Konfliktmanagement?
Ja, wir haben Antiaggressions- und Kommunikationskurse. Kurse mit einem aktiven Teil sind zwar anstrengend, da man sich exponieren muss, aber ich profitierte davon, auch für mich als Person. Solche Kurse könnten in der Landwirtschaft wohl auch Gutes tun. Am Familientisch sprechen wir ebenfalls über unangenehme Geschehnisse, was beim Wegstecken negativer Gefühle hilft und manchmal die Geschichte sogar relativiert.
Die BauernZeitung fragt: Hatten Sie auch schon Probleme mit aufdringlichen Spaziergängern oder Touristen?
Im Grossen und Ganzen unproblematisch
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Daniel Amsler, Hornussen AG
Ausser dem gelegentlichen Wanderer oder Jogger haben wir auf unserem relativ abseits gelegenen IP-Hof unsere Ruhe. Weil wir ein reiner Produktionsbetrieb sind und keine Direktvermarktung betreiben, gibt es hier in der Regel nicht viele Menschen. Wir müssen aber keine Geheimnisse hinter den Stalltüren verstecken – wenn jemand in den Stall will, kann er das tun. Im Grossen und Ganzen stelle ich bei uns diesbezüglich kein Problem fest. Einzig wenn Hundehalter ihre Hunde im hohen Gras freilassen, muss ich die Personen bitten, dies zu unterlassen. Sera Hostettler
Es kommt auf den Umgang an
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Martin Dörrig, Weissbad AI
Bei uns führt der Wanderweg am Hof vorbei und die Wiese hindurch. Manchmal fahren verbotenerweise Velofahrer darüber; die weise ich zurecht. Mit Touristen komme ich gut klar, ich denke, es hängt davon ab, wie man aufeinander zugeht und welche Gewohnheiten sie mitbringen. Meist entstehen gute Gespräche, oft möchten sie in den Stall schauen. Problematisch sind Gruppen, die nebeneinander über die Wiese laufen und das Gras niedertrampeln. Dann mähe ich mit dem Rasenmäher einen Streifen frei – die Wanderer schätzen das und benutzen ihn auch. Viktor Dubský
Informieren bei jeder Gelegenheit
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Marcel Zumstein, Giswil OW
Wir wirken als Milchkäufer und Käser mit Alpbeizli in einem Wandergebiet auf dem Glaubenbielenpass und haben fast täglich Kontakt mit Wanderinnen oder Biker. Wir haben ein gutes Einvernehmen und ich stelle auch keine negativen Entwicklungen fest. Da wir in einem Moorschutzgebiet sind, gibt es viele Tafeln mit Hinweisen und Erklärungen, bereits beim Parkplatz. Die Leute wissen, wie man sich im Gebiet zu verhalten hat. Ein Thema ist Unwissenheit. So waren Biker erstaunt, dass auf Alpen Gülle ausgebracht werden darf. Armin Emmenegger