«Das Einschneidendste war, als ich damals in der Schule plötzlich die Gesichter meiner Freunde nicht mehr erkannt habe», erzählt Donat Capaul. Bis er sechs Jahre alt war, konnte er normal sehen, ab da wurde es stetig schlechter. Damals eignete er sich Tricks an, wie etwa, sich die Kleiderfarben zu merken, nachdem er die Klassenkamerad(innen) anhand der Stimmen identifiziert hatte. Dies falle heute auch weg, er sehe lediglich noch gewisse Helligkeitsunterschiede, sodass er sich beispielsweise orientieren könne, wo im Raum oder im Stall er stehe. Das sei das Wichtigste: Als Blinder müsse man immer wissen, wo man sich befinde. Der Rest der Orientierung finde mithilfe der Erinnerung, des Gehörs, Gespürs und des Geruchs statt. Denn: «So schlecht wie jetzt sehe ich quasi seit gestern», so Capaul.
Die Tierhaltung ist seine Stärke
Der Betrieb «Valengiron» in Perrefitte im Berner Jura, den er von seinen Eltern übernommen hat, umfasst rund 17 Hektaren und liegt in der Bergzone II. Der 41-Jährige konnte ab 2013 den Kuhstall übernehmen, 2017 dann das Inventar erwerben und Anfang Januar 2023 wurde der Betrieb auf ihn überschrieben. Er ist grösstenteils auf dem Betrieb aufgewachsen, seine Eltern haben diesen gekauft, als er elf Jahre alt war. Das ist mitunter auch ein Punkt, warum er sich auf seinem Betrieb sehr gut zurechtfindet. Denn damals konnte er, im Vergleich zu heute, noch relativ gut sehen. Aufgewachsen ist Donat Capaul mit einem Bruder, einer Schwester und seinen Eltern, die, mittlerweile in einem Stöckli, nach wie vor auf dem Betrieb wohnen.
Aufgrund seiner schwindenden Sehkraft hat Donat Capaul als Kind die Blindenschule in Zollikofen BE besucht. Nach der obligatorischen Schulzeit machte er auf einem Hof in Morges VD ein Praktikum, bevor er dann die Ausbildung zum Landwirt (Biobauer) absolvierte. Die Lehre konnte er auf normalen Betrieben machen, die er sich allerdings schon entsprechend seinen Stärken aussuchte. Sprich, mehr Tierhaltung, weniger Ackerbau. Damals habe er noch Fahrrad fahren können. Und auch mit den Traktoren sei er, natürlich nur auf dem Hofareal, Acker- oder Wiesland, gefahren. Allerdings sei er nie ein besonders guter Traktorfahrer gewesen. «Meine Sehkraft lag damals noch bei ungefähr 10 Prozent, das ist extrem viel!»
«Ich bin gerne draussen und arbeite körperlich. Das nährt mich.»
Donat Capaul, Biobauer, Betriebsleiter und Sozialpädagoge
Ein blinder Betriebsleiter
Nach der Lehre hat Donat Capaul die Ausbildung zum Sozialpädagogen und zum Steinerschule-Lehrer gemacht. Er konnte davon dann sowohl bei den Pflegekindern, die seine Eltern jeweils zeitlich begrenzt auf dem Hof aufgenommen hatten, als auch später in einer Art Sonderschulheim im Emmental profitieren.
Doch wie führt man einen Betrieb, wenn man «nichts» sieht? Und wie bewirtschaftet man das Land? «Ich weiss von allen Maschinen, wie sie funktionieren», sagt Donat Capaul. Selbstständig fahre er aber nicht mehr. Maschinen bediene er nur noch, wenn er dabei auf dem Boden stehen könne – also die Buttermaschin, oder einen Akkuschrauber, erklärt er mit einer Prise Humor. Für Arbeiten wie das Mähen, Gülleausbringen oder das Setzen von Ohrenmarken, aber auch für Hausarbeiten, erhält Capaul von der Invalidenversicherung Budget für eine Vollzeitstelle.
Auf wie viele Personen er die Stellenprozente in welchem Bereich verteilt, kann er selbstständig und individuell nach Bedarf organisieren. Wobei er sehr gerne organisiert, plant und einteilt. Er habe da sehr viel Glück gehabt, erzählt Capaul, denn früher hätte man ihm lediglich einen Heimplatz finanziert. Mit dem neuen System habe er die Möglichkeit, das zu tun, was er liebe.
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Durch Fühlen kontrolliert er den Gesundheitszustand
Das bedeutet für Donat Capaul, zweimal täglich die Kühe in den Stall bringen, zu melken und die Kälber zu den Ammenkühen zu navigieren. Durch das Anbinden und den dadurch engen Bezug zu seinen Tieren kann er diese überall anfassen und merkt entsprechend, wenn etwas nicht stimmt – oder er hört es bereits, wenn sie in den Stall kommen. Das sei ihm wichtig, unterstreicht er.
Eine nervöse Kuh, das könne er nicht gebrauchen. Entsprechend wähle er auch den Stier, der ganzjährig mit der Herde mitläuft, nach dem Charakter aus. Auch die Ziegen kann er alle anfassen und so deren Gesundheitszustand kontrollieren. Anschliessend kontrolliert er die Tränken, oder geht den Zäunen nach und kontrolliert, ob sie noch intakt sind. Das fülle seinen Tag schon relativ gut, denn er sei natürlich wesentlich weniger schnell als eine sehende Person, räumt er ein. Dabei merkt Donat Capaul kaum an, dass sein Sehvermögen eingeschränkt ist. Er bewegt sich auf dem Feldweg zur Weide wie auch im Stall absolut routiniert. Das habe auch schon zu witzigen Situationen geführt, wenn Viehhändler oder Kontrolleure nicht oder erst nach dem entsprechenden Hinweis bemerkt hätten, dass er sie nicht sehe.[IMG 4]
Die Milch seiner Kühe vertränkt der Biobauer seinen Kälbern oder verarbeitet sie als Selbstversorger zu Quark, Käse und Butter. «Bei mir wird der Käse immer irgendwie ein Zufallsprodukt. Der Vorteil ist: Ich freue mich bei jedem Käse auf das Anschneiden, weil ich dann neugierig bin, wie er wohl schmeckt.» Die Milch seiner Kühe sei nie konstant, denn er füttere nur Heu und Weidegras, weshalb das Ganze dann Witterungs- und Kuh-abhängig sei. Dabei ist für ihn der Quark ein gutes Indiz für die Milchqualität: Wenn der Quark anfange zu schwimmen, dann wisse er, dass es keinen guten Käse gebe. Ist der Quark gut, eignet sich die Milch auch zum Verkäsen. Den Käse schmiert Capaul im Keller ebenfalls selbst. Er schaue lediglich, dass gelegentlich jemand kontrolliere, ob alles in Ordnung ist und sich nirgends Schimmel gebildet hat.
Verschiedene Hilfsmittel erleichtern die Arbeit
Um die fehlende Sehkraft zu kompensieren, hat Donat Capaul verschiedene Hilfsmittel. So tragen die Kühe, Kälber und seine Hunde alle Glocken oder Schellen. Das heisst, er kann anhand des Geläuts erkennen, um welches Tier es sich handelt und wo es sich befindet. Ebenso trägt seine Partnerin kleine Glöckchen um das Fussgelenk und auch den Kindern, die sie öfter als Wochenend-Gäste mitbringt, binden sie draussen Glöckchen um den Bauch, damit Capaul sie hören kann und weiss, wo sie sind. Witer hat er beim Heukran von seinem Bruder Glocken in bestimmten Abständen montieren lassen, damit er hört, wie weit er gefahren ist und weiss, wann er die Zange öffnen kann, um das Heu abzuwerfen.
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Seine Hunde Milo und Dara helfen Donat Capaul, die Herde jeweils in den Stall zu treiben. Im Stall und auf dem Hof hat alles exakt seinen Platz. Er könne nicht einfach etwas irgendwo hinlegen, sonst müsse er sich dessen Platz merken, das sei unglaublich anstrengend. Wenn er Besuch habe, möge er es, wenn die Leute sich zu erkennen geben, rasch etwas sagen, wenn sie an ihm vorbeigehen, oder an ihren Platz sitzen, sodass er wisse, wer sich wo befindet.
Die Effizienz sei allgemein ein Thema, sagt Capaul offen. Er sei weniger schnell als Sehende, müsse Wege auch mal doppelt gehen oder verliere Zeit, wenn er etwas suche. «Und dann denke ich mir, wenn ich über meine Wiesen laufe: Andere besteigen den Mount Everest, da geht es auch nicht um Effizienz, sondern sie haben Freude an der Bewegung, fühlen den Körper. Das habe ich hier alles. Ich bin sehr gerne draussen und arbeite körperlich. Das nährt mich.» Capaul findet es wichtig, dass man das macht, was einem Freude bereitet und schaut, wo es einen hinführt. Das könne man nicht auf einmal entscheiden, sondern solle den Kompass immer wieder neu ausrichten und sich dabei treu bleiben.
Betriebsspiegel Biohof Valengiron
Donat Capaul
Ort: Perrefitte BE
LN: 17 ha, Bergzone 2, viel BFF, Waldweide, Grasland
Viehbestand: 6 Original Braunvieh Kühe, 2 Rinder, 5 Kälber (4 Mast, 1 Aufzucht), 1 Stier, 23 Schafe mit Bock, 2 Esel, 8 Ziegen, 22 Hühner, 2 Hunde.