AboAnalyseKlimaschutz: Der erste Schritt ist immer der schwierigsteMontag, 15. November 2021 Zum zweiten Mal fand am 22. Oktober 2022 der Landwirtschaftliche Klimagipfel Graubünden statt, organisiert von verschiedenen Partnern rund um das Projekt klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden. Die Tagung wurde eröffnet mit einem Film, in dem Bauern zu Wort kamen, die beim Projekt mitmachen. Ihre Massnahmen hin zu einer klimaneutralen Landwirtschaft sind sehr breit: Ein Kompoststall, ein Blockheizkraftwerk oder Agroforst im Rebbau wurden als Beispiele genannt. Das Tagungsprogramm war abwechslungsreich und reichte von der Vorstellung der Pilotbetriebe über Fachreferate bis hin zu einem Podium.

Zusammenarbeit mit den Bauern als grosse Stärke

Das Podium unter der Moderation von Plantahof-Direktor Peter Küchler machte den Auftakt. Die Teilnehmer Marcus Caduff (Bündner Regierungsrat), Claudio Müller (Maschinenring Graubünden), Daniel Bretscher (Agroscope), Sibyl Huber(Fluri & Giuliani GmbH) und die Pilotbetriebsleiter(innen) Urs Spescha (Hof Surpresa), Séverine Curiger (Hof Gravas) und Marcel Heinrich (Biohof Las Sorts), waren sich einig, dass man die Augen vor dem Klimawandel nicht mehr verschliessen kann.

Caduff lobte die Bündner Bäuerinnen und Bauern für ihren Pioniergeist und ist sicher, dass sich die Bündner Landwirtschaft einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Für ihn sei spannend, dass 52 Betriebe im «Freiluftlabor» Massnahmen ausprobieren, um die Treibhausgase zu senken.

«Wir generieren Wissen, das wir der ganzen Schweiz zur Verfügung stellen können.»

Marcus Caduff, Vorsteher Volkswirtschaftsdepartement GR

Auch darum unterstütze der Kanton das Projekt finanziell. Caduff erwähnte, dass es keine andere Branche gibt, die auf so breiter Basis so stark vorwärts macht, um die Klimaneutralität zu erreichen.

Daniel Bretscher richtete den Blick über die Landesgrenze hinaus. «Es gibt in fast allen Ländern vergleichbare Projekte, die jedoch alle erst am Anfang stehen.» Er wies darauf hin, dass sich die Forschung schon sehr lange mit dem Thema auseinandersetzt. «Bei der Umsetzung in die Praxis stehen wir noch am Anfang.» Die breite Abstützung beim Bündner Projekt und die Zusammenarbeit von Forschung und Praxis bezeichnete er als grosse Stärke.

Als Team zur klimaneutralen Landwirtschaft Graubünden

Die drei Vertreter(innen) der Pilotbetriebe sagen, sie hätten nicht gezögert, als sie für eine Teilnahme angefragt wurden. «Weil das Projekt ein Netzwerk aus Bauern und Forschern ist, fühlte ich mich von Anfang an getragen. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam etwas bewegen können», sagt Séverine Curiger, Landwirtin und Teilnehmerin am Pilotprojekt.

«Weil das Projekt ein Netzwerk aus Bauern und Forschern ist, fühlte ich mich von Anfang an getragen. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam etwas bewegen können.»

Séverine Curiger, Landwirtin und Teilnehmerin am Pilotprojekt

Dem stimmt der Bündner Biopionier Marcel Heinrich zu: «Es ist motivierend, als Team in Richtung klimaneutrale Landwirtschaft zu gehen.» Biolandwirtschaft sei nicht per se ein Garant für Klimaneutralität auf dem Betrieb, meint er auf die Frage von Peter Küchler. «Aber die Auswertungen zeigen, dass sich eine konsequente biologische Bewirtschaftung mit Kreislaufwirtschaft auszahlt.»

Ältere Generation tendenziell risikofreudiger

Sibyl Huber, die als Mitarbeiterin beim Agrarberatungsbüro Flury & Giuliani direkt in das Projekt involviert ist, stellt fest, dass ältere Betriebsleiter(innen) risikofreudiger und zu grösseren Umstellungen bereit sind. Sie sieht darin zwei Gründe: Erstens sei die landwirtschaftliche Ausbildung immer noch stark auf Produktivität ausgerichtet. Zweitens würden junge Familien weniger Risiko eingehen wollen und können. «Ich sehe aber, dass eine junge Generation nachrückt, die bereit ist, etwas zu verändern. Das stimmt mich sehr zuversichtlich.»

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Der Betrieb der Zukunft muss resilient sein

AboClaudio Müller ist Geschäftsführer des Maschinenrings Graubünden und Mitglied der Projektgruppe Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden. (Bild sgi)InterviewInterview: «Das Projekt ‹Klimaneutrale Landwirtschaft› trifft den Nerv der Bündner Bauern»Donnerstag, 5. November 2020 Zuversichtlich ist auch Claudio Müller, der geistige Vater des Projekts klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden. «Die Schweiz strebt die Klimaneutralität bis 2050 an. Jetzt kann man abwarten oder man wird selber aktiv.» Für ihn sei klar gewesen, dass man das Thema in der Landwirtschaft, die am meisten vom Klimawandel betroffen ist, aktiv angehen muss und zwar zusammen mit der Basis, von unten herauf. «Das Schöne für mich ist, zu sehen, dass es Lösungen gibt», bilanziert Müller zwei Jahre nach dem Projektstart.

«Die Betriebe müssen resilienter und widerstandsfähiger werden, um die Herausforderungen des Klimawandels meistern zu können», fuhr Müller fort. Auf die Frage von Peter Küchler, wo die Bündner Landwirtschaft in zehn Jahren stehe, antwortet er: «Wir werden 2032 die Klimaneutralität noch nicht erreicht haben. Doch wir werden bis dann viel Wissen generiert haben, das uns einen Schritt weiterbringt in Richtung Klimaneutralität.»

«Wir werden 2032 die Klimaneutralität noch nicht erreicht haben. Doch wir werden bis dann viel Wissen generiert haben, das uns einen Schritt weiterbringt in Richtung Klimaneutralität.»

Claudio Müller, Maschinenring Graubünden

Biolandwirtschaft alleine reicht nicht

Urs Niggli, Agrarwissenschafter und Vordenker des biologischen Landbaus, befasste sich in seinem Referat mit der Frage, ob man 9 oder 10 Mrd. Menschen nachhaltig, ohne Verbrauch natürlicher Ressourcen ernähren kann und kam zum Schluss: «Um den Kalorienbedarf im Jahr 2050 zu decken, bräuchten wir 600 Millionen Hektaren mehr landwirtschaftliche Nutzfläche.»

«Um den Kalorienbedarf im Jahr 2050 zu decken, bräuchten wir 600 Millionen Hektaren mehr landwirtschaftliche Nutzfläche.»

Urs Niggli, Agrarwissenschafter und früherer Leiter des FiBL

Es braucht mehrere Wege

Die Behauptung, dass die konventionelle Landwirtschaft mit der Ressource Boden in den vergangenen Jahrzehnten grobfahrlässig umgegangen sei, stimme so nicht. Ohne die Ertragssteigerungen der modernen Landwirtschaft wären der Landverbrauch für die menschliche und tierische Ernährung sehr viel höher gewesen, so Urs Niggli. [IMG 3]

«Wir müssen viele Wege gehen, der Biolandbau ist einer davon.» Es bräuchte Veränderungen beim Ernährungsverhalten, sprich weniger Fleisch und weniger Foodwaste. «Dann wäre auch mehr Biolandbau möglich.» Das Szenario einer «vernünftigeren» Ernährung auf freiwilliger Basis, sehe allerdings ziemlich düster aus.

Investition in Bio ist eine Investition ins Knowhow der Landwirt(innen)

Niggli berichtete, dass die EU den Biolandbau bis in acht Jahren auf 25 Prozent steigern will. Die Schweiz hat keine solchen Ziele formuliert. Dieses Strategie wolle man in Brüssel wegen des Ukrainekrieges pausieren. In Nigglis Augen wäre das ein falscher Entscheid. Er sagte: «25 Prozent Biolandbau in Europa verändern die globale Ernährungssicherheit kaum. Aber diese Biobauern sind Träger eines Systemgedankens hin zu einer umfassenden, ökologischen Landwirtschaft.»

«25 Prozent Biolandbau in Europa verändern die globale Ernährungssicherheit kaum. Aber diese Biobauern sind Träger eines Systemgedankens hin zu einer umfassenden, ökologischen Landwirtschaft.»

Urs Niggli zur Ausdehnung des Biolandbaus in Europa

Eine Steigerung der Biofläche in Europa auf 25 Prozent und 10 Prozent weltweit (heute 2 Prozent) wäre laut Niggli keine Bedrohung der Welternährungssituation, sondern eine Investition in das Knowhow der Landwirte.