Mit der ersten Schneeschmelze auf unserer Farm im April 1964 begann eine Zeit mit viel harter Arbeit. Das Gros der 60 ha offenen Landes war erst frisch gerodet. Die Felder mussten noch vor der Saat von vielen Wurzeln und Steinen befreit werden.

Zum Glück gabs Stanley

Über diese Zeit schreibt Dad in seinem Buch «Kanada, mein neues Heimatland»: «Sehr strenge Arbeit, lange Stunden, lange Tage.» Und doch gelang es nicht, die Felder rechtzeitig sauber zu kriegen. Am 19. Mai fing Dad mit Säen an, eine mühsam langsame Arbeit wegen der vielen noch vorhandenen Wurzelstöcke.

Zum Glück gab es Stanley Kemp! Er musste mehrmals die Scharen der Sämaschine wieder zusammenschweissen. Er war ein lediger Mann Mitte 50, der alles flicken konnte. Dad und andere Farmer in der Gegend tranken oft ein Kaffee zusammen in Stanleys Werkstatt, derweil sie auf seine Arbeit warteten.

Ein herber Verlust

Wir waren immer glücklich, wenn Dad uns zu Stanley Kemp mitnahm. Er verlangte jeweils ein Lied von uns, das mit einem heiss begehrten Zeltli belohnt wurde. Unsere Familie wurde bald bekannt für den Gesang. Stanley starb früh an Lungenkrebs. Das war ein herber Verlust für die Gemeinde, und für Dad, für den er wie ein Onkel gewesen war.

Wer gut kocht, hat Hilfe

Dad säte Hafer, der Samen dafür kam von den Gebrüdern McDonald. Sie besassen eine einfache Getreideputzmaschine. Das Samenputzen sei immer ein Social Event gewesen, schreibt Dad. Derweil kochte die Mutter der McDonalds ein wunderbares Essen für alle. Kürzlich sprach ich mit einer Ranchersfrau, die sagte, wenn gut gekocht ist, kommen die Leute umsonst zum Helfen.

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Kinder auf endlosen Feldern

Für Mom war es sicher eine strenge Zeit. Ihr jüngstes Kind wurde im Februar geboren, ich war als Älteste gerade sechs Jahre alt. Dad arbeitete oft alleine auf dem Feld am weitesten vom Haus entfernt, während Mom in der Nähe Wurzeln auflas. So konnte sie besser zu uns Kindern schauen. Ich musste schon sehr früh auf meine Geschwister aufpassen. Wir bauten am Waldrand Hütten aus Stecken und Moos und spielten «House». Wir Kinder mussten früh mithelfen. Trotz Himbeerzeltli las ich nie gerne Wurzeln auf. Der Boden in Cecil Lake ist ein «Grey Wooded Soil». Er zerfällt zu Staub, wenn er trocken ist, so wie es meistens war, wenn wir auf dem Feld arbeiteten. Dazu brannte die Sonne vom Himmel. Das Feld schien uns endlos.

Mit sechs auf dem Traktor

Schon mit sechs Jahren wurde ich auf den Fordson-Traktor gesetzt. Dad legte den langsamsten Gang ein und ich musste möglichst geradeaus steuern, derweil er und Mom Wurzeln auf den Wagen warfen. Ich glaube, die kleineren Kinder waren auf dem Wagen, oder vielleicht am Feldrand. Manchmal kam ein Mädchen, das Deutsch konnte, und passte auf uns Kinder auf.

Es wurden Wurzeln aufgelesen, bis das Getreide im Juli in die Ähren kam. «Das war eine sehr strenge Zeit für uns alle», schreibt Dad. Kein Wunder also, dass er sich gewaltig ärgerte, als in den 1990er-Jahren eine englische Firma schön gerodetes Land kaufte und darauf Fichten setzte. Damit konnten sie ihre CO2-Sünden in England «büssen».

Ärger über Reinwaschung

Wenn ich bedenke, wie dieses Land mühsam urbar gemacht wurde, ärgere ich mich ebenso fest. Diese Tannen sind über die Jahre zu einem kleinen Wald herangewachsen. In dieser Zeit wäre jedes Jahr ein schönes Getreidefeld gewachsen. Daneben roden die Farmer weiterhin Land, oft weniger ertragreiches, da das beste Land normalerweise zuerst gerodet wurde.

Kürzlich nahm ich an einer Flurbegehung teil, wo wir bei einem frisch gerodeten Feld Halt machten. Für mich als Halbschweizerin war interessant, dass sich das Gespräch überhaupt nicht um die Frage «Dürfen wir das?» drehte. Es ging einzig darum, sich über die besten Rodungsmethoden auszutauschen.

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Vieles noch wie früher

DossierDossierKanada einfachDonnerstag, 10. August 2023 Vieles ist noch gleich wie früher. Die grossen Bäume werden zuerst herausgenommen und das Holz verkauft. Danach wird der übrige Busch an Walme gestossen und angezündet, wenn die Witterung günstig ist.

Im Gegensatz zu früher wird die Asche heute über das ganze Feld verteilt; es ist wichtiger Dünger. Für die Wurzeln gibts jetzt starke Rechen, aber der Farmer sagte, er gehe immer noch aufs Feld mit seinem Frontlader, um Steine und Wurzeln aufzulesen. Genauso, wie es sein Schweizer Grossvater getan hatte.

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Zur Person

Marianne Stamm ist 1963 fünfjährig mit den Eltern vom Thurgau nach Cecil Lake ausgewandert. Dort, weit nördlich im kanadischen British Columbia ist sie auf einer Pionierfarm aufgewachsen, welche zu einer stattlichen Milchfarm heranwuchs. Als ältestes von sieben Geschwistern kam sie mit 21 zurück in die Schweiz. Gemeinsam mit ihrem Mann Robert bewirtschaftete sie für zwölf Jahre den Emmerhof in Schleitheim SH.

Ende 1991 wanderte die Familie mit den zwei Söhnen (10- und 11-jährig) ein zweites Mal nach Kanada aus. Nördlich von Edmonton bewirtschafteten Stamms eine 580-ha-Getreidefarm. Sie fingen wie schon die Eltern noch einmal bei null an, und doch ganz anders. Weil keiner der Söhne die Farm übernehmen wollte, wurde sie 2006 verpachtet. Seit 2012 ist die regelmässige BauernZeitung-Mitarbeiterin wieder in Schleitheim zu Hause. Die Kinder und Enkel halten sie hier.